„Imperium“: Ein Buch wie ein Film

Prof. Pu empfiehlt: „Imperium“ von Christian Kracht

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Ganz bewusst bin ich allen Kritiken über das neueste Buch von Kracht aus dem Wege gegangen. Lediglich einen Bericht über die Vorwürfe des Spiegels, im Buch fänden sich rechte und rassistische Tendenzen, habe ich in Kulturzeit gesehen. Ich wollte gern, so unvoreingenommen wie es dann noch geht – ohne Recherchen zur Hauptperson oder Autor –
den Roman als das lesen, was er sein möchte: ein Roman.

Kracht erzählt die Geschichte von

(…) August Engelhardt aus Nürnberg, Bartträger, Vegetarier, Nudist. Er hatte vor einiger Zeit in Deutschland ein Buch mit dem schwärmerischen Titel Eine sorgenfreie Zukunft veröffentlicht, nun reiste er nach Neupommern, um Land zu kaufen für eine Kokosplantage, wieviel genau und wo, das wußte er noch nicht. Er würde Pflanzer werden, doch nicht aus Profitgier, sondern aus zutiefst empfundenen Glauben, er könne kraft seiner großen Idee die Welt, die ihm feindlich, dumm und grausam dünkte, für immer verändern.
Engelhardt war, nachdem er durch einen Eliminierungsprozeß alle anderen Nahrungsmittel für unrein befunden hatte, unvermittelt auf die Frucht der Kokospalme gestoßen.

Engelhardt schifft sich ein in Richtung der deutschen Südsee-Kolonien, misstrauisch beäugt von den Mitreisenden, nur bekleidet mit einem Kittel, langhaarig, spindeldürr. Noch nicht in Herbertshöhe angekommen, ist der Gutgläubige schon ausgeraubt. Naiv und ahnungslos kauft er sich von einer gewieften Geschäftsfrau für 40.000 Mark unbesehen die Insel Kabakon, zum Aufbau seiner „Kolonie der Kokovoren“. Als er das Eiland betritt, glaubt der Träumer sich am Ziel. Abends liest er seinem neuen Gefährten Makeli, einem dreizehnjährigen Insulaner, aus seinen mitgebrachten Büchern vor, auch wenn der anfangs von Dickens und Lenz nichts versteht. Er glaubt, er sei jetzt Herrscher über die Insel und ihre Bewohner.

Mit freundl. Genehmigung des Verlags Kiepenheuer und WitschDie wiederum haben keine Ahnung, dass er ihr Eiland gekauft hat, doch da es sich um freundliche Menschen handelt, beginnt er mit ihrer Hilfe, Kokosöl herzustellen, das sich mehr schlecht als recht verkauft. Er weigert sich, sein Kokosfett zur Herstellung von Palmin herzugeben, man würde dann Fleisch darin braten und das kann er mit seiner Gesinnung nicht vereinbaren. Etwas besser gehen die Geschäfte mit den ganzen Kokosnüssen. Immer wieder in einem Nebensatz erwähnend, dass zu jener Zeit auch der Kinematograph erfunden wurde, springt Kracht, ganz wie in filmischen Rückblenden, zurück in Engelhardts Leben vor seiner Abreise.

Genial der Einfall, zufällige Begegnungen oder Fast-Begegnungen mit anderen bekannten Zeitgenossen zu beschreiben, ohne ihre Namen zu nennen. Kleine Rätsel für den Leser, die amüsieren. Hesse, Kafka, Einstein tauchen auf, unbenannt, doch auch der Vegetarier, der später in Deutschland das Schlimmste aller Zeiten anrichten wird. Kracht versteht es, das ganze Zeitalter im Blick, die treibenden Kräfte der gesunden Ernährung, selbst William Kellog und einen Erfinder des australischen Grundnahrungsmittels Vegemite, in den Roman hineinzuweben.

Es bleibt nicht aus, dass Besucher, die Engelhardts Buch gelesen haben, auf seiner Insel auftauchen. Und damit kommen die Probleme. Denn Engelhardt ist, wen wundert es, ein schüchterner Misanthrop. Auf welche Weise Heinrich Aueckens, der erste dort länger weilende Besucher, sein Ende auf der Insel fand, nachdem er sich an Makeli vergangen hat, bleibt ungeklärt.

Ein zweiter Besucher, Max Lützow, ein erfolgreicher, aber zivilisationsmüder und hypochondrischer Musiker, landet samt Klavier auf der Insel. Eine Zeitlang verstehen Engelhardt und er sich blendend, wie seelenverwandt. Sie schreiben Briefe an vegetarische Zeitschriften in Deutschland, die Berliner Illustrirte zeigt sogar eine Karikatur Engelhardts. Sein Buch Eine sorgenfreie Zukunft erhält einige Neuauflagen und Scharen von selbsternannten jungen Ahnungslosen machen sich auf den Weg nach Deutsch-Neuguinea. Dort liegen sie dann krank in der Stadt vor der Insel herum, bis dem Gouverneur das Ganze zu bunt zu wird, denn bei Engelhardt macht sich langsam der Irrsinn breit, ausgelöst durch Krankheit und Mangelernährung … In einem filmreifen Showdown geht der Roman zu Ende …

Das hat mir sehr gefallen, gefesselt einen klugen Abenteuerroman zu lesen, basierend auf historischen Tatsachen, betrachtet wie einen Film.
Kracht mäandert durch die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts mit einer Erzähllust, die ihresgleichen sucht. Seine fast beiläufigen Sätze, wie anfangs harmloser Fanatismus umkippen kann, sind hervorragend. Noch dazu in sprachlicher Höchstform, der Zeit entsprechend mit so wunderbaren Worten wie „genant“ und „en passant“. Ein köstliches, formidables Stück Literatur. Mehr nicht. Man hat doch einen Verstand und weiß doch, wie man was zu lesen und einzuordnen hat.

Christian Kracht
Imperium
Kiepenheuer & Witsch € 18,99
978-3-462-04131-6

Janina Fleischer, Kulturredakteurin der Leipziger Volkszeitung, interviewt von den Buchmessies – sie hält die Vorwürfe, die Spiegelautor Dietz erhoben hat, für völlig unbegründet:

Quelle: Petra Unger/SchönerDenken

 

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