Christopher Lang über „Damages“
Von unstillbarem Durst gedrängt stürzt sich eine Heuschrecke ins Wasser und ertrinkt, während der Pferdehaarwurm an den Schaltkreisen im Inneren der Heuschrecke triumphiert. Wird der Gefangene vor dem Verhör aller Sinneswahrnehmung beraubt, gibt es nur noch das Innere, das Bewusstsein gerät ins Taumeln und zermürbt sich selbst. Schmerz, Kummer und Schweiß brachten die ersten Menschen uns ein, die, in der Rückschau betrachtet, ärgerlich leicht verführbar auf das Gezischel der Schlange hörten.
Manipulation ist überall. Und doch hätten die Autoren der Serie „Damages“ kaum eine bessere Sphäre als die des Rechts für ihre Studie zur Manipulation in 13 Teilen wählen können. Zwar ist Manipulation in nahezu jedem System notwendiges Stimulans, doch in keinem ist die Manipulation derart verankert wie im Recht. Sie ist grundlegender Werk- und Wirkstoff, sie ist die in das System der inszenierten Wirklichkeit eingewobene Urschuld.
Get Me A Lawyer
Die Ausgangsituation in „Damages“, die in diese Sphäre des zwangsläufig Schuldig-Werdens führt, ist eines der angesichts des komplexen Themas überraschend wenigen konstruiert wirkenden Elemente der Serie: Die naive Rechtsanwältin Ellen Parsons (Rose Byrne) bekommt nach ihrem Abschluss die Chance ihres Lebens, die Mitarbeit in der Kanzlei der unbarmherzigen, weithin bekannten, geschätzten und gefürchteten Anwältin Patricia „Patty“ Hewes (Glenn Close).
Nun gehört ein naiver Charakter im Zentrum der Geschehnisse zu den Topoi des Entwicklungsromans (Gibt es eigentlich ein sprachliches Äquivalent für den Film oder andere Genre?). Und da mit „Damages“ ein zwar ausnehmend finsteres, mitunter verstörendes, jedoch immer anregendes und inspirierendes Negativ einer Entwicklungsgeschichte vorliegt, ist diese Ausgangssituation verzeihlich.
Because I Know Patty
Zahllos sind die Versuche im Film (und nicht nur da) über die Entwicklung eines Adepten der Manipulation, Inszenierung und Verführung [„Die Firma“ (R: Sydney Pollack), „Im Auftrag des Teufels“ (R: Taylor Hackford), „Trainig Day“ (R: Antoine Fuqua), „Collateral“ (R: Michael Mann) etc. pp]. Nun zeichnet sich „Damages“ angesichts einer wahren Fülle derartiger Werke durch die geschickte Ausnutzung eines banalen Genremerkmals aus: Serien haben Zeit. „Damages“ nimmt sich die Zeit, seine Geschichte und Figuren zu entwickeln und spielerisch Ideen und Gedanken zu beleuchten.
Was sich in den rund 559 Minuten abspielt, ist ein raffiniert konstruierter und inszenierter Niedergang. Keine der Figuren bleibt unversehrt in dieser Geschichte, in deren Zentrum die Initiation Ellen Parsons’ steht, der ambitionierten Junganwältin, der die Schmerzen, die jeder Befreiung (im Falle der Ellen Parsons zu einer ebenso verstörenden wie grausamen Freiheit) innewohnen, nicht versagt bleiben. Unversehrt bleibt auch Patty Hewes nicht, diese Meisterin der Manipulation, die all ihr Können, all ihre Macht in Stellung bringt, um den Milliardär Arthur Frobisher (Ted Danson) unter dem Mandat von Frobishers geprellten Angestellten der Börsenmanipulation und Korruption zu überführen (Wer nicht ganz fühllos ist, dem wird sich Patty am Strand unaustilgbar einbrennen). Keine der detailreich und mit feinen Strichen gezeichneten Figuren, stehen sie im Zentrum der Handlung oder an der Peripherie (Dank den Autoren und dem Darsteller Zeljko Ivanek für die Figur des Raymond Fiske!), bleibt unversehrt.
We Are Not Animals
Letztlich bleibt auch der Zuschauer nicht unversehrt, denn den Sturz in eine Wirklichkeit, an deren Grund sorgsam gepflegte Ideale zerschellen, zu verfolgen, kann (mindestens) zweierlei im Zuschauer auslösen: Häme und Genugtuung, wenn er eben in jener Wirklichkeit schon lange angekommen ist, oder Beunruhigung und Sorge, wenn er der Brüche im eigenen Leben gewahr wird. „Damages“ vermag beides in seltsamer Verschlingung auszulösen.
Zudem bedient sich „Damages“ eines dramaturgischen Kniffes, der auch den Zuschauer in den Würgegriff der Manipulation treibt. Die Katastrophe steht am Anfang: Ellen Parsons stolpert blutüberströmt und offensichtlich verstört bis zur Paralyse des Bewusstseins durch New York. Derlei Splitter aus der Gegenwart sind jeder Folge vorangestellt, bilden den Auftakt zu dem ein halbes Jahr zuvor einsetzenden Rückblick. Am Ende der Staffel verschmelzen die beiden Ebenen wieder zu einem Handlungsstrang.
Der Zuschauer, der seine Mutmaßung über die Verknüpfung der zunächst äußerst rätselhaften und verschlossenen Gegenwart mit der Vergangenheit zu einem sinnvollen Ganzen, einem schlüssigen Gefüge von Ursache und Wirkung zusammenzusetzen versucht, wird zwangsläufig Opfer des gelenkten und manipulierten Blicks. Er ist wieder und wieder zur Revision und Neukonstruktion gezwungen.
Do You Regret What We Did – Exkurs
Zwischen Manipulator und Manipuliertem gibt es zumeist eine stillschweigende Übereinkunft. Die geglückte Manipulation weiß durch die Verbündung mit den Bedürfnissen und Wünschen des Manipulierten, denen sie nicht zuwider arbeitet, sie gar fördert und unterstützt, und ausschließlich auf die Art und Weise der resultierenden Handlungen und Entscheidungen Einfluss nimmt, ein tückisches Gefühl von Schuld beim Manipulierten hervorzurufen.
Ob sich Othello wohl Desdemonas Untreue wünschte? Ist es dieser Wunsch, den Jago in boshafter Feinsinnigkeit an seinem Herren ausmachte und zu einer grausamen Waffe schmiedete? Viel zu fein sind die Fallstricke Jagos gesponnen und ausgelegt, als dass sich derlei Fragen auf die Schnelle beantworten ließen. Und doch zeigen diese Fragen die Feingliedrigkeit jener Kunst, in der auch Patty Hewes eine Meisterin ist.
Jesus, Mary and Joe Cocker
Zum Abschluss sei empfohlen, erneut oder erstmals „Othello“ zu lesen und sich schleunigst „Damages“ anzuschauen. Wer dieser Empfehlung folgt und enttäuscht sein wird, der soll ja nicht behaupten, er sei manipuliert worden.