Prof. Pu empfiehlt: Schneller als der Tod von Josh Bazell
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Ich befürchte, dass ich mir mit diesem Buchtipp wahrscheinlich meinen Ruf ruiniere. Das hat der Roman auf jeden Fall verdient. Was sich Bazell für sein Debüt ausgedacht hat, ist so unglaublich irre, dass ich zwischendurch immer mal wieder hyperventilieren musste.
Dr. Peter Brown, eigentlich Pietro Brnwa, gesprochen Brauna, geboren in einem indischen Ashram, aufgewachsen bei seinen Großeltern in New Jersey, ist Assistenzarzt im Manhattan Catholic Krankenhaus. Und Ex-Mafiakiller im Zeugenschutzprogramm – bis ihn ein Patient erkennt und seine Tarnung auffliegt.
Der Mann in dem Bett im Anadale-Trakt ist ein Typ, der mir als Eddy Squillante alias Eddy Consol bekannt war.
„Was soll das?“, knurre ich und packe ihn an seinem Klinikhemd. Ich sehe noch mal auf seine Akte. „Da steht, du heißt LoBrutto!“
Er guckt verwirrt. „Ich heiße doch LoBrutto.“
„Ich denk, du heißt Squillante.“
„Squillante ist nur ein Spitzname.“
„Squillante? Wie kommt man zu dem Spitzname Squillante?
„Er geht auf Jimmy Squillante zurück.“
„Den Scheißkerl von der Müllindustrie?“
„Den Mann, der die Abfallwirtschaft wiederbelebt hat. Und halt dich zurück. Das war ein Kumpel von mir.“
„Langsam“, sage ich. „Du nennst dich Squillante, weil Jimmy Squillante ein Kumpel von dir war?“
„Ja. Wenn er auch in Wirklichkeit Vincent hieß.“
„Scheiße, wovon redest du? Ich kannte mal ein Mädchen namens Barbara – deswegen sag ich den Leuten doch nicht, sie sollen mich Babs nennen.“
„Hat was für sich.“
„Was ist mit ‚Eddy Consol’?“
„Auch ein Spitzname von mir. ‚Consolidated’.“ Er kichert. “Meinst du, jemand heißt wirklich ‘Consolidated’?“
Ich lasse ihn los. „Nein, schon kapiert, danke.“
Er reibt sich die Brust. „Mensch, Bärentatze –„
„Nenn mich nicht so.“
„Okay … „ Er bricht ab. „Warte mal. Wie hast du mich gefunden, wenn du nicht wusstest, dass ich Squillante bin?“
„Ich habe dich nicht gefunden.“
„Was heißt das?“
„Du bist Patient in einem Krankenhaus. Ich bin Arzt.“
„Du bist als Arzt verkleidet.“
„Nein. Ich bin Arzt.“
Wir starren uns an.
Dann sagt er: „Mach das du rauskommst!“
Und dann geht es rund. In den nächsten Stunden versucht Pietro in einem rasenden Countdown, seinen Feinden zu entkommen – sprich zu überleben – und nahezu nebenbei ein paar Menschenleben zu retten. Gleichzeitig erzählt Bazell, wie der damals Vierzehnjährige seine Großeltern ermordet auffindet, sich später in der Schule mit Adam, dem Sohn des Mafiaanwaltes David Locano anfreundet und von dessen Familie wie ein Sohn aufgenommen wird. Zunächst ganz ohne die berühmte Doppeldeutigkeit des Wortes „Familie“ in den Kreisen der Mafia. Bis Pietro einen entscheidenden Fehler begeht: Er gesteht, nur einen Wunsch zu haben: Die Mörder seiner Großeltern zu kennen. Diesen Gefallen tut ihm Vater Locano gern. Sie umzubringen wird seine Inauguration als Mafiakiller.
Jahre später hat die Bundespolizei mich damit kleinzukriegen versucht: Was für ein hoffnungsloser Idiot das sein müsse, der feststellt, dass seine Großeltern von Mafiaschweinen umgebracht worden sind, und dann selbst mit Mafiaschweinen zusammenlebt, für sie arbeitet, sich bei ihnen einschleimt und sich von ihnen abhängig macht. Aber die Gründe lagen auf der Hand.
Wenn er keine Killer-Aufträge erledigt, hängt er mit seinem besten Freund Adam „Skinflick“ Locano herum. Irgendwann will Skinflick auch mitkillen, während Pietro heimlich seinen Ausstieg erwägt. Die gemeinsame Sache geht ziemlich schief, aber nur Pietro landet vor Gericht und wird in einem absurden Prozeß freigesprochen. Noch zögert Pietro, ins Zeugenschutzprogramm zu gehen. Und läßt sich vom aufgehetzten Skinflick in eine Falle locken, bei der nicht nur Pietros große Liebe Magdalena ihr Leben läßt. Aus den ehemals besten Freunden werden Todfeinde. Ein Drama Shakespeare’schen Ausmaßes, denn nicht einmal die Großeltern waren das, was sie ihrem Enkel zu sein schienen. Eine neue Version von „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“ …
Was ist schlimmer als ein eiskalter Mafiakiller? Ein eiskalter Mafiakiller mit Medizinstudium, lassen Sie sich das gesagt sein. Den Showdown am Ende des Romans habe ich in Windeseile gelesen, nicht nur, weil er unerträglich spannend ist. Nein, weil er so grauenvoll ist, daß ich die Zeilen nur gestreift habe um nicht alles ganz genau vor Augen zu haben. Am Ende ist Pietro wirklich „schneller als der Tod“.
Interview mit Bazell:
Wie schon zu Beginn gesagt, die Geschichte ist vollkommen irre, doch verliert sie nie ihre Logik, jeder aufgenommene Faden wird perfekt verwebt, einfach großartig. Nebenbei bemerkt ist Bazell ein Genie der scharfsinnigen und wunderbar sarkastischen Fußnoten*, eine Menge habe ich durch sie gelernt.
Doch, dieser Roman ist es wert, einen Ruf zu verlieren …
Nur ein Beispiel:
*Ärzte wissen immer, wie alt jemand ist. Wir nützen das als Lügenbarometer. Es gibt etliche Formeln für die Altersberechnung – Falten am Hals plus Venen auf dem Handrücken etc. -, aber die sind nicht nötig. Wenn Sie täglich mit 30 Leuten sprechen und sie nach dem Alter fragen würden, hätten Sie den Bogen auch bald raus.
Josh Bazell
Schneller als der Tod
S. Fischer € 18,95
978-3-10-003912-5
Trailer zum Hörbuch mit Christoph Maria Herbst: