„Man sollte Korken vertreibende Männer nicht unterschätzen.“

Prof. Pu empfiehlt: Madame Cottard und eine Ahnung von Liebe von Rainer Moritz

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Es braucht ein Malheur im alten Pariser Wohnhaus, um die Buchhändlerin Nathalie Cottard und Robert Bernthaler, von Beruf Korkenverkäufer, zusammenzuführen.

Da stand sie, die Betroffene, und sah Monsieur Bernthaler langsam eintreten. Er wirkte überrascht von dem Menschenauflauf, für eine Umkehr war es zu spät. Sie ermunterte ihn mit Blicken, er versuchte dem Wortschwall der Soares zu folgen und begriff, was sie selbst erst vor wenigen Minuten begriffen hatte: ein Wasserrohrbruch im Haus, vielleicht waren andere Appartements in Mitleidenschaft gezogen, das gelte es zu prüfen. Robert stand unschlüssig da. Ob er heute abend schon in seiner Wohnung gewesen sei, fragte ihn Nathalie, die merkte, wie sie allmählich zur Ruhe kam.

Bisher haben sie sich nur gegrüßt, kannten kaum ihre Namen, doch da Madames Wohnung regelrecht geflutet ist, bietet er ihr ritterlich und ohne recht zu wissen, was er da eigentlich tut, für eine Nacht seine Gästecouch an. Spontaneität ist nicht gerade seine Stärke.

Gelegentlich, wenn er sich aus einer Laune heraus selbst beobachtete, begann er über sich selbst zu lächeln, fand er sich komisch. Wäre es nicht aufregender gewesen, den Tagesrhythmus umzustoßen, sich treiben zu lassen und beispielsweise erst nach dem Morgenkaffee zu duschen? In die Tat setzte er solche Überlegungen nie um. Zu intensiv spürte er in diesen wankelmütigen Momenten, dass er auf die Rituale angewiesen war, dass er sie benötigte, um sein Seelenleben im Gleichgewicht zu halten. Er brauchte den Halt des Immergleichen, obwohl er sich dafür ein wenig schämte.

Sie akzeptiert sein Angebot, ebenfalls ein wenig verwundert, ergreift dann aber beim ersten Glas Wein beherzt das Wort.

Lassen Sie uns gleich zur Sache kommen, rief sie. Robert biss in sein Käsestängelchen, um nicht reagieren zu müssen, schaute sie mit einem Blick an, dessen schafsäugige Verständnislosigkeit er zu gut von sich kannte. … Wir wollen, fuhr sie fort, uns das Leben nicht schwer machen, schließlich bilden wir dank Ihrer Freundlichkeit eine Zweckgemeinschaft für eine lange Nacht, und da wollen wir nicht um den heißen Brei herumreden. Normalerweise müssten Sie mich jetzt fragen, was ich beruflich tue, dann frage ich Sie das Gleiche zurück. Allmählich tasten wir uns in die persönlichen Lebensumstände vor, mit aller Dezenz natürlich, tauschen uns über deutsche und französische Eigenarten aus, geben unsere nicht beruflichen Interessen preis und sind froh, wenn uns die Balance zwischen Offenheit und Verschwiegenheit gelingt. So läuft es doch, Monsieur Bernthaler, oder?

So läuft es. Und es beginnt die schönste und behutsamste Liebesgeschichte jenseits der 40 –oh, Pardon, Madame ist 39 – die ich je gelesen habe. Schon als ich den Titel sah, wusste ich, ich werde dieses Buch lieben. Rainer Moritz schreibt so einfühlsam, dass man sich mitverlieben muss.

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Am Ende war ich ganz traurig, als ich die beiden verlassen musste, aber auch glücklich über die schöne Stimmung, die diese Geschichte jenseits aller Partnerschaftsbörsen, Communities und Speed Datings auslöst. Es ist ihm wunderbar gelungen, eine moderne und gleichzeitig altmodische Geschichte zu schreiben. Er beherrscht den Wechsel zwischen männlicher und weiblicher Perspektive auf das Feinste. So vorsichtig, abgeklärt und gleichzeitig sehnsuchtsvoll, wie die beiden sich zueinander verhalten, so habe ich den Roman auch gelesen, langsam und doch begierig auf den Fortgang ihrer Geschichte … Ich weiß schon, jetzt heißt es wieder, „Mädchenbuch“ – Jungs, lest es meinetwegen heimlich, aber lest es, es macht für ein paar Stunden glücklich, ehrlich. Und man(n) kann noch was lernen – wie attraktiv das Sammeln von Stilllebenpostkarten macht, zum Beispiel …

Rainer Moritz
Madame Cottard und eine Ahnung von Liebe
Piper 2009 € 16,95
978-3-492-05358-7

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