Prof. Pu empfiehlt: Die Welt von gestern in Farbe: Wien
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Ob meine Liebe zu Wien genetisch bedingt ist – mein Urgroßvater war Fiaker-Kutscher im ehemaligen K.u.k-Gebiet – oder an der frühkindlichen Prägung durch die Sissi-Filme liegt – ich kann alle drei Teile mitsprechen – weiß ich nicht.
Zwar war ich bisher wesentlich häufiger in Paris oder Florenz, aber Wien hat einen besonderen Platz in der Reihe meiner Lieblingsstädte. Ich liebe seine Küche, vor allem sein Zuckerwerk, seine angeborene Melancholie, die Museumskultur und den wienerischen Dialekt. Deswegen musste ich mir auch unbedingt dieses Buch sofort zulegen. Eine Rolle spielte bestimmt auch, dass mein Vater meine ersten Babyfotos mit der Hand kolorierte, was mich von klein auf sehr beeindruckt hat.
60.000 Glas-Diapositive, von Miniaturkünstlern handkoloriert und wie durch ein Wunder erhalten, hat man vor kurzem im Österreichischen Volkshochschularchiv gefunden. Sie dienten der Illustration von Vorträgen der Wiener Urania, einem Volksbildungsverein, der sich um 1900 dem Kampf gegen „Schundfilme und Boulevardunterhaltung“ widmete. Die Dias wurden mittels eines Skioptikums, dem Vorläufer des heutigen Beamers, gezeigt. Und jetzt sind sie in diesem wunderbar nostalgisch anmutendem Prachtband zu bestaunen.
312 farbige Abbildungen aus dem Wien der Jahrhundertwende, dem Wien Kaiser Franz Josephs, dem Herrscher über elf Völker und vielen weiteren Volksgruppen der Donaumonarchie, deren Namen für uns so fremd klingen: Huzulen, Hannaken, Batschka-Rusinen, Lipovaner, Ladiner. Ihre prachtvollen Trachten kann man darin bewundern, die Parade der unterschiedlichen Kutschen und Pferdefuhrwerke und die vielen verschiedenen Uniformen, die damals auf den Straßen zu sehen waren.
Köstliches Zeitkolorit bieten die vielen Straßenhändler mit ihren bizarren Namen wie „Salamutschi“, dem italienischen Salamihändler, dem „Planetenverkäufer“, der mit Hilfe eines Papageis Horoskopzettel verkaufte oder den „Fratschlerinnen“, so nannte man die Marktfrauen auf dem Naschmarkt. Das Buch ist eine Wundertüte für Volkskundler und alle, die sich für Alltagsgeschichte interessieren. Die Motive erinnerten mich an die Fotografien August Sanders, nur eben wunderbar bunt und lebendig, man kann das Kaspertheater im Prater förmlich hören, an dessen Sichtschutz die Zaungäste kleben, genauso wie den Ausrufer vor dem Flohzirkus.
Die Auswahl aus dieser Menge ist sicher nicht leicht gewesen, sie ist den Herausgebern sehr gut gelungen:
„Jede einzelne Photographie zeigt uns Wien, wie es einmal war und wie es noch kein Nachgeborener gesehen hat.“
Ein Buch voller Poesie.
Die Welt von gestern in Farbe: Wien
Hrsg. von Christian Brandstätter
Brandstätter € 39,90
978-3-85033-237-8
Die Welt von gestern in Farbe: Wien, Postkartenbuch
Brandstätter € 8.-
978-3-85033-294-1