Kai über Guy Delisles autobiografisches Comictagebuch „Pjöngjang“
Guy Delisle arbeitet als Supervisor für französische Trickfilmproduktionen. Die Produktionskosten in China (vgl. sein Vorgängerwerk „Shenzhen“) können inzwischen sogar noch unterboten werden: Guy muss für zwei Monate nach Pjöngjang, in die Hauptstadt Nordkoreas, um die Arbeiten dort zu beaufsichtigen.
Auf 176 Seiten gewährt Guy Einblicke in ein Land, das scheinbar in einem anderen Universum zu existieren scheint. Vollkommen abgeriegelt von der restlichen Welt herrschen hier der zwar verstorbene, aber immer noch allgegenwärtige „ewige“ Präsident Kim Il-Sung sowie dessen Sohn Kim Jong-Il, die sich abgöttisch verehren lassen. Die Bevölkerung scheint ausschließlich aus angepassten, lächelnden Robotern zu bestehen – beständige Gehirnwäsche und Denunziantentum machen’s möglich. Wobei Kontakt zwischen Ausländern und Einheimischen ohnehin untersagt ist: Führer und Dolmetscher überwachen „begleiten“ Guy auf Schritt und Tritt.
Der Leser wundert sich zusammen mit Guy über den ganz normalen Wahnsinn, der seinen Alltag in Pjöngjang bestimmt: Bombastische Bauten, die leerstehen. Beleuchtete Denkmäler, während die Bevölkerung den Strom abgedreht bekommt. Nordkoreanisches Liedgut. Viele seiner Eindrücke bleiben einfach als Momentaufnahme stehen – können vielleicht gar keine Erklärung finden, weil sie einfach zu bizarr sind. Die Idee, den Aufenthalt als Comictagebuch festzuhalten, ist dabei genial: Die kleinen alltäglichen Episoden sind für sich genommen oftmals witzig – fügen sich aber zu einem großen gruseligen Ganzen zusammen.
Guy Delisle: Pjöngjang
erschienen bei Reprodukt
184 Seiten, s/w
ISBN 978-3-938511-31-2
18 €
Links:
Eine Leseprobe
Eine Buchbesprechung inkl. Interviewfetzen
Und natürlich auch ein Veriss