Nachtlektüre: Thomas über Laura Wilsons „Ein kleiner Tod“
Immer wieder sprengen Kriminalromane die Grenzen ihres eigenen Genres. Laura Wilsons „Ein kleiner Tod“ gehört dazu. Sie erzählt die Geschichte einer Folge von Verbrechen, die sich von den 1880er bis 1950er Jahren ereignen. Alles beginnt mit dem Unfalltod eines kleinen Jungen. Laura Wilson bietet uns gleich drei Perspektiven an: Die der exzentrischen Schwester des verunglückten Jungen, Georgina, dann die Sichtweise des älteren Bruders Edmund und schließlich die Perspektive der Dienstbotin und Haushälterin Ada. Chronologisch – aber ständig den Blickwinkel wechselnd – wird eine tragische Familiengeschichte aufgeblättert. Ganz behutsam nähern wir uns den drei Protagonisten und entdecken Einsamkeit, verbotene Liebe, Schuld, Hochmut und Treue. Und Wilson gelingt sogar das Kunststück, eine Geschichte, die alle Elemente einer kitschigen Liebestragödie aufweist, im trockenen Tonfall des Sozialrealismus zu präsentieren. Und am Ende erfahren wir sogar die Wahrheit über Morde und Mörder. Aber das ist bei so viel eindringlicher Charakterstudie dann nur noch Nebensache.