Von Größen und Grödeln: Über Gulbransson, Thoma, Ganghofer und Slezak

Folge 703
PJ in Vakanz am Tegernsee. Er spricht über Gulbransson, Thoma, Ganghofer und Slezak
Länge: 08:25


Bräustüberl, Tegernsee: Die bedirndlte Kellnerin bringt unsere Maß Bier, drei helle, ein dunkles. Hier ist die bayrische Welt, wie sie sein soll: Eine Maß ist immer noch eine Maß und das ist ein Liter. Das Bräustüberl – ein mächtiges Gewölbe, in dem seit rund tausend Jahren Bier gebraut und ausgeschenkt wird. Es ist nicht ganz ausgemacht, daß es das zweitälteste Brauhaus in Bayern ist. Seit dem 19. Jahrhundert steht es unter der Leitung der Familie der Wittelsbacher, derzeit heißt die Chefin Maria Anna in Bayern (nicht: von Bayern).

Foto (c) PJ Klein 2014 Foto (c) PJ Klein 2014

Egern mit der Kirche St. Laurentius – auf dem Friedhof von Egern sind sie alle begraben: Gulbransson, Thoma, Ganghofer und Slezak.

Da sitzen an einem Tisch erkennbar teuer gewandete Menschen mit Tochter und Zamperl (hochdeutsch: Hund – eher klein). Am Nachbartisch teilen sich Jugendliche eine lange Wurstplatte, die sich über den ganzen Tisch erstreckt. Und am nächsten sitzen sie, die urigen Figuren aus Ludwig Thomas „Lausbuben-Geschichten“ – rotwangige, bärtige Männer, wohl beleibt und alle (na ja, fast alle) unter einem grünen Loden-/Filzhut mit zahlreichen Abzeichen besteckt. Ruhig reden sie, bedächtig, das bajuvarische Temperament ruht jetzt am frühen Abend noch wohl verwahrt unter den Wämsern.

Aber sie zeigen, daß hier die bayrische Welt noch in Ordnung ist, trotz der neureichen Promis aus dem nahen München und der vielen Fremden aus größerer Entfernung, ohne die diese Welt rund um den See kaum existieren könnte. Laut wird es dennoch; das mächtige Gewölbe transportiert den Schall in alle Richtungen, beinahe Schreien wird zur Konversationslautstärke. Das Bier jedoch dämpft die Trommelfelle, die mächtige Schweinshaxe macht innerlich schwer. Noch ein Maß und noch eines …

Zu Fuß am See entlang, begleitet von Blesshühnern, Reiherenten und Haubentauchern, nervt der Autoverkehr, der stetig in beide Richtungen strömt. Die Wegabschnitte am See eröffnen den Blick auf die Berge, das Wasser und die Orte auf der anderen Seite. Dennoch Kurwegcharakter.

In Tegernsee dann Olaf Gulbransson, ein eigenes Museum wurde dem Zeichner gebaut, von Theodor Heuss der Grundstein gelegt. Hier werden sie wieder lebendig, die Figuren aus Thomas „Lausbuben-Geschichten“, die Märchen von Hans Christian Anderson, die Gulbransson’schen Beschreibungen seiner Kindheit in Norwegen und seiner Anfangsjahre in München.

Trotz seiner Kritik an den Nazis lebte er bis zu seinem Tod 1958 oberhalb von Tegernsee auf dem Schererhof (Hohenlehen 4), also im deutschen Einflußbereich. Immerhin hatte er in den 20er Jahren die aufkommenden Nazis massiv im „Simplicissimus“ auf die zeichnerische Schippe genommen. Später hielt er sich zurück, ja er zeichnete sogar anti-britische Karikaturen, was ihm von einigen als Kollaboration mit den Braunen unterstellt wurde. Er sei nie ein politischer Zeichner gewesen, meinte er, er habe das gezeichnet, was ihn interessiere.

Die Zeichnungen Gulbranssons zu den Thoma’schen „Lausbuben-Geschichten“ geben auf ihre Art die Haltung Thomas wieder, der die spießigen, manchmal etwas verschlagenen, aber dennoch liebenswerten Bayern treffend charakterisierte.

Sein Held Ludwig will eigentlich ein braver Junge sein, ordentlich lernen und seiner verwitweten Mutter keinen Kummer machen. Aber andererseits will er sich von Lehrern, Pfarrern und anderen Repräsentanten der Obrigkeit nicht alles gefallen lassen, er muß dann schon mal einen deftigen Lausbubenstreich inszenieren. So typisch wie die Charaktere Thomas, so eingängig und Typen schaffend sind dann auch Gulbranssons Zeichnungen. Schon damals kamen die „Preußen“ nach Bayern, um sich in der Sommerfrische zu erholen. So kommt der Kontakt Ludwigs mit dem „vornehmen Knaben“ zustande.

„Bei uns sind sie am Abend vorbei, wie wir gerade gegessen haben. … Da ist er hergekommen mit seiner Frau und hat gefragt: „Was essen Sie da?“ Wir haben Lunge mit Knödel gegessen und meine Mutter hat es ihm gesagt. … Da hat er zu er zu mir gesagt, was ich bin, und ich habe gesagt, ich bin ein Lateinschüler. …Er hat mir den Kopf getätschelt und hat gesagt: „Ein gescheiter Junge; du kannst einmal zu uns kommen und mit meinem Artur spielen. Er ist so alt wie du.“

Das gemeinsame Spiel endet damit, daß der Spielzeug-Kreuzer des Knaben im Weiher versenkt wird. Die Explosion bringt den Rafenauer, den Teichbesitzer, auf den Plan, der dem armen Artur einige Ohrfeigen verpasst, während Ludwig rechtzeitig das Weite gesucht hatte. Das beendete den Kontakt zu den vornehmen Preußen.

„Ich bin nicht mehr eingeladen worden, aber wenn mich der Herr sieht, hebt er immer seinen Stock auf und ruft: ‚Wenn ich dich mal erwische!‘ Ich bin aber nicht so dumm wie sein Artur, daß ich stehenbleibe.“

Nicht zu vergessen Leo Slezak, in den 20er und 30er Jahren weltberühmter Tenor und Filmschauspieler aus Wien, der es bis in die Metropolitan schaffte. Er hatte sich ebenfalls hier am See ein Haus gekauft und so kann man vermuten, daß in dieser Zeit das kulturelle Leben am Tegernsee florierte. Denn der Dritte im Bunde lokaler, historischer Größen ist Ludwig Ganghofer; er traf sich mit Thoma und Slezak im Gasthof „Überfahrt“ zum Kartenspielen. Heute ist das Haus von Leo Slezak das Café und Hotel „Malerwinkel“. Denn nach seinem Tod 1946 konnten die Nachfahren das Haus nicht halten, der Bürgermeister bemühte sich vergeblich, das darin entstandene Leo Slezak-Museum zu erhalten …

Flaniert man am Tegernsee entlang, begegnen einem zwar nicht mehr solche Persönlichkeiten, doch ein Haus gönnt sich hier so mancher, sei es Michail Gorbatschow oder Uli Hoeneß. Und wenn man schon „a Göld hat“, dann muß man das halt auch zeigen – dies erzeugt unter anderem eine überdurchschnittliche Pelzmantel-Dichte. So kann man an der Garderobe bestimmter In-Restaurants einen echten sibirischen Leoparden streicheln oder mal beherzt in einen Loden langen.

Trachten sind zu bestimmten Anlässen das absolute Muss; ich assoziiere, daß regional typische Trachten normalerweise in Gegenden vorkommen, die vom internationalen Handel und Wandel weitgehend unberührt blieben …

So erstaunt es nicht, daß eine „Schutzgemeinschaft Tegernsee“ massiv gegen bestimmte Bauprojekte zu Felde zieht. Eine sechsstöckige Klinik ist bestimmt diskussionswürdig, ob dies auf eine Almenwelt oder ein Billighotel zutrifft, sei dahin gestellt. Naturnähe kontra Tourismus. So verzeichnen die Gastgeber rund um den See jährlich rund 1,5 Millionen Übernachtungen – Tendenz steigend. Sicher ist, die mehrfach wiederholte, verwunderte Frage des Sommerfrischlers aus Berlin, der in Ludwig Thomas „Lausbuben-Geschichten“ das Dörfchen samt Familie besucht „Ich möchte mal wissen, von was die Leute hier leben“ kann man leicht beantworten: Sie leben von den Touristen und vom Geld.

Rund um den Tegernsee gibt es unzählige gut beschilderte Wanderwege, da ist für den Flachlandtiroler was dabei sowie für den alpin Ambitionierten. Immer wieder eindrucksvoll – die Panoramablicke über See und Alpengipfel. Im Winter sind Grödeln angesagt; das ist nicht etwa die neueste Mode der Schickeria, sondern es sind schlicht Halbsteigeisen für leichte Wanderungen auf Forstwegen. Denn diese sind oft vereist und daher trotz Splitstreuung nur mühsam zu begehen. Selbstverständlich gibt es einfache Grödeln-Modelle beim Discounter (bayrisch: Grödl’n) sowie Modelle für den besonderen Geschmack. So driftet man zwischen Natur und Restkultur hin und her; wundert sich, genießt die bayrischen Schmankerl und wenn die Überernährung droht, wandert man einfach stundenlang durch die heilklimatische Atmosphäre …

Text und Podcast stehen unter der Creative Commons-Lizenz BY-NC-ND 4.0
Quelle: PJ Klein/SchönerDenken (Direkter Download der Episode über rechte Maustaste)


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