BIG IN JAPAN: SchönerDenken berichtet vom Filmfestival “Nippon Connection” und widmet auch sonst den ganzen April der japanischen Kultur: Martina macht uns – auf eine sehr persönliche Art – mit Yukio Mishima bekannt:
Annäherung an einen angekündigten Tod
In seinem literarischen Schaffen verwischt Mishima die Grenzen zwischen dem inszenierten Theatertod und dem Tod als Realität. Bereits in Mishimas Sensationserfolg von 1949 „Geständnis einer Maske“ tritt das Lebensthema des gerade mal 24-Jährigen voll ausgereift zutage. Der „literatursüchtige“ Mishima, der schon in jungen Jahren Rilke und Thomas Mann, Oscar Wilde und André Gide verschlungen hat, scheint Platens „Wer die Schönheit angeschaut mit Augen, ist dem Tode schon anheimgegeben“ verinnerlicht zu haben. Homosexualität und Todessehnsucht, Selbstverwirklichung und Selbstzerstörung werden Leitmotive auch seines Werkes.
Es folgen Theaterstücke, Romane, Reiseberichte, Short Stories und klassische Nô-Spiele. Japanische Tradition und westliche Einflüsse verbinden sich auf makellose Art und Weise zu einem stimmigen Ganzen. Mishima wird in Japan ein Star, seine Bücher Bestseller, sie werden verfilmt und gewürdigt. Er wird reich, führt ein extravagantes und exzentrisches Leben, verbreitet in einer narzißstischen Selbstinszenierung u.a. auch Aktfotos von sich – und mutiert zu seinem eigenen ästhetischen Vorbild, lebt seine eigene Idolatrie:
„… das Bildnis des Dorian Gray und Mr. Dorian Gray in einem“
(Raddatz, Sterben ist Kultur)
Dabei ist er niemals nur ein selbstverliebter oberflächlicher Dandy; Ausschweifungen sind nur Momentaufnahmen. Sein Lebensthema bleibt stets die Kunst, wie man sich mit dem Tod vertraut macht, ihn willkommen heißt und beherrscht.
„Die Japaner sind ein Volk, das immer ein geschärftes Bewußtsein hatte für den unmittelbar hinter dem Alltag stehenden Tod. Doch ist die japanische Vorstellung vom Tode klar und unmittelbar, und insofern unterscheidet sie sich von der abscheulichen, schreckenerregenden Gestalt des Todes, wie sich ihn andere Völker denken. Das im mittelalterlichen Europa übliche Bild vom Tod als Sensenmann hat sich in japanischen Köpfen nie ausgeprägt. Auch mit den Darstellungen des Todes in einem Land wie Mexiko, wo noch heute nahe den modernen Großstädten die von seinen herrischen Fratzen überwucherten, unter der wilden Sonne vom Gestrüpp der Sommergräser bewachsenen Ruinen der alten Azteken und Tolteken aufragen, hat das Bild, das sich die Japaner vom Tod machten, nichts zu tun. Es war kein gewalttätig gedachter Tod, der die Kunst der Japaner über lange Zeit bereicherte, vielmehr eine Vorstellung, als existierte da noch jenseits solchen Todes eine Art Quelle, aus der sich in klaren und unaufhörlich murmelnden Rinnsalen der Tod in unsere hiesige Welt ergösse.“
(Mishima, Ethik der Tat)
Der politische Mishima ist ein Tatmensch und alles andere als ein Bläßling. Er ist ein ein konservativer, kaisertreuer Mensch, geprägt von einer ekstatischen Rückgewandtheit, ein Todessüchtiger, der das Kaisertums idealisiert und in einem „Konterrevolutionären Manifest“ schreibt:
„Der Kampf wird ein einziges Mal ausgefochten, bis zum Tod. (…) Wir sind die Verkörperung der japanischen Schönheit.“
Er gründet die Tatenokai, die „Schildgesellschaft“, eine Gruppe junger Männer, deren militärische Ausbildung er finanziert.
In Interviews, die Mishima gibt, spricht er oft davon, daß im Ausland, aber auch in Japan selbst, sein Vaterland mit der „Chrysantheme“ assoziiert werde und nicht mit dem „Schwert“, obgleich beides parallel und gleich stark existiere. Für ihn sollen die Tatenokai die Anmut und Schönheit der Chrysantheme mit der Härte und Tödlichkeit des Schwertes verbinden.
Marguerite Yourcenar sieht diesen Zwiespalt als Lebensthema Mishimas und zugleich als Crux, was unser westeuropäisches Verständnis seines Werkes angeht:
„Es ist immer schwierig, einen großen zeitgenössischen Schriftsteller zu beurteilen: es fehlt uns an Abstand. Schwieriger noch wird die Würdigung, wenn er einer anderen Kultur als der unseren angehört, bei der der Reiz der Exotik oder das Mißtrauen ihr gegenüber ins Spiel kommen. Diese Möglichkeiten von Mißverständnissen mehren sich noch, wenn, wie im Falle von Yukio Mishima, die Elemente der eigenen Kultur und die des Abendlandes, die er gierig aufgesogen hat (…) sich in jedem Werk (…) mischen. Dennoch ist es diese Mischung, die ihn (…) zum authentischen Repräsentanten eines Japan macht, das, auch seinerseits weitgehend verwestlicht, trotz allem durch manche unveränderlichen Charakterzüge geprägt bleibt. Die Art und Weise, wie bei Mishima die traditionellerweise japanischen Ingredienzen wieder an die Oberfläche getreten und in seinem Tod aufgebrochen sind, macht ihn andererseits (…) zum Märtyrer des heroischen Japan, das er, sozusagen gegen den Strom schwimmend, wieder eingeholt hat.“
(Marguerite Yourcenar: Mishima oder die Vision der Leere. Fischer 1988)
Am Tage seines Seppuku führt Mishima mit seinen Tatenokai einen Truppenappell durch und einen öffentlichen Protest gegen die aktuelle politische Lage Japans. Sein Aufruf an die versammelte reguläre japanische Armee zur unbedingten Kaisertreue verhallt ungehört und unbeachtet. Bereits beim Verlassen des Balkons, von dem aus er seine flammende Rede hielt, hält er das Tanto, das rituelle Messer, in der Hand. Im Anschluß begeht er mit seinem damaligen Liebhaber einen vollkommen nach der Tradition durchkonzipierten Seppuku, jenen den Samurai vorbehaltenen ehrenhaften männlichen Suizid, der in Japan seit 1868 offiziell verboten ist.
Diese rituelle Entleibung (nicht zu verwechseln mit dem Harakiri, das umgangssprachlich dem Seppuku gleichgesetzt wird, aber nur einen Teil des Rituals, nämlich das Bauchaufschlitzen, beschreibt und eine Beleidigung für den Ausführenden bedeutet) ist schon lange vorher festgelegt und seit sechs Jahren konkret geplant, und das Datum 25. November 1970 resultiert aus dem Abgabetermin für Mishimas letzten Band seiner Tetralogie – als Mann der Pflicht gehört es sich für Mishima nicht, einen mit seinem Verleger festgesetzten Termin zu versäumen.
Der letzte Ausruf des sterbenden Mishima „Tenno-heikai Banzai!“, „Lang lebe der Kaiser!“ ist an Hirohito gerichtet, selbst wenn der ein eher mittelmäßiger und schwächlicher Kaiser ist, der am 15. August 1945 die Kapitulation Japans im sogenannten „Pazifikkrieg“ (1937 – 45) verkündet und damit dem japanischen Volk einen „Ehrverlust“ zufügt. Es sind die früheren mystischen, mächtigen und ehrbaren Kaiser der Samuraitradition, denen Mishimas Salut im Grunde gilt. Von den politischen Tendenzen seiner eigenen Zeit ist Mishima eher angewidert – und von ihren gesellschaftlichen Folgen erst recht:
„Unser gegenwärtiges Zeitalter beruht in allem auf der Prämisse eines verlängerten Lebens. Die durchschnittliche Lebensdauer ist so lang wie nie zuvor in der Geschichte, und ein monotoner Plan für dieses Leben wird vor uns entrollt. (…) Die beiden gegenwärtigen gesellschaftlichen Tendenzen – ausgerichtet nach dem Ideal des Sozialismus oder dem des Wohlfahrtsstaates – meinen gleichwohl ein und dasselbe. Am Ende der Freiheit steht die Langeweile…“
(Mishima, Ethik der Tat)
Langeweile bedeutet Überdruß, Entfremdung, Häßlichkeit, Schwärze, Kummer, Verzweiflung. Sie ist nicht SCHÖN. In Mishimas Gedankenwelt ist die Zerstörung von Schönheit erstrebenswerter als die Schönheit selbst – und sein selbstbestimmter Tod ist für mich untrennbar verbunden mit seinem auserlesenen literarischen Werk.