Prof. Pu empfiehlt: „Bel Canto“ von Ann Patchett
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Mit den Worten „Bei mieser Stimmung ist Bel Canto besonders zu empfehlen“ bekam ich dieses Buch überreicht – schlechte Stimmung hatte ich nicht, aber drei Tage mieses Urlaubswetter und es war die perfekte Lektüre.
Die Regierung eines armen südamerikanischen Staates schenkt Herrn Hosokawa, dem Vorstandsvorsitzenden eines großen japanischen Konzerns, zum Geburtstag einen Empfang. Um seine Liebe zur Oper wissend, engagieren sie für diesen Abend eine berühmte Sopranistin, Roxane Coss. Alles in der Hoffnung, daß die Japaner daraufhin in ihr Land investieren, ebenso wie die anderen illustren internationalen Gäste.
Manche von ihnen liebten sie schon seit langem. Sie hatten daheim jede Aufnahme von ihr. Sie führten ein Notizbuch, in dem sie jeden Ort eintrugen, an dem sie sie gesehen hatten, in welcher Oper, mit welcher Besetzung, unter welchem Dirigenten. Andere, die an dem Abend da waren, hatten ihren Namen nie gehört – Leute, die, wenn man sie gefragt hätte, gesagt hätten, die Oper sei für sie ein sinnloses Gejaule und lieber säßen sie drei Stunden auf dem Zahnarztstuhl. Das waren diejenigen, die jetzt unverhohlen weinten, die, die sich so furchtbar getäuscht hatten.
Doch während ihres Auftritts geht plötzlich das Licht aus und als es wieder hell wird, haben sich neue Gäste im großen Wohnzimmer des Vizepräsidenten eingefunden: Terroristen des Kommandos „La Familia de Martin Suarez“ nehmen alle Anwesenden in Geiselhaft. Leider haben sie ihr eigentliches Ziel verfehlt. Sie wollten den Präsidenten kidnappen, doch der hatte kurz vorher beschlossen, dass er lieber seine Lieblingssoap im Fernsehen anschauen möchte und glänzt mit Abwesenheit. Die Kidnapper sind fassungslos.
Der General, der Benjamin hieß, hatte sein Gewehr schon entsichert und war bereit, an dem Vizepräsidenten ein Exempel zu statuieren und ihn ins Jenseits zu befördern, doch die Geschichte mit der Lieblingsserie hielt ihn davon ab. So schmerzlich die Erkenntnis war, dass fünf Monate Vorbereitung auf diesen einen Abend, auf die Entführung des Präsidenten und womöglich den Sturz der Regierung, vergeblich waren und er statt dessen nun zweihundertzwanzig Geiseln am Hals hatte, die vor ihm auf dem Boden lagen – die Geschichte des Vizepräsidenten klang absolut überzeugend. Niemand hätte sich so etwas ausdenken können. Es war einfach zu billig und banal.
Dumm gelaufen. Einerseits, denn aus Liebe zur Opernsängerin will der diabeteskranke Pianist nicht mit den Frauen, Alten und Kranken die Villa verlassen, und stirbt im anfänglichen Tumult aus falsch verstandenem Heldentum. Andererseits beginnt nun ein zauberhaftes Märchen über das Sich-Abfinden mit Unvorhergesehenem, vom Geben und Nehmen, vom Lernen und Lehren und vor allem über die Liebe.
Alle verlieben sich in die Sopranistin, auch der Schweizer vom Roten Kreuz, der täglich die Verpflegung bringt und die Botschaften der Terroristen mit hinaus nimmt. Bis auf den Japaner Gen, der vielsprachige und ständig beschäftigte Übersetzer Herrn Hosokawas, er verliebt sich in die Terroristin Carmen. Und bringt ihr Spanisch bei.
Cesar, ein junger Terrorist, entdeckt seine Stimme und erhält Gesangstunden bei Roxane. Der Vizepräsident beginnt seine „Gastgeberpflichten“ zu lieben, der französische Diplomat seine abwesende Ehefrau und das Kochen. Einer der Kommandanten spielt täglich Schach mit Herrn Hosokawa, beim Zuschauen erlernt einer der jungen Geiselnehmer das Spiel. Der Pfarrer, der nicht gehen wollte als man es ihm anbot, liebt es, endlich täglich die Messe lesen zu dürfen. Und noch mehr liebt er es, der Sängerin von draußen Noten zu organisieren. Der Finanzchef des japanischen Konzerns entpuppt sich als der perfekte Begleiter am Klavier für die täglichen Übungsstunden der Sopranistin. Alle hören ihr jeden Tag zu.
Eines Tages, Monate sind vergangen, erlauben die Terroristen ihren Geiseln sogar, sich im Garten aufzuhalten. Man hat sich miteinander arrangiert, und nicht wenige, von beiden Seiten, wünschen sich, es könnte immer so bleiben. Selig im Miteinander, mit dem göttlichen Gesang, im Spiel und in der Liebe. So wie die Geiseln und ihre Kidnapper vergisst man beim Lesen, was sie alle zusammengeführt hat, so schön und mit sehr viel Humor beschreibt Patchett die Erfahrungen und Gedanken aller. Doch die Realität draußen vor den Mauern der Villa holt sie mit Gewalt ein und am Ende gibt es Tote, aber auch ein neues und ein altes Paar, die die Erinnerungen an die verzauberten Stunden und die Verluste wachhalten werden.
Ein wunderschönes Buch über Mitmenschlichkeit und die Liebe zur Musik. Sicher flammte in meinem Kopf immer wieder das Wort „Stockholm-Syndrom“ auf. Der Idee Ann Patchett liegt eine viermonatige Geiselnahme in der japanischen Botschaft Limas im Jahre 1996 zugrunde. Doch dieser berührende Roman schafft eine Atmosphäre, der man sich mit Freude ergibt und Realitäten mit Wonne beiseite schiebt. Noch lange dachte ich an Carmen und Gen, Herrn Hosokawa und den verliebten russischen Minister Fjodorow. Wirklich die perfekte Lektüre bei mieser Stimmung oder miesem Wetter!
Ann Patchett
Bel Canto
Serie Piper € 9,95
978-3-492-24252-3