Prof. Pu empfiehlt: „Das Geburtstagsgeschenk“ von Barbara Vine
[display_podcast]
„Das Geburtstagsgeschenk“ – so nannten es Iris und ich später immer, statt von dem Unfall zu sprechen. Damals, im Frühjahr 1990, hatten wir natürlich keine Ahnung von Ivors Plänen, wir wussten nur, dass er an einem Freitag um den 17. Mai herum unser Haus haben wollte, und etwas später kam heraus, dass der 17. Mai Hebes Geburtstag war.
Es hätte für ihn alles glimpflich ablaufen können. Aber wie das so ist, wenn man etwas verbergen will, auch wenn sich niemand darum schert, beginnt man sich merkwürdig und rund um das zu Verbergende widersprüchlich zu verhalten, ganz so, als ob unsichtbare Fäden einen zur Wahrheit steuern. Manche Menschen wollen ertappt werden. Ivor Tesham, wohlhabender britischer Parlamentsabgeordneter, Lebemann und Machtmensch, will seiner verheirateten Geliebten Hebe Furnal ein sehr besonderes Geburtstagsgeschenk machen. Beide lieben erotische Spiele, und um ihr eine Freude zu bereiten, läßt er sie mit verbundenen Augen von zwei Bekannten auf Bestellung in einer Limousine „entführen“ und in die Villa seiner Schwester bringen.
Sein Schwager, eingeweiht in seine Eskapaden, erzählt das Geschehen im Rückblick und mit typisch britischer Distanz und Ironie. Leider geht die Sache schief: Der Wagen mit den beiden Entführern und der Geliebten verunglückt, der Fahrer und die Frau kommen dabei um, der zweite Mann liegt monatelang im Koma. Die Polizei geht von einer Verwechslung des Entführungsopfers aus, hatte doch Hebe große Ähnlichkeit mit einer Millionärsgattin. So weit, so gut für Ivor Tesham, keine Spur führt zu ihm und den Verlust seiner Geliebten trägt er mit Fassung.
Doch dann beginnt Barbara Vine, ein sehr spannendes Beziehungsgeflecht zu spinnen. Es gelingt ihr, diese Bedrohung, die zu Beginn real nicht existiert, sowohl Tesham als auch den Leser körperlich spüren zu lassen. Das ganze Buch hindurch fragt man sich immer wieder, warum tut er das? Warum nur? Vier Jahre lang beobachtet sie ihn und die mehr oder weniger Beteiligten, bis alles ans Licht kommt. Seine Paranoia taucht in Wellen auf, vor allem hat er Angst, der Komapatient könne eines Tages aufwachen und ihn verraten.
Dann ist da noch die Freundin der verunglückten Geliebten, Jane Asherton, „Alibi-Lady“ genannt, die ihn erpressen möchte, sich aber zunächst doch nicht so recht traut, vor allem, weil sie sich vor dem arroganten Tesham fürchtet. Absurderweise sucht er dann auch noch die Nähe der Ex-Freundin des verstorbenen Fahrers, sie weiß über die Sache Bescheid, und macht sie in sich verliebt. Endgültig ins Geschehen eingreifen möchte man, als er beginnt, die Familie des mittlerweile aus dem Koma erwachten, schwer behinderten „Entführers“ zu besuchen. Eingestreut zwischen die Berichte seines Schwagers sind Tagebucheinträge Jane Ashertons, die die ganze Geschichte in ihrer Komplexität abrunden. Die unsichtbaren Fäden Ivors ziehen auch sie mit …
Ein Roman mit beunruhigender Sogkraft hinunter in die Untiefen der menschlichen Psyche, kaum aus der Hand zu legen.
Barbara Vine
Das Geburtstagsgeschenk
Diogenes € 19,90
978-3-257-06731-6