Roman, Krimi, griechische Tragödie und Schweizer Geschichte

Prof. Pu empfiehlt: Massimo Marini von Rolf Dobelli

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Mit freundl. Genehmigung des Diogenes-VerlagRolf Dobelli, eher bekannt als Autor von „Die Kunst des klugen Handelns“ und „des klaren Denkens“, erzählt in seinem Roman „Massimo Marini“ die Geschichte eines italienischen Immigranten in der Schweiz: Giovanni Marini aus Apulien, der sich Ende der Fünfziger Jahre als Saisonnier für eine Schweizer Stahlfabrik anwerben lässt. Er erzählt von der Fremdenfeindlichkeit, die den Italienern entgegenschlägt, vom restriktiven Leben in den Arbeiterbaracken. Schon die Begrüßung durch eine Vorgesetzte ist herb:

„Saisonnier bedeutet, dass Sie nach neun Monaten die Schweiz mindestens drei Monate lang verlassen müssen, selbst wenn Ihr Vertrag wieder erneuert wird. Saisonnier bedeutet auch, dass Sie weder den Kanton noch den Arbeitgeber wechseln dürfen. Es ist Ihnen nicht erlaubt, Ehepartner, Kinder, Eltern oder sonstige Familienmitglieder in die Schweiz nachziehen zu lassen. Ich wiederhole: Falls Sie Kinder haben, bleiben diese in Italien. Verstanden? Und – das ist wichtig – Sie dürfen keine Mietverträge abschließen.“

Während seines ersten Heimaturlaubs verliebt sich Giovanni in Giulietta, sie wird schwanger. Eine Abtreibung komme nicht in Frage, schreibt sie ihm nach Emmenbrücke.

Giovanni erstarrte das Blut in den Adern. Eine Familie in Italien, das vertrug sich mit seiner Stelle in der Schweiz etwa so gut wie eine Querschnittslähmung.

Doch Giulietta setzt sich durch. Auch sie lässt sich anwerben und schmuggelt den Säugling in einem Koffer in einer atemberaubenden Aktion über die Grenze. Acht Jahre lang wird Massimo mehr oder weniger versteckt. Dann bekommen seine Eltern endlich eine ständige Aufenthaltsgenehmigung, können heiraten und eine Wohnung mieten.
Giovanni, nach langen Jahren als Mineur beim Tunnelbau, erhält die Schweizer Staatsbürgerschaft und gründet eine eigene Tunnelbaufirma. Massimo, sein einziger Sohn, bewegt sich in der linken Szene, beteiligt sich an Krawallen, und hat mit allem, was seinem Vater etwas bedeutet, nichts zu tun. Seinen Eltern gaukelt er vor, Architektur zu studieren …
Massimos aufregendes Leben, sein Aufstieg, der doch noch irgendwann erfolgt, und sein tiefer Fall, wird erzählt von seinem Anwalt Wyss, der sich wegen Depressionen in einer Klinik aufhält und dem sein Arzt empfiehlt, zu schreiben.

„So kommen wir nicht weiter, Wyss. Sie verschanzen sich hinter dieser Marini-Geschichte.“
Ich zucke mit den Schultern.
„Dieser Massimo Marini ist Ihr Bunker.“

Warum nur will Wyss nicht an sein eigenes Leben heran?
Wie sehr der Anwalt mit dem Leben Massimos verstrickt ist, weiß er in diesem Moment selbst noch nicht …

Dobelli erzählt im Grunde drei Geschichten in diesem Roman, die von Giovanni und Massimo, die des Anwalts, und darüber hinaus berichtet er vom Bau des Gotthard-Basistunnels, an dessen Durchstich Massimos Firma im Buch arbeitet und der in realiter einmal der längste Eisenbahntunnel der Welt sein wird.
Wie oft bin ich schon durch den Gotthard gefahren, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, was für eine gigantische Arbeitsleistung in so einem Tunnel steckt. Ich mag solche Nebeneffekte beim Lesen von Romanen, en passant sinnvolle Dinge zu erfahren, um die man sich sonst vielleicht nie gekümmert hätte. Noch dazu in dieser genialen Mischung aus Roman, Krimi, griechischer Tragödie und Schweizer Geschichte.

Text und Podcast stehen unter einer Creative Commons-Lizenz.
Quelle: Petra Unger/SchönerDenken

Rolf Dobelli
Massimo Marini
Diogenes-Taschenbuch € 10,90
978-3-257-24092-4

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