BIG IN JAPAN: SchönerDenken berichtet vom Filmfestival “Nippon Connection” und widmet auch sonst den ganzen April der japanischen Kultur: Martina macht uns – auf eine sehr persönliche Art – mit Yukio Mishima bekannt:
Annäherung an einen angekündigten Tod
„Als Begleiter fürs Gemüt haben wir in jungen Jahren Freunde und Bücher. Freunde freilich besitzen einen Körper aus Fleisch und Blut und ändern sich fortwährend. Die in einem bestimmten Stadium empfundene Begeisterung erkaltet im Verlauf der Zeit, und mit einem anderen Freund entwickeln sich andere Leidenschaften. Auch für Bücher trifft dies in gewissem Sinne zu. So kann es durchaus sein, daß uns ein Buch, das in der Jugend den heftigsten Eindruck und Einfluß auf uns ausübte, Jahre später bei neuerlicher Lektüre fade und blutleer wie ein Leichnam erscheint. Dabei besteht der größte Unterschied zwischen Freunden und Büchern darin, daß zwar Freunde sich wandeln, Bücher als solche hingegen nicht. Mag ein Buch auch vergessen in einem Winkel des Regals stehen, so bewahrt es doch, wie verstaubt auch immer, hartnäckig seine Existenz und seine Ideen. Nur wir sind in der Lage, an ihm eine Veränderung zu bewirken, nämlich je nachdem zu welcher Haltung wir uns diesem Buch gegenüber entschließen, ob wir uns ihm nähern oder von ihm entfernen.“
(Yukio Mishima: Zu einer Ethik der Tat. Einführung in das „Hagakure“, die Samurai-Lehre des 18. Jahrhunderts. Hanser: Edition Akzente 1987)
Yukio Mishimas Werk ist mir stets nahe. Daß ich in meinem Leben zu ihm fand, ist nicht verwunderlich: Anfang der 80er Jahre verband sich meine Liebe zu Thomas Mann, meine Affinität zur sogenannten „Dekadenzdichtung“ der Jahrhundertwende und meine damalige ästhetische Selbstdefinition mit der Musik von Japan, Ryuichi Sakamoto und Masami Tsuchiya. Ich reiste David Sylvian hinterher und verteilte im Freundeskreis missionarisch Videokassetten mit der ungeschnittenen Version von „Furyo – Merry Christmas, Mr. Lawrence“.
Damals trug ich ausschließlich schwarz, perlgrau und blaßgelb und stets schwarze Spitzenhandschuhe, die die Finger freiließen. Mein zu dieser Zeit makelloser Rücken im hinten tief ausgeschnittenen schwarzen Etuikleid bekam beim AstA-Sommerfest 1984 den Titel verliehen: „Weißester Rücken des Campus“, worauf ich noch heute stolz bin ?.
Ich aß nur helle Lebensmittel (weißes Fleisch, Milchprodukte, Reis, Hirse, Dinkel, Weißbrot, Trauben) und rauchte stangenweise Santos Dumont Super Length.
Da kamen mir die japanische Teezeremonie und allgemein eine japanische Ästhetik gerade recht: eine hochstilisierte Formenwelt, gesittet, überfeinert, sinnlich und auf eine mich im tiefsten Inneren stark ansprechende Weise EBENMÄSSIG.
Ich fing an, manisch japanische Literatur zu lesen; zu besonderen Lieblingen wurden Yasunari Kawabatas „Schönheit und Trauer“, Kenzaburo Oes „Der stumme Schrei“ und Yasushi Inues „Der Tod des Teemeisters“ (alle mehr als empfehlenswert!).
Dann kam der „Großen Welle vor Kanagawa“ gleich Yukio Mishima über mich; ich stolperte über den „Schnee im Frühling“ und ging zwei Tage nicht an die Universität, um das Buch ohne Unterlaß lesen zu können.
Um es jetzt endlich mal kurz und salopp zu machen: Mishima warf mich um, trieb mich zu Tränen und was der Superlative mehr sind. Seine Poesie ist, um es mit Nietzsche zu sagen, reinste „Nervenkunst“, so unglaublich elegant und edel, und sein stetes Auf und Ab von Lebensbejahung und Lebenslust, Lebensüberdruß und Todessehnsucht, selbstreferentiell, aber mit Weitblick, japanisch und zugleich zutiefst europäisch, diese Mischung aus ästhetischer Moderne und subjektiver Rückwärtsgewandtheit fasziniert mich noch heute. Die Überfeinerung und Weltflucht seiner Bücher, gepaart mit Tatkraft und Wucht, schafft eine künstliche Totalität, in der ich aufgehen kann.
Mishimas Werk beherrscht die Kunst der Bezauberung, Verführung und Betörung und ist dabei von einer solch stilvollen Würde, Vornehmheit und Unnahbarkeit, daß der Akt des Lesens einer Andacht gleicht.
Auch wenn von uns Europäern als brutal und abstoßend empfundene Sachverhalte geschildert werden, geschieht dies auf eine so kultivierte und artifizielle Art und Weise, so virtuos und sprachlich harmonisch, daß die Bezauberung anhält. Um es mit Arnold Schönberg zu sagen: „In der Kunst sollte es keine Aufgeregtheit geben. Wahre Kunst ist kalt.“
„Ich nahm das Messer aus dem Futteral und leckte an der Klinge. Die Klinge beschlug sogleich, und ich fühlte auf der Zunge unter der klaren Kälte etwas wie eine ferne Süßigkeit. Diese Süßigkeit aus dem Innern des dünnen Stahls, aus dem unerreichbaren Wesensgrund des Stahls, teilte sich wie ein zarter Reflex meiner Zunge mit. Diese klare Form, dieser Glanz des Eisens, ähnlich dem Indigoblau der tiefen See … sie trugen die klar kühle Süßigkeit, die mit der inneren Feuchte ständig meine Zunge umspülte. Über eine Weile entschwand die Süße. Freudig dachte ich an den Tag, an dem mein Fleisch vom Sprudeln dieser Süße berauscht sein würde. Der Himmel des Todes klarte auf und schien mir dem Himmel des Lebens gleich. Ich vergaß die düsteren Gedanken. In dieser Welt existierte kein Schmerz.“
(Yukio Mishima: Der Tempelbrand. Goldmann 1988)
Bekanntermaßen begrenzt Yukio Mishima sein Leben auf 45 Jahre. Bei seiner Beerdigung sagt seine Mutter:
„Sie hätten rote Rosen für ein Fest mitbringen sollen. Zum ersten Mal in seinem Leben hat er getan, was er dringlich und immer tun wollte. Seien Sie glücklich für ihn.“
(zitiert nach Fritz J. Raddatz: Sterben ist Kultur. Porträt des japanischen Exzentrikers, Selbstmörders und Dichters Yukio Mishima. Zeit online 48/2000)
Tat und Tod sind bei Mishima ein siamesisches Geschwisterpaar. Dabei ist der Tod bei Mishima kein natürlicher, womöglich nach einer schweren Krankheit oder schlicht im Alter. Solange das Individuum die Freiheit besitzt, sich aus dem Leben heraus für den Tod zu entscheiden, ist das selbstbestimmte Sterben für Mishima die einzig mögliche Tat, die den Kreislauf des Lebens beschließt.
„Und dennoch: zuletzt verengt sich alles auf das ganz und gar vereinzelte, individuelle Problem des Schreibenden zwischen Fiktion und Realität. Den jungen Isao in ‚Unter dem Sturmgott’ läßt Mishima vor dem Seppuku das eine, diesen Tod begründende Attentat ausführen. Er selbst begnügt sich am 25. 11. 1970 mit einem Aufruf zur ‚Restauration’, der nie ein Echo gefunden hat. Es war sein Dilemma: daß er die dem ‚Hagakure’ zugrundeliegende ‚Ethik der Tat’ in ihrer allgemeinen Gültigkeit erkannte, nicht aber die Geduld jenes weisen Samurai aus dem Saga-Clan aufbrachte, mit der einer den natürlichen Tod, einen durchaus nicht schmählichen Tod, zu erwarten vermag.“
(Siegfried Schaarschmidt: Mishima und die Vorstellung vom Samurai. Hanser 1987)
Das, was Schaarschmidt als Dilemma bezeichnet, ist in meinen Augen die einzig mögliche Konsequenz für Mishima. Wie andere bedeutende Künstler mit Suizidneigung und Todessehnsucht vor und nach ihm sieht er in seinem Tod sein letztes und wichtigstes Kunstwerk.
„Wenn eine Kunst nicht ständig von Außerkünstlerischem bedroht, von ihm inspiriert wird, verdorrt sie augenblicklich. Daher hat eine Kunst wie die Literatur, indem sie ihr Material üblicherweise dem Leben entnimmt, das Lebendige als solches sowohl zur Mutter wie gleichzeitig auch zum Feind, ist das Lebendige als solches im Innern des Künstlers geborgen und bildet gleichzeitig doch die ewige Antithese zur Kunst.“
(Mishima, Ethik der Tat)
Oder schlicht:
„Doch mein Herz sehnte sich nach Tod und Nacht und Blut.“
(Yukio Mishima: Geständnis einer Maske. Rowohlt 1985)
Andere, die Mishima persönlich kannten, interpretieren den schon in den frühesten Werken des Autors sichtbaren Todesdrang und die Hinwendung zu einer reinen, überhöhten, unvergleichlichen Art des Freitodes, dem Seppuku, im Kontext seiner deutlich zutage tretenden und viele Werke beherrschenden Homosexualität.
Diese war und ist in Japan nicht mit einem solchen Stigma wie in der christlich zwangsgeprägten westeuropäischen Kultur belegt und gerade aus der Kriegerklasse der Samurai bekannt: Für einen jungen Samurai war es gang und gäbe, bei einem älteren in die Lehre zu gehen, und ebenso üblich gingen die beiden dann auch eine „Shudo“-Beziehung ein, eine homosexuelle Verbindung. Dazu muß man wissen, daß die japanische Gesellschaft auch heute zwischen Sex, der dem Vergnügen dient und bei dem die homosexuelle Variante genauso toleriert wird wie die heterosexuelle, und der gelebten Partnerschaft, bei der für schwule Paare keine gesellschaftliche Akzeptanz zu erwarten ist, unterscheidet. So kann Mishima wohl mit seinen Liebhabern zusammen sein, aber trotzdem eine Ehefrau und Kinder haben.
„Harakiri stellte für ihn die höchste Form des sexuellen Aktes dar – die ‚Masturbation in höchster Vollendung“, wie er sich einem Besucher im Sommer 1970 gegenüber äußerte. Da er glaubte, daß die großartigste Form eines schönen Ereignisses der gewaltsame Tod eines Jünglings sei, konnte er mit fünfundvierzig nicht mehr lange warten.“
(Henry Scott Stokes: Yukio Mishima. Leben und Tod. Goldmann 1986)
Morgen folgt der zweite Teil der Annäherung an den angekündigten Tod des Yukio Mishima.