„Das Hochzeitsbankett“: Wenn bloß das Heiraten nicht wär’

Ang Lee, Foto: Rex Bennett Creative Commons BY SA 2.0

Die Filmwissenschaftlerin und Ang Lee-Expertin Dr. Isabell Wohlfarth wirft für SchönerDenken einen ganz persönlichen Blick auf die Werke des taiwanesischen Regisseurs.

[podloveaudio src=“http://schoenerdenken.podspot.de/files/616_hochzeitsbankett.mp3″ duration=“7:40″ title=“Isabell über Ang Lees DAS HOCHZEITSBANKETT“]


Hochzeiten können etwas Furchtbares sein, das habe ich von diesem Film gelernt. Und Familien sind ein nie enden wollendes Schauspiel. Mister Lees zweiter Film, eine interkulturelle Familienkomödie, amüsierte Zuschauer weltweit und war sein erster Überraschungshit.

Back Story: Die Welt lernt Mister Lee kennen

PosterDas Drehbuch zu The Wedding Banquet schrieb Ang Lee schon im Jahr 1987, wegen dessen gewagten Plots zum Thema Homosexualität wollte es aber zunächst niemand verfilmen. Schließlich wurde der Film als taiwanesisch-amerikanische Koproduktion in nur sechs Wochen abgedreht.

1993 war The Wedding Banquet der profitabelste Low-Budget-Film weltweit. Er wurde für den Oscar nominiert und erhielt den Goldenen Bären in Berlin. Erst nach dieser Anerkennung im Ausland bekam das Werk auch eine Jugendfreigabe in Mister Lees Heimat Taiwan. Denn The Wedding Banquet war der erste Film, der in China einen Kuss zwischen zwei Männern zeigte.

Die Story

Der junge Taiwanese Wai-Tung lebt schon lange glücklich zusammen mit seinem Partner Simon in den USA. Seine Homosexualität hat er stets vor seinen in Taiwan lebenden Eltern verschwiegen. Doch die machen sich langsam Sorgen, warum der Sohn noch keine Enkel „geliefert“ hat. Eine List scheint hier hilfreich: Die mittellose chinesische Malerin Wei-Wei braucht dringend eine US-Aufenthaltsgenehmigung und Wai-Tung sucht eine Schein-Ehefrau, um sie den Eltern präsentieren zu können. Der Heirats-Deal wird beschlossen. Die Eltern kündigen natürlich sofort ihren Besuch an, um die Braut zu begutachten, Freund Simon wird zum Vermieter degradiert und Wei-Wei zieht bei den beiden ein. Die Ehe-Charade beginnt. Die Eltern zwingen dem „Brautpaar“ ein riesiges chinesisches Hochzeitsbankett auf. Immer mehr werden die „Spieler“ in ihre eigene Lüge verstrickt, die bald realer scheint als gewünscht.

Heiter bis schmerzvoll: Eine Fake-Hochzeit zum Fremdschämen

Zwei Menschen lassen sich trauen, welch ein schöner Moment – eigentlich. Diese Heirat aber ist ein notwendiges Übel und will schnell vollzogen sein. Die standesamtliche Trauung ist ein grauenvoller Akt und für den Zuschauer eine hochkomische Situation. Mit versteinerten Mienen geben sich Wai-Tung und Wei-Wei im kalten Ambiente eines schäbigen Standesamts das Ja-Wort und werden danach gleich „weitergeschoben“. Der trostlose Rahmen passt nur zu gut zur Scheinheirat, die auch kein freudiges Ereignis ist. Die Eltern aber sind entsetzt. Auf dem Familienfoto ist eine Trauermiene schöner als die andere. Inspiration für die Inszenierung dieser nüchternen Trauung fand Mister Lee nach eigenen Worten in der eigenen Biografie, auch seine Heirat in den USA lief ähnlich ab („Meine Mutter hat vor Abscheu geheult“).

Mit dieser nüchternen Veranstaltung geben sich Wai-Tungs Eltern natürlich nicht zufrieden. Kurzerhand wird ein riesiges Hochzeitsbankett mit hunderten Gästen organisiert, die das Brautpaar eigentlich gar nicht kennt. Die Eltern lassen sich nicht lumpen, schließlich geht es um den guten Ruf: Ein stattlicher Saal ist festlich geschmückt, aufwändig zubereitete Gerichte werden serviert (ein Höhepunkt des Fütterns und Schlemmens – auch das lässt sich Mister Lee als Meister-Inszenator des Essens nicht entgehen). Das Brautpaar muss die peinlichsten Spiele über sich ergehen lassen – ein mit dem Mund aus der Luft geangelter Hähnchenschenkel ist da nur eine Episode – und mit jedem ein Gläschen trinken. Die Gäste johlen und schreien, Dinge gehen zu Bruch, von asiatischer Zurückhaltung keine Spur. Die Lust an der Bloßstellung des mächtig überforderten Brautpaars ist groß. Was klischeehaft überzogen scheint, beruht aber wiederum auf realen Vorbildern. Schon einige Male, so Mister Lee, habe er an solch einem Bankett teilgenommen („[…] nur dass die Realität noch schlimmer war“). Auch im Film hat Ang Lee einen Cameo-Auftritt als Hochzeitgast und kommentiert dort genau das, was der Zuschauer denkt: „Sie erleben das Ergebnis von 5000 Jahren sexueller Unterdrückung!“

Das Fremdschämen ist auf dem Höhepunkt angekommen, als das Brautpaar bei der „Invasion des Hochzeitsgemachs“ vom grölenden Gäste-Pulk im Hotel unter eine Decke gezwungen wird – wenn das mal gut geht!

Achje, so viele Familien in einem

Über zehn Jahre vor seinem Erfolgsfilm „Brokeback Mountain“ erzählte Ang Lee diese Geschichte von einer homosexuellen Liebe. Und schon hier fällt auf, wie aufrichtig, vorurteilsfrei und ohne Klischees er sie inszeniert. Die Beziehung zwischen Simon und Wai-Tung wirkt natürlich und wird ehrlich gezeigt, ihr Zusammenleben nicht zur Diskussion gestellt. Simon ist die Figur, die alle Personen zusammenhält, er bemüht sich um die Eltern, hilft Wei-Wei und puffert Konflikte ab. Er ist die sympathischste Figur des Films, die gute Seele und wie sich herausstellt, die eigentlich „perfekte Schwiegertochter“ für die Eltern. Aber ob sie das auch so sehen?

Im Mix aus konstruierten, gelebten und gefühlten Familienrealitäten stellt der Film eine kluge aber schwierige Frage: Was ist eigentlich Familie? Auf den Zuschauer prasseln verschiedene Familienentwürfe ein. Das klassische Wertebild der Eltern trifft auf eine schwule Liebe, eine patriarchalische Struktur auf individuelle Freiheiten und selbstgewählte Bande. Mister Lee präsentiert die Lebensformen direkt und unverstellt und lässt beide Entwürfe so gelten.Der Zuschauer wähnt sich zu Beginn natürlich auf der Seite der liberalen Charade-Spieler, je weiter der Film aber voranschreitet, desto schiefer scheint die Lüge, desto mehr erkennt man die Motivationen und Stolpersteine beider Seiten, desto mehr gerät alles außer Kontrolle. Und plötzlich stellt sich heraus, dass nicht nur die Jungen ein Geheimnis haben.

Eine nachhaltige Komödie

Einem Versteckspiel beizuwohnen ist an sich schon ein Vergnügen, weil man mehr weiß als mancher Protagonist. In diesem Fall kommen noch ein Ost-West-Kulturkonflikt und ein gehöriger Generationenunterschied dazu. Hier spielt jeder jedem etwas vor und verfolgt dabei seine ureigenen Ambitionen. Mister Lee inszeniert das Ganze ehrlich und mutig, aber vor allem herzlich und heiter. In aufgeweckten Musik-Strecken lässt er die Spieler umeinander tanzen, in prägnanten Dialogen treibt er die Sprachbarriere auf die Spitze, oft reicht ein flinkes Bild der Figurenmimik, um die Absurdität des Moments einzufangen. „The Wedding Banquet“ macht also vor allem richtig viel Spaß. Im Subtext aber schwingt so einiges mit: Schmerz, Enttäuschung, Hoffnung. Diese klug und tolerant inszenierte interkulturelle Komödie spricht einige Wahrheiten an, die lange im Gedächtnis bleiben.

Das Hochzeitsbankett (The Wedding Banquet )
Taiwan/USA, 1993, 103 Min., Regie: Ang Lee

Es geht am 6. Oktober 2013 weiter mit Ang Lees Film „Sinn und Sinnlichkeit“.


Dr. Isabell Wohlfarth, geb. Goessele, arbeitet als Journalistin in Köln. Ihre Doktorarbeit wurde unter dem Titel “Das Kino des Ang Lee: Im Atem des verborgenen Drachen” veröffentlicht. Der Podcast wurde gesprochen von Susanne Hagen.
Hier alle Beiträge der Reihe „Mr. Lee And Me“.

Text und Podcast stehen unter der Creative Commons-Lizenz BY NC ND 4.0.
Quelle: Dr. Isabell Wohlfahrt, geb. Goessele
Das Foto im Banner stammt von Rex Bennett und steht unter der CC-Lizenz BY SA 2.0


Das Kino des Ang LeeIsabell Gössele
Das Kino des Ang Lee
Im Atem des verborgenen Drachen

Wissenschaftliche Beiträge
aus dem Tectum Verlag
Medienwissenschaften, Band 5
349 Seiten, Paperback, 2009
ISBN 978-3-8288-2046-3


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