Christopher über Helmuth James von Moltkes Briefwechsel und sein Bekenntnis zu einem christlichen Deutschland
Für die „Zeit“ waren sie das „ewige Paar“. Helmuth James von Moltke und seine Frau Freya führten, gemessen an dem was möglich gewesen wäre, eine kurze Ehe. Allen Schicksalsschlägen zum Trotz überdauerte ihre Beziehung den Tod. Auch nach der Hinrichtung Helmuth James von Moltkes am 11. Januar 1945 blieb Freya mit dem Leben ihres Mannes verbunden.
Moltke und seine Frau schrieben einander Briefe. Räumlich häufig getrennt, tauschten sie regelmäßig Erfahrungen, Beobachtungen und Erlebnisse aus. Immer wieder waren die Vorgänge in Berlin und Kreisau, waren die Kinder und die Landwirtschaft Gegenstand ihrer Gespräche. Gleichwohl überschritten die beiden „Ehewirte“ in ihren Briefen die Grenzen der praktischen Kommunikation. Neben Alltäglichem prägte die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus das schriftliche Leben der beiden. Damit wurden ihre Briefe zugleich auch Dokumente des Widerstandes und der Selbstbehauptung. Freya von Moltkes Nachlass-Arbeit diente daher immer beidem: Dem Vergessen ihres Mannes entgegen zu wirken und ihre gemeinsame Geschichte zu bewahren.
Moltkes Weg in die Opposition
Mit dem Anspruch des Nationalsozialismus den „ganzen Menschen“ besitzen zu wollen, wurden Grenzen überschritten, setzte die Vergewaltigung des Individuums ein. Helmuth James von Moltkes „Briefe an Freya“ liefern dafür einen Beleg. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verschärfte die Situation und ließ aus Bedrängten Bedrohte werden. Moltkes Ablehnung des NS-Regimes und des von Hitler ausgelösten Krieges veranlasste ihn seit 1939 nach Gleichgesinnten Ausschau zu halten. Sein Weg in die Opposition vollzog sich jedoch schrittweise und blieb nicht frei von Widersprüchen.
Zwischen 1940 und 1943 sammelte Moltke in Kreisau Vertraute um sich und plante für die Zeit nach Hitler. Die Verhaftung Moltkes, seine Inhaftierung im Konzentrationslager Ravensbrück setzten dieser Entwicklung ein jähes Ende. Moltkes Aufenthalt „Im Land der Gottlosen“ lässt ihn den KZ-Alltag aus der privilegierten Position eines Schutzhäftlings erleben. Seit 1944 prägen Ungewissheit und Todesahnungen die Briefwechsel und Tagebuchaufzeichnungen. Moltke wirkt kontemplativer, pessimistischer. Der Gefängnisalltag, das Gut und die Sorge um die Zukunft seiner Familie rücken in den Mittelpunkt seines Interesses. Stärker noch als in den Jahre zuvor prägt das Bekenntnis zum Christentum und nun auch die physisch erlebbare Gegenwart von Tod und Folter sein Bewusstsein.
Vision eines christlich geläuterten Deutschlands
Moltkes Gegnerschaft gegenüber dem Nationalsozialismus setzte nicht erst mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges ein. Gleichwohl erfuhr sie aber durch diesen eine entscheidende Intensivierung. Bereits im September 1939 stellte er gegenüber Freya den Sinn de Krieges in Frage:
„Diesen Krieg können aber die Soldaten nie und nimmer gewinnen; sie können ihn verlieren, gewinnen können ihn nur die Zivilisten“.
Die Hoffnung die Gewalt durch einen raschen Friedensvertrag beenden und damit Hitler stoppen zu können, scheiterte allerdings an der Eskalation des Krieges. Spätestens 1941 gelangte Moltke daher zu der Überzeugung, dass eine stabile Nachkriegsordnung die moralische Neuordnung Deutschlands und damit die Beseitigung des Nationalsozialismus voraussetzt. Im Unterschied zu den Attentätern des 20. Juli, betrachtete er den gewaltsamen Umsturz nicht als die Lösung des Problems, sondern setzte auf die militärische Niederlage Deutschlands. Moltkes Vision war die eines christlich geläuterten Deutschlands. Die Gleichheit der Menschen, ihre Verantwortlichkeit gegenüber den eigenen Taten sowie die überstaatliche Gültigkeit der zehn Gebote waren dabei für ihn zentrale Voraussetzungen.
Briefe machen Privates sichtbar
Im Gegensatz zu ihrem Autor überlebten die Briefe und Tagebucheinträge das Dritte Reich. Moltkes Tod beendete nicht seine Wirkungsgeschichte. Seine Überzeugungen sowie die durch den Kreisauer Kreis 1943 verabschiedete „Grundsätze für die Neuordnung“ sind in das Grundgesetz eingeflossen und zu einem Bestandteil der bundesrepublikanischen Staatsräson geworden. Jenseits der „offiziellen“ Dokumente, nehmen die Briefe eine besondere Stellung ein. In ihnen tritt uns Helmuth James von Moltke privat entgegen.
Die Briefe erst lassen den Mensch zu Tage treten und offenbaren eine Person im Widerspruch. Diese Widersprüchlichkeit erkennbar und lokalisierbar gemacht zu haben ist nicht zuletzt auch das Verdienst einer umfangreichen, teilweise akribischen Kommentierung. Unverzichtbar für die Beurteilung der Briefe und Tagebuchnotizen sind auch die biographischen Einführungen, die den beiden Bänden vorangestellt sind.
Widerstand für die Welt von morgen
Moltkes Briefe lassen Fragen offen und geben neue Rätsel auf. Auch sechzig Jahre nach Kriegsende bleibt der christlich motivierte Widerstand erklärungsbedürftig. Zweifel und Skrupel, soziale und ethische Prämissen der Akteure bedürfen der Erläuterung. Helmuth James von Moltke schwankte, so legen es die Briefe nahe, zwischen dem Erhalt Deutschlands und dem gewaltsamen Sturz Hitlers. Den Schlüssel zur Auflösung dieses Widerspruchs trug er in sich selbst: Sein christliches Bekenntnis. Deutschlands neue Ordnung sollte auf der Freiheit des Einzelnen und der Gleichheit aller gründen.
Aber zählt das Vorausdenken einer neuen Ordnung in dem Bewusstsein des eigenen Untergangs schon zum Widerstand? Für Moltke war die Antwort klar:
„Es ist unsere Pflicht das Widerliche zu erkennen, es zu analysieren und es in einer höheren, synthetischen Schau zu überwinden und damit für uns nutzbar zu machen.“
Das Deutschland der Kaiser und Führer neigte sich seinem Ende zu. Ein neues, demokratisches Deutschland wurde in ersten Umrissen sichtbar. Helmuth James von Moltke plante für eine Welt, die zum Greifen nah schien und für ihn doch unerreichbar blieb.
Helmuth James von Moltke
Im Land der Gottlosen
Beck 2009. Gebunden, 350 Seiten
Euro 24,90
Helmuth James von Moltke
Briefe an Freya
Beck 2007. Paperback, 683 Seiten
Euro 16,90