Dreitausend Meilen nach Graceland

svamerika

Martina schwelgt in „Crime is King“ (Originaltitel „3000 Miles to Graceland“)

Ach Elvis … wie traurig war ich bei Deinem Tod. Ich war am 16. August 1977 fast vierzehn Jahre alt, und Dein schwarzes Leder, Deine rhythmisch-ekstatischen Bewegungen, in die manchmal auch ein Schuß Selbstironie einfloß, hatten mich bereits für immer geprägt, auch wenn ich Dein Konterfei neben meinem Bett gerade drei Monate zuvor gegen eines von Robert Plant ausgetauscht hatte … zu Hose und Hüfte mußten jetzt nämlich auch die langen Haare kommen, und Deine umspielten zwar Deinen Nacken, aber das war allmählich nicht mehr lang genug für mich.

Beamen wir uns doch mal einige Jahrzehnte zurück in das konservative, vermiefte und kleinbürgerliche Klima der 50er Jahre, ob in den USA oder hier in Deutschland. Ein Hüftschwung wie der von Elvis, überhaupt seine kreisenden Lenden, das leidend verzerrte Gesicht mit dem spöttischen Grinsen, das Straucheln, Staksen und sich Schütteln war dem weißen Mainstream bislang nicht bekannt gewesen.

Sofort formte sich eine breite Phalanx der Gegenwehr; vor allen Dingen waren es die Kirche und Elternverbände, die einen tiefgreifenden Verfall von Sitte und Moral durch Elvis’ Musik und seine körperliche Präsenz fürchteten, unterstützt durch eine geifernde Presse. Aber natürlich nutzte es nichts; die Jugend war entflammt, Elvis nicht zu stoppen. Am Ende seines Lebens war er zum Mythos geworden, der schlechthinnige Popstar, der direkt durch seine Präsenz immer wieder auf sich selbst verwies: keine Quellen, keine Imitationen, keine Fremdbezüge, immer nur Elvis.

Kein Wunder, daß es sein Auftritt war, der als erstes Konzert weltweit gesehen werden konnte und der über eine Milliarde Menschen vor den Fernseher lockte – „Aloha from Hawaii“ verfolgten mehr Zuschauer live als kurz zuvor die erste Mondlandung. Sein Nachruhm ist unerschüttert, und so verwundert es nicht, daß es laut Wikipedia 2007 alleine in den USA 35 000 hauptberufliche Elvis-Imitatoren gab.

Das bringt uns jetzt auf direktem Weg zu einem Film, der mit einer ähnlich überwältigenden Körperlichkeit und Anziehungskraft daherkommt wie sie Elvis zu eigen war, ein Film, der ebenfalls wegen Vulgarität und Obszönität verdammt wurde – und: oh ja, es geht auch wirklich um Elvis-Imitatoren!

In „Crime is King“ überfallen fünf Ex-Knackis unter der Führung des Psychopathen Thomas J. Murphy (Kevin Costner) und seines ehemaligen Zellengenossen Michael Zane (Kurt Russell) das Riviera Hotel und Casino in Las Vegas – nein, keine Bank, „because everybody else robs banks“.

Das wäre nun nichts sooo besonderes, wenn die Jungs sich nicht den Zeitpunkt einer Elvis Convention, der „International Elvis Week“, eines renommierten Imitatorenwettbewerbs, ausgesucht hätten und selbst im Elvis-Outfit erscheinen würden. Wow wow wow – ist das ein Augenschmaus! Noch bestickter, noch abgefahrener, noch authentischer hätten die Elvis-Overalls nicht sein können!

Als ich von dem Film hörte, genügten mir alleine die Fotos vom Set, um mich zu begeistern. Bei der Recherche nach Filmkritiken (in Deutschland stand die Premiere noch aus und ich konnte nur auf amerikanischen Websites zugreifen) kam ich allerdings ins Staunen: noch nie hatte ich für einen Film, der mich interessierte, so viele schlechte Kritiken im Vorfeld gesehen!

Beim genaueren Lesen kristallisierte sich ein Tenor heraus: „a lot of violence and foul language“, „excessive violence“, „explicit sex“, „just nihilism and firearm fetishim“ und – oh weia – Kevin Costner „playing an ultra-brutal weirdo“. Kritiken von Frauen hoben besonders hervor, daß es ein typischer und reiner Männerfilm sei, so viel sinnloses Geballer, so liebloser Umgang miteinander und Kevin Costner sei so gar nicht verständnisvoll-zärtlich-sexy, wie man ihn kennen würde – bla bla bla.

Also dann bin ich definitiv ein Kerl (und wenn ich das schon bin, dann aber auch kein verhuschtes Wesen, das fragt, ob es abtrocknen helfen soll, oder ein Krampftyp, der Beziehungsgespräche haßt, aber so tut, als ob ihm „die Arbeit an der Partnerschaft“ genauso wichtig wäre wie seiner Frau), denn ich LIEBE diesen Film. Er ist ein absolut treffendes Beispiel für einen Film, der von den Kritiken schlechtgeredet wurde – interessanterweise hauptsächlich vom Nicht-Fachpublikum. Letzteres nämlich äußert sich wesentlich differenzierter und begeisterter, wie z. B. Peter Rainer im New Yorker:

„Kurt Russell and especially Kevin Costner turn in remarkable performances as Elvis impersonators (…). You can feel the actors’ play-act pleasure in strutting and swiveling like the King. (…) Kurt Russell understands what it means to be taken over by the man’s strut and snarl; he gets into the complicated macho of the impersonation. Kevin Costner, playing a sociopath who wants all the booty, is even more remarkable. With his dark shades and black leather jumpsuit and hair that looks like it was slicked with motor oil, Costner’s Murphy is a throwback not only to the Elvis of Jailhouse Rock but also to the Brandoesque bad-boy JDs of the fifties. Costner’s core of danger is like a tribute to the Elvis that might have been – the surly Elvis who never really made it into the movies because Colonel Parker had other ideas.”

Kritiken hin oder her, daß ich mir diesen Film sofort anschauen würde, sobald ich seiner in Deutschland habhaft werden könnte, war ohnehin klar. Über ein Jahr nach seiner Premiere in den USA lief er Mitte Mai 2002 endlich auch hier an – um nach kürzester Spielzeit wieder zu verschwinden. Der Bekannte, der genau wie ich auf die Kombination Trash / Mündungsfeuerorgien / schwarzer Humor anspringt, war zu diesem Zeitpunkt nicht im Lande, und jeder andere, den ich fragte, ob er den Film mit mir anschauen würde, winkte ab – man habe ja gehört, was das für ein Blutspritz-Scheiß sei u.s.w. Also kaufte ich mir „Crime is King“ auf DVD – und diese avancierte zu einer der meistgesehenen in meinem üppigen DVD-Regal.

Natürlich ist der Film kein Familienfilm (und selbst diese sind in den USA vor Verbotsanträgen nicht sicher, hatte doch beispielsweise eine sittenstrenge evangelikale Gemeinde aus Oklahoma einen – abgelehnten – Indizierungsantrag für die Rülps- und Furz-Szenen aus dem ersten „Shrek“- Film gestellt!), aber wer das von einem Actionfilm erwartet, ist selbst schuld. „Crime is King“ ist ein wahrer Kultfilm, mit Elementen des Westerns (der große Showdown zwischen Gut und Böse), des Roadmovies, des Videoclips (der Regisseur Demian Lichtenstein kommt aus dieser Branche und beherrscht die Kunst der sinnvollen schnellen Schnitte) und der schwarzen Komödie.

Dieser Film macht Spaß, er unterhält auf eine unkonventionelle Weise, er ist glitzernd, schrill und im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend, d.h. temporeich, spannend und auf eine sehr sexy Art und Weise brutal. Die gewalttätigen Szenen reizen unterschwellig zum Lachen, nicht weil sie mißlungen wären, sondern weil sie auf eine geistreiche Weise komödiantisch angelegt sind. Der Kugelhagel im Kasino ist berückend schön; eine durch und durch ästhetische Schießerei. Der amerikanische Kritiker Richard Roeper äußerte sich sehr positiv gerade über diese Szene, und Peter Rainer umschrieb den Effekt mit folgenden treffenden Worten:

„… suddenly the screen was a glitter with more firepower than in ‘Saving Private Ryan’. It turns out that the reason Lichtenstein utilized the Riviera was not because of Elvis glitz but because of all the glass and mirrors and chandeliers. They make quite a show when they shatter.”

Ein anderer Bewunderer des Kasinoüberfalls drückte es so aus:

„Every kind of artillery is used in all kinds of environments – great action, great violence, great movie.”

Wenn ich ein einziges Wort finden müßte, um “Crime is King” zu beschreiben, würde ich “COOL” wählen; unterhaltsam, lustig, stylish, sexy, sinnlich, elegant, spannend, ausdrucksstark, dionysisch, genußvoll, ausschweifend, künstlerisch und erfrischend wären andere.

Die schauspielerische Leistung der beiden Hauptdarsteller Kurt Russell und Kevin Costner ist bemerkenswert. Russell verkörperte bereits 1979 in John Carpenters Fernsehfilm „Elvis“ den King, und wenn man den Abspann von „Crime is King“ anschaut, kommt man in den Genuß eines Bonus der besonderen Art: Russell gibt nicht nur den Elvis, er singt ihn auch; ein perfekter Auftritt.

Costner wurde oft als der „Gary Cooper seiner Generation“ bezeichnet, aber in seinen besten Momenten ist er dazu zu störrisch, dunkel, aggressiv, angespannt und offensiv. Filme wie „Bull Durham“ und „Tin Cup“ zeigen außer der romantisch gestimmten Potenzschleuder Costner auch sein nervöses, draufgängerisches und angriffslustiges Wesen, und in diesem Film nun ist er die kongeniale Verkörperung eines extrem männlichen brutalen Killers in sexy Lederhosen. Ein weiteres Element des Filmes ist die Tatsache, daß Costners Figur Thomas J. Murphy glaubt, ein illegitimer Sohn des King zu sein. Richard Roeper schreibt dazu:

„He (Costner) may be playing a man who believes he is in direct line to a legend, but Murphy himself is pathetically unlegendary. Costner gets inside the love-hate tensions of an impersonator and, paradoxically, shows himself off as a more authentic star than ever.”

Eine Enttäuschung sind Russell und Costner wohl nur für diejenigen, die „Overboard Part 2“ oder „Dances with Wolves Part 2“ erwartet haben. „Crime is King“ ist ein klassischer Actionfilm voll Humor, Energie und Stil. This Movie rocks!

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