CARGO: Mehr Schatten als Licht im All über der Schweiz

Hendrik über den düsternisbefrachteten SF-Film „Cargo
mit Einwürfen von Thomas

Diese Ladung europäischer Film-SF wäre vermutlich nicht nur an mir fast völlig unbemerkt vorübergezogen, vielleicht vor allem, weil man ein Raumschiff mit Schweizer Kennzeichen schon aus reiner Verblüffung erstmal nur geträumt zu haben glaubt. So hat denn auch wieder mal nur der reine Zufall mich über diese lt. DVD-Hülle auf Filmfestivals in Spanien, Südafrika und Texas gezeigte, aber offenbar nicht in deutschen Kinos eingeparkte Produktion stolpern lassen.

Unbewohnbare Erde

Die Menschheit ein paar Jahrhunderte in der Zukunft: die Erde ist unbewohnbar geworden; wer überlebt hat, vegetiert auf völlig übervölkerten Raumstationen vor sich hin. Aber es gibt Hoffnung: einige Lichtjahre entfernt wurde ein offenbar paradiesischer Planet namens Rhea gefunden und besiedelt. Wer’s sich leisten kann, versucht, dorthin zu kommen. Und damit man es sich leisten kann, versucht man eben einfach alles.

Die junge Ärztin Laura will ebenfalls nach Rhea, wohin ihre Schwester es vor Jahren bereits geschafft hat und dort auf sie wartet. Um sich die Passage leisten zu können, heuert sie auf dem gigantischen Raumfrachter Kassandra an, der Baumaterial zu einer Transferstation im tiefen Raum bringen soll. Die Reise soll insgesamt acht Jahre dauern, doch jeder der Mitreisenden wird nur wenige Monate davon wach sein; die meiste Zeit verbringt man im Kälteschlaf.

Apropos Kälteschlaf – bei den leuchtenden Winterschlafkabinen zeigt sich das perfekte Produktionsdesign! Der traumhafte Planet Rhea wird übrigens eingeführt mit einem wunderbaren TV-Spot, der jedem Timotei-Shampoo zur Ehre gereicht hätte. Wie einst in Gladiator fährt eine hübsche Frau mit der Hand durch das volle Getreide unter einem blauen Himmel … Und dann kippt das Bild nach hinten und entpuppt sich als Video auf einer riesigen Werbefläche, die durchs All treibt. Schön, technisch brillant, aber in welchem Film habe ich das schon gesehen?

Laura bemerkt während ihrer Schicht plötzlich, dass sie nicht allein zu sein scheint. Und jemand hat sich offenbar an der zugangsgesicherten Frachtsektion zu schaffen gemacht. Gibt es einen blinden Passagier an Bord? Oder einen Saboteur? Laura weckt den Sicherheitsoffizier und den Kommandanten, und gemeinsam finden sie heraus, dass Lauras Verdacht nicht unbegründet ist. Kurze Zeit später ist das erste der Mannschaftsmitglieder tot …

Perfektes Produktionsdesign

Es ist schwer, an dieser Stelle weiter zu erzählen, ohne zu viel zu verraten, daher lasse ich das, und wende mich erst einmal dem Produktionsdesign zu, und das ist durchaus beeindruckend. Es gibt ja Filme, denen es – wenn man sie auf dem heimischen Bildschirm betrachtet – gelingt, ein bisschen Kinoleinwandgefühl zu transportieren; Event Horizon zum Beispiel oder auch Sunshine. Und auch Cargo hinterlässt mit seinen gemächlichen Schwenks über langsam rotierende leuchtende  Raumstationen und durch die gigantische Frachtanlage des Raumschiffes recht erfolgreich das Gefühl von Weite. Zwar wurde an einigen Stellen auch für Laien wie mich recht offensichtlich zugunsten einer guten Designidee jede raumfahrttechnologische Plausibilität aus der Luftschleuse geworfen – die Kassandra ist nur eines von vielen Filmwunderraumschiffen, die nicht nur innen größer sind als außen, sondern in denen Schwerkraft und Sauerstoff der Konvention folgen, immer dann zur Stelle zu sein, wenn es der Dramaturgie gerade zupass kommt. Aber insgesamt ist das hier nur so störend wie der irritierende Umstand, dass in Fernsehkrimis die Guten immer sofort einen Parkplatz beim Haupteingang kriegen.

Mangelnder Realismus ist aber durchaus eines der Probleme des Films: Schlüsselszene – die neu an Bord kommende Ärztin wird vom Kapitän den anderen Mannschaftsmitgliedern vorgestellt. Jetzt kommt es darauf an: hier werden die Charaktere etabliert! Aber „holzschnittartig“ und „humorlos“ sind noch die nettesten Vokabeln, die mir für diese vergurgte Szene einfällt. Der Zuschauer spürt mit jeder Faser seines kinobegeisterten Körpers: Das ist alles nur gespielt. Und von einigen ausgesprochen schlecht.

Menschen ohne Tiefe

Schauspielerisch konnte mich der Film nur bedingt überzeugen. Mit der teilweisen Ausnahme der Hauptdarstellerin Anna Katharina Schwabroh bleibt den Figuren einfach zu wenig Zeit, zu Charakteren zu werden, bevor einige von ihnen dran glauben müssen und andere ihr wahres Gesicht zeigen. Das nimmt dem Film vieles von der menschlichen Dynamik weg, die er hätte haben müssen, um trotz der recht gemächlichen Erzählweise durchgehend spannungsvoll zu bleiben. Wenn ich da im Vergleich zum Beispiel an die Mannschaft der Nostromo aus <Alien> denke, bleiben die Leute der Kassandra in Wort und Bild doch ausgesprochen zweidimensional. Und ohne echte Charaktere gibt es leider auch keine echte Tiefe in einem Film, völlig egal, wo er sich abspielt. Die Konflikte und Allianzen an Bord der Kassandra lassen mich leider eher kalt.

Und nennen wir doch mal die talentfreie Zone beim Namen: Michael Finger spielt das Crewmitglied Vespucci mit der Leidenschaft und der mimischen Intensität eines Bodydoubles. Da reißt einen jeder Auftritt aus dem Film heraus. Löblich dagegen – da pflichte ich Dir bei, Hendrik – die überzeugende Leistung von Anna-Katharina Schwabroh als Ärztin.

Und damit bin ich auch schon bei meinem Hauptproblem: der Originalität. Wäre Cargo der allererste Science Fiction-Film, den ich je betrachte, würde er mich vermutlich begeistern. Aber als jemand, der alles auch nur halbwegs genießbare Laserstrahlen-und-Raumanzughaltige abgreift, wessen er habhaft werden kann, gibt es nur wenige Momente in dem ganzen Film, in dem mir nicht eine Vergleichsassoziation in den Sinn kommt: aha, diese Einstellung ist aus „Alien“, der Schauspieler jener Figur hat kurz vorher „Dune“ nochmal gesehen, dieses Handlungselement ist aus „Die Insel“, aus „The 13th Floor“ oder “Outland“, jene Kamerafahrt ist aus „Alien 3“ und so fort. Cargo gelingt es zwar, sich bezüglich seines Plots und seiner Bildsprache von großen Vorbildern inspirieren zu lassen, aber flügge wird er leider in der Summe nicht.

Nichts Neues aus den Alpen

Vielleicht ist das mein ganz persönliches SF-Fanproblem: Stets möchte ich etwas wirklich Neues finden, möchte staunen dürfen und zu einem Denken von bislang Ungedachtem eingeladen sein: in diesem Bereich war für mich zum Beispiel <Gattaca> vor Jahren ein besonderes Erlebnis. Oder aber ich möchte wenigstens auf unterhaltsame (und bitte dann humorvolle und originelle) Weise Konvention serviert bekommen. Humorfreie unoriginelle Konvention, das bloße Aufwärmen des Besseren vom Vortag ohne Nachwürzen, genügt mir nicht.

Cargo macht dramaturgisch im Grundsatz alles richtig und übertrifft damit durchaus nicht wenige breiter beworbene Kino-SF-Filme der letzten Zeit bereits. Ich denke da insbesondere an die Unsäglichkeit namens <Pandorum>, die nicht im Kino gesehen zu haben ich mir Geld hätte kosten lassen, wenn ich es nur früher besser gewusst hätte. Dennoch fügt er der Summe dessen, was es bereits gibt, an keiner Stelle wirklich etwas hinzu: er ist weder originell noch mitreißend noch ergreifend.  Keiner der Dialoge und kaum eine einzige Filmeinstellung bleibt besonders hängen. Die Story selbst weist diverse Sollbruchstellen auf – und das beginnt nur bei der Überlegung, was diese Mannschaft eigentlich soll an Bord eines vollautomatisierten Schiffes, mit dessen Betreiben sie offenbar gar nichts zu tun hat.

Sehr richtig – und noch eine Anmerkung zur Musik. Musik? Über weite Strecken setzt der Soundtrack aus. Übertrieben lange dramaturgische Pausen zwischen den so genannten Actionszenen werden so „unüberhörbar“.

Zwar ist „Cargo“ trotzdem insgesamt immer noch leidlich spannend (auch wenn ich die Frage, warum die Nachrichten von Lauras Schwester immer so rasch eintreffen, längst ratenderweise beantwortet hatte, noch lange bevor sie im Film gestellt wird). Aber nur wenn man fähig wäre, alles zu vergessen, was man je zuvor an SF gesehen hat, könnte er einen wirklich mitziehen. Die Vorkenntnisse, die SF-Fans wie ich hier bereits mitbringen, hatten die fünf Drehbuchautoren leider offenbar auch – und genau das mag das Zustandekommen eines wirklich durchdachten und vor allem eigenständigen SF-Plots verhindert haben.

Viel Handwerk, kein Humor

Den solide konzipierten Container seines Vorhabens kann Cargo qualitativ insgesamt nur zu einem geringen Teil füllen. Da hilft auch kein Pseudo-3D-Cover und kein dramatisierender (und nebenbei: völlig falscher) Untertitel: „Da draußen bist du allein“, heißt es hier, es könnte aber auch ebenso sinnfrei „Da draußen bist du eben nicht allein“ oder auch „Huch, da drin ist ja einer“ lauten.

„Cargo“, der mit ausgesprochen geringem Budget in der Schweiz gedreht wurde, erweist sich immerhin als handwerkliches Gesellenstück ökonomischen Filmhandwerks, und wer weiß, vielleicht bekommt man von den Regisseuren Ivan Engler und Ralph Etter ja nochmal so richtig was Gutes zu sehen; das Zeug dazu scheinen sie mitzubringen. Jetzt müssen sie sich ’nur noch‘ eine echte und solide eigene Story trauen oder aber die Selbstironie, bloße Konvention mit der gehörigen Portion Witz zu versehen. Optisches und akustisches Gelingen ist eine schöne Sache, aber es ist nicht der wirklich kostbare Teil der Fracht.

Aber dafür ist wirklich alles aus der Schweiz! In den Interviews im Bonusmaterial wird dieses erreichte Ziel gefühlt 100 Mal erwähnt, bis man den Eindruck gewinnt, darum sei es in Wirklichkeit gegangen. Und warum so viele Worte, um einen nichtgelungenen Film? Weil er so ambitioniert angegangen wurde und so verdammt knapp daneben liegt und es eigentlich nur mehr Qualität und Inspiration im Drehbuch bedurft hätte, um einen wirklich besonderen Film abzuliefern.

Links

Bei scificoll heißt es:

„There’s no way around it: “Cargo” falters badly with almost its entire Third Act, which feels like a denouement that just refuses to end. Action junkies will find the film disappointing, and if you’re expecting a horror movie in space, or some sort of alien menace, you’re out of luck.“

Outnow findet:

Cargo geht ganz klar in Richtung eines High-Concepts – und verliert hoffnungslos die Power dahinter. Die Struktur, der Plot und einzelne Elemente funktionieren in der Theorie, aber wie auch bei der Charakterzeichnung fehlen emotionale Tiefe und Spannung. Der Zuschauer dürfte Schwierigkeiten haben, sich überhaupt mit einem der Charaktere zu identifizieren. Um mitfiebern zu können, ist der Schweizer Science-Fiction-Film zu ruhig, zu lahm und bietet am Schluss keine wirklich faszinierende Wendung.“

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