There will be blood …

… und die Folgen einer historischen Pleite in Hollywood
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von Götz Kohlmann

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Podcast 38
Ohne die Imagination des Betrachters gibt es kein Kino. Oftmals lösen die Filme, die wir nur vom Hörensagen kennen oder einmal als Kind sahen, zu denen uns aber die Phantasie vage Szenen entworfen hat, sobald wir sie dann tatsächlich zu Gesicht bekommen, Enttäuschung aus. Denn es ist nicht leicht unsere Erwartungen zu erfüllen. Manchmal lösen die Filme das Versprechen ihrer Boten aber auch vollkommen ein oder übertreffen es sogar noch. Mit den drei Western, die im hier im Mittelpunkt stehen, hat Götz Kohlmann entsprechende Erfahrungen gemacht.

Ein zumindest aus der Perspektive Hollywoods entscheidender Wendepunkt der Kinogeschichte wird markiert durch Michael Ciminos Western „Heaven´s Gate“ aus dem Jahr 1980. Der Film, ein grandioses Meisterwerk, dessen Produktionskosten Cimino durch seinen Perfektionismus höher und höher getrieben hatte, fiel in den USA bei der Kritik und an den Kinokassen komplett durch. Das traditionsreiche Studio „United Artists“, 1919 von Douglas Fairbanks, Mary Pickford, D. W. Griffith und Charlie Chaplin gegründet, ging daran bankrott oder ließ sich nach anderer Lesart vorsorglich von der MGM aufkaufen, da man glaubte, der eigene gute Ruf sei nun unwiederbringlich verloren und dieser Flop werde wenn nicht sofort dann bald in den Ruin führen.

Seit den sechziger Jahren war die Macht der Regisseure in Hollywood immer mehr gewachsen. Die größten Erfolge feierten die Individualisten und nicht die für den Kassenerfolg konzipierten Studioprojekte. Es war damals ganz selbstverständlich einem Mann, der kurz zuvor mit dem Vietnam-Epos „The Deer Hunters“ (deutscher Titel: Die durch die Hölle gehen) die wichtigsten Oscars gewonnen hatte, freie Hand zu lassen. Nach dem „Heaven´s Gate“-Debakel kehrten sich die Verhältnisse wieder um. Fortan bestimmten die Studios wieder die Richtung und sie bauten ihre Macht mehr und mehr aus.

Einhergehend mit dem Aufstieg des Internets, der neuen Reproduktionsformen wie der DVD und der Computertechnik samt ihrem Einfluss auf die Filmästhetik, wurde das Kino nun in einer radikalen Weise kommerzialisiert und von vielen schließlich nicht mehr als Kunstgattung sondern als Industriezweig angesehen.Im alten Hollywood war Kino beides gewesen, Kunst und Industrie, ab den sechziger Jahren hatte dann im Wind der französischen Nouvelle-Vague, die die großen alten und die progressiven, neuen Hollywood-Autoren feierte, die Kunst die Oberhand gewonnen, bis „Heaven´s Gate“ zum Waterloo dieses Eroberungszugs geworden war.

Fortan war fast allein noch die Industrie an der Reihe, die Blüten der künstlerischen Freiheit wurden gekappt, es herrschte die Reaktion. Ehrgeizige junge Regisseure wurden nun von den Produzenten in Los Angeles mit der Beißzange statt mit einem Händedruck begrüßt. Sobald hochtrabende Ambitionen bloß gewittert wurden, knallten die Türen schon zu.Die Pleite von Cimino und United Artists, wohlgemerkt herbeigeführt von einem der besten Filme, die je gedreht wurden, bedeutete einerseits den Untergang des „New Hollywood“ und seiner Ausläufer. Dazu gehören Werke wie Scorseses „Taxi Driver“, Coppolas „Apokalypse Now“, Ciminos bereits erwähnter Film „The Deer Hunters“ oder auch die Filme Robert Altmans und viele andere Klassiker. Andererseits bedeutete dieser Wechsel den endgültigen Aufstieg des Blockbusters, der nun zur alleinigen Maxime der Studios wurde.

Waren aber die Prototypen des Blockbusters, Spielbergs „Der weiße Hai“ und die „Star Wars“-Trilogie von George Lucas nicht nur gewaltige kommerzielle Erfolge, sondern auch künstlerisch überzeugend gewesen, so verselbständigte sich nach Ciminos artistischer Hybris die kommerzielle Seite. Ciminos Karriere war nach „Heaven´s Gate“ quasi zu Ende. Er drehte seither nur noch vier Filme und keiner von ihnen reichte mehr an das Niveau seiner ersten drei Arbeiten heran (er hatte vor „Deer Hunters“ mit dem wunderbaren Roadmovie „Thunderbolt und Lightfoot“ debütiert). Bis heute scheint man vielen Filmen in Hollywood nur noch soviel Niveau zu gönnen, wie es unbedingt nötig ist, um das erwünschte Geld in die Kassen zu spülen. Künstlerische Wagnisse, formale Experimente sind weitgehend noch immer verpönt. Der Stil der Filme hat sich immer mehr angeglichen.

Eine neue Bildsprache oder eine neue Weise des Erzählens, vergleichbar damit wie Coppola, Cimino oder Altman das Kino um Ausdrucksmöglichkeiten erweitert hatten, sucht man bei den meisten Filmen inzwischen vergebens. Nachwuchsregisseure haben es schwer. Einem Steve Kloves, der mit „Die fabelhaften Baker Boys“ einen der schönsten Filme der 80er Jahre nach einem eigenen Drehbuch inszenierte, gelang es nicht seine Regiekarriere fortzuführen. Er wurde dann der Drehbuchautor fast aller Harry-Potter-Filme, was für deren Qualität zu einem nicht unwesentlichen Teil den Ausschlag gab.

Auch viele Blockbuster der vergangenen Jahre haben nur noch eine geringe Haltbarkeit, räumen an der Kinokasse zwar ab, fallen dann aber, filmhistorisch betrachtet, bald dem Vergessen anheim. Zwar drehen Altmeister wie Scorsese und Coppola weiter, doch sie haben ja längst ihren Status erreicht, und insbesondere Scorseses Filme versprechen den Produzenten ja immer auch genügend Action und Unterhaltungswert. Daneben gab und gibt es natürlich eine Reihe von Vertretern des amerikanischen Independent-Kinos wie Jim Jarmusch, die die Fahne des Autorenfilms hochhalten.

Rund zehn Jahre nach „Heaven´s Gate“ trat mit den hinter die Kamera wechselnden Schauspielstars ein neues Phänomen auf, dem es gelang die reaktionäre, ökonomische Haltung der Studios etwas zu unterwandern. Stars wie Kevin Costner oder Clint Eastwood konnten es sich aufgrund ihres Ruhmes leisten auch gewagte Projekte in Angriff zu nehmen, zumal sie in vielen Fällen auch mit ihrem eigenen Geld dafür gerade standen – sie übernahmen neben der Regie (sowie oftmals der Hauptrolle) auch die Produktion: Neben Costner und Eastwood sind hier Mel Gibson, Robert Redford und neuerdings Sean Penn, George Clooney und Brad Pitt zu nennen.

Sie alle können es sich erlauben, die innovativen Wege zu gehen, die jungen Regisseuren von den Studios oft verwehrt werden. Die Macht der Schauspieler in Hollywood entspricht inzwischen der Macht, die in den 60er und 70er Jahren die Regisseure hatten. Darsteller wie Clooney oder auch Matt Damon geben sich seit Jahren mit den künstlerisch anspruchslosen Zielmarken der Studiobosse nicht mehr zufrieden und streben nach Höherem, nach dem alten Kino eben, das unterhaltsam und zugleich bedeutend war. Diese Schauspieler, ohne deren Namen die Firmen kein Geld verdienen, können jungen, begabten Regisseuren und Drehbuchautoren die Tür öffnen, haben es auch schon getan oder für eine geringe Gage in ambitionierten Filmen mitwirken. Der Politthriller „Syriana“ ist dafür ein herausragendes Beispiel.

Wie sehr das „Heavens Gate“-Trauma dennoch bis heute nachwirkt, zeigt Paul Thomas Andersons neuer Film „There will be blood“. In Hollywood haben einige bis heute nicht begriffen, dass „Heaven´s Gate“ den Ruin der United Artists wert war. Die überwältigende Größe des Films wiegt das Desaster locker auf. Es ist allerdings von bitterer Ironie, dass nicht ein misslungener, sondern ein in höchstem Maß gelungener Film die Ära des anspruchsvollen, mutigen Hollywood-Kinos beendete. Man sieht Andersons Film buchstäblich den Schatten des „Heaven´s Gate“-Dramas an. In einem Interview mit der Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung sagt Anderson denn auch:

„Mir war schon beim Schreiben klar, dass wir keine Chance hatten, viel Geld für diesen Film zu bekommen. Meine Filme spielen nicht viel mehr als die Produktionskosten ein, um große Summen kann man da nicht bitten.“

Der Geldmangel sei allerdings ein Vorteil gewesen. Er sei eine Herausforderung gewesen, die beim Arbeiten geholfen habe. Leider nur konnte sich Anderson nicht dazu durchringen ganz auf diesen Vorteil und die Independent-Karte zu setzen. So scheint es oft, als könne der Film sich nicht entscheiden, ob er episch und groß oder klein und schmutzig sein will. Im Grunde findet Anderson hier nicht zu einem eigenen Stil. In „Magnolia“, wo er Robert Altman nacheiferte, war er näher bei sich. Mal schießt einem Sergio Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“ durch den Sinn, mal Eastwoods „Unforgiven“, mal Altman, mal Scorsese oder eben Cimino.

Die zentralen stilbildenden Elemente des Films sind die drastische Performance von Daniel Day-Lewis, der alles dominiert, sowie die Musik des Radiohead-Gitarristen Johnny Greenwood. Folgerichtig erhielt „There will be blood“ von den wichtigen Oscars nur den für den besten Schauspieler, obwohl er auch für den besten Film und die beste Regie nominiert war. Andersons Inszenierung selbst kann dem nichts Gleichwertiges hinzufügen. Bilder und Musik brechen (möglicherweise absichtlich) auseinander. Und auch Daniel Day-Lewis´ Exzentrik sprengt hin und wieder den Rahmen.

Es hätte dem Film gut getan, wenn Anderson seinen Hauptdarsteller noch mehr in Schach gehalten hätte. Es gibt Szenen, in denen man spürt, dass Andersons ursprüngliche Intention auf mehr optische Pracht, mehr Reichtum des Dekors ging. Doch er hatte vielleicht Angst davor, dass es ihm so ergehen könnte wie Cimino. Er hat die Klugheit der alten Regisseure der Jahrzehnte von 1930 bis 1960, die sich mit den Studios zu arrangieren wussten und dennoch ihre Vorstellungen verwirklichten.

Anderson hat aus der Not des Geldmangels durchaus eine Tugend gemacht. In seiner schonungslosen Befragung der amerikanischen Geschichte und der Werte, auf denen die amerikanische Gesellschaft beruht, ist der Film „Heaven´s Gate“ sehr nah. Gewiss, er ist sehenswert, dem Gros der Hollywood-Produktionen weit überlegen, doch Vergleiche mit Klassikern wie „Red River“, „Giganten“ oder „Citizen Kane“, die Anderson wohl nicht nur insgeheim vor Augen standen, gehen für „There will be blood“ schlecht aus. Aber immerhin bemüht sich ein Film überhaupt um Größe und damit ist er auch einer strengen Kritik wert, die vielleicht etwas ungerecht ist, die aber von der Hoffnung getragen wird, dass es Anderson beim nächsten Mal sehr viel besser macht. Er hat das Zeug dazu, ein Werk zu schaffen, dass in einem Atemzug mit jenen legendären Filmen genannt werden kann.

Solche Bilder, eine solche Inszenierung wie in „Heaven´s Gate“ hatte man nie zuvor gesehen. „There will be blood“ wirkt daneben geradezu konventionell. Es gibt zu viele Einstellungen, denen man ihre Berechnung anmerkt. Man könnte soweit gehen zu sagen, dass sich der Film selbst zusieht, was dann auch dazu führt, dass sich der Betrachter beim Sehen des Films zusieht. Mag sein, dass da eine Methode dahintersteckt. Mag sein, dass es Andersons Absicht war, keine Behaglichkeit aufkommen zu lassen.

Die mythische Welt der Pionierzeit wird aufgebaut und zugleich dekonstruiert. Mit dieser Definition hat sich Anderson in einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ einverstanden erklärt. Dennoch ist es problematisch, wie Anderson die Dekonstruktion durchführt. Der Film breitet seine Stilmittel vor uns aus, doch gerade weil sie uns aufgezwängt werden, gelingt es ihnen nicht mehr jene unmerkliche Wirkung zu entfalten, die uns die Sichtweise des Films annehmen lässt und in Kontakt zu der darin vorgestellten Realität bringt.

Damit kein Missverständnis aufkommt: diese kritischen Anmerkungen wenden sich nicht gegen eine Inszenierungsform, die den Zuschauer statt in die Handlung hinein ihr gegenüber setzen will, wie es in Brechts Theorie des epischen Theaters heißt:

“Ich schaue mir beim Filmen zu, und man hört mich denken …“

sagte einmal Jean-Luc Godard, doch sogar seine hochreflexiven Filme, die auch vom Zuschauer ganz in Brechts Sinn permanent Reflexion über das Gesehene verlangen, bewirken im Betrachter jene höhere Art der Selbstvergessenheit, die die Begegnung mit großem Kino immer bedeutet, die aber keinesfalls gedankenlos ist. Vielmehr ist damit das Stadium der Rezeption gemeint, in dem wir den Film als etwas Seiendes und nicht als etwas Gemachtes wahrnehmen.

In „There will be blood“ stellt sich diese Selbstvergessenheit nicht ein. Hier zählt nicht allein die Wahrnehmung einer möglichst authentisch rekonstruierten historischen Wirklichkeit wie in „Heaven´s Gate“, sondern der Betrachter wird auch beansprucht durch die Art und Weise, in der sie erscheint. Es gibt keine Leichtigkeit, keine Beiläufigkeit in Andersons Inszenierung. Wir vergessen kaum einmal, wo die Kamera steht. Und die Figuren erreichen auch nicht jene Lebendigkeit wie noch in „Magnolia“. Es bleiben Darsteller, sie werden nicht in dem Maße zu Menschen, dass sie auch „außerhalb“ dessen, was uns der Film von ihnen zeigt, existieren.

Unter den Stilmitteln kommt wie schon erwähnt der Musik tragende Bedeutung zu. Anderson setzt sie als Kontrapunkt zu den Bildern ein, nicht illustrierend, sie drängt sich häufig auf, tritt noch vor die Bilder, geht selten eine Symbiose mit ihnen ein. Auch in Hitchcock-Filmen beispielsweise ist die Musik oft von eigenständiger Kraft, doch sie überlagert nie die Bilder. Diese können sich immer behaupten. Es wurde auch bereits darauf hingewiesen, dass es Andersons Film im Grunde an einem Plot fehlt. Es gibt zwar den Vater-Sohn-Konflikt und den Zweikampf zwischen Plainview und dem Erweckungsprediger Eli Sunday, doch es werden keine dramaturgischen Knoten geschnürt, keine langfristig tragenden Spannungsbögen entworfen. Dies rächt sich dann im Finale des Films, das aus zwei großen Dialogszenen besteht. Sie wirken, da sie auch nicht den Charakter eines Epilogs haben, wie dem übrigen Film angeklebt.

Die Begegnung Plainviews mit dem inzwischen erwachsen gewordenen Ziehsohn ist im Grunde überflüssig, deutet sie doch nur eine neue Geschichte an, die aber (leider) nicht mehr ausgeführt wird. Der Generationenkonflikt, von dem Hawks in Red River erzählt – die Rivalität zwischen einer autoritären, mächtigen Vaterfigur und einem Ziehsohn – wird bei Anderson gesprächsweise abgehandelt. Anderson erzählt vielmehr das, was Hawks aussparte. Hawks erzählt den Anfang und das Ende einer Geschichte, wobei das Ende – der große Viehtreck – eine Erzählung für sich darstellt. Anderson erzählt vom Aufstieg und ein wenig vom Ende. Der Showdown des Films dann, die letzte Konfrontation von Plainview und Sunday, ist zwar in sich großartig, folgt aber nicht zwangsläufig aus dem Vorangegangenen, man erwartete diese Konfrontation nicht, sie wirkt aufgesetzt, ist nicht organisch mit dem übrigen Film verbunden.

Von einer „Nummernrevue“ sprach der Online-Kritiker der „Süddeutschen Zeitung“ betreffs dieser beiden Dialogszenen nicht ganz zu Unrecht. Plainview hat keinen Partner wie ihn Dunson (gespielt von John Wayne) in Groot (gespielt von Walter Brennan) hat. Er ist radikal einsam. Wir sehen in ihm, was vielleicht aus Dunson ohne Groot geworden wäre. Der humane, bodenständige Diener und treue Kumpan, der Sancho Pansa, der Hofnarr, dem es als einzigem erlaubt ist, dem König die Wahrheit zu sagen, fehlt ihm. Es gibt nicht die warme Erzählerstimme, die aus der historischen Wahrheit eine Legende schafft und das Epos von der Eroberung des Westens trotz aller Gewalt gegenüber den einheimischen Indianern und der Natur in einen Zusammenhang übergeordneter Notwendigkeit fügt. In „There will be blood“ ist Amerikas Geschichte nichts weiter als ein Horrortrip Richtung Abgrund. Und wenn Plainview immer wieder sein Adoptivkind mit verzweifelten Gesten der Zärtlichkeit überfällt, ihm ruppig über den Kopf streicht, dann sind das die Momente, in denen seine Einsamkeit und Angst ganz und gar hervortritt und er zu ahnen scheint, das er Teil einer verhängnisvollen Entwicklung ist.

Im zweiten Teil geht Götz Kohlmann auf den zu Unrecht vergessenen Klassiker „Yellow Sky“ ein.

Sprecherin: Petra Steck

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