Prof. Pu ist Guido Guerrieri verfallen

Prof. Pu empfiehlt: In ihrer dunkelsten Stunde von Gianrico Carofiglio

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Zum Glück bin ich nicht die Einzige – ich weiß da noch einige Leserinnen – die Guido Guerrieri, Rechtsanwalt und Privatdetektiv aus Neigung, verfallen ist. Man möchte ihn aus dem Buch herausholen, sich mit ihm bei einem bis vielen caffés unterhalten, so realistisch, intensiv und plastisch beschreibt Carofiglio auch im vierten  Band seiner Kriminalromane den  einsamen Wolf aus Bari. Ich kenne keinen Ermittler, der so intelligent, gebildet und selbstironisch bis zynisch ist wie Guerrieri. Ein melancholischer Buch- und Filmliebhaber, der zum Aggressionsabbau auf „Mr. Sandsack“ eindrischt.
Erst wehrt er sich gegen den neuen Auftrag, den ihm ein Anwaltskollege ans Herz legt.

Fornellis Mandanten waren ein Mann und eine Frau. Ein Ehepaar, beide etwa zehn Jahre älter als ich, schätzte ich, als ich sie sah. Ein paar Tage später, als ich die Akten mit ihren Personalien las, sollte ich feststellen, dass wir beinahe gleich alt waren.
Der Mann rührte mich besonders. Der leere Blick, die gebeugten Schultern, die zu weiten Kleider. Als ich ihm die Hand gab, traf ich auf ein wirbelloses, unglückliches Lebewesen.
Die Frau wirkte normaler, sie war relativ sorgfältig gekleidet, aber auch ihre Augen hatten etwas Krankes, was auf eine seelische Verletzung zurückzuführen war. Ihr Eintreten war wie ein feuchter, kalter Windstoß.

Manuela, ihre Tochter, ist nach einem Wochenende mit Freunden spurlos verschwunden, die Akte soll geschlossen werden, doch die verzweifelten Eltern wollen nicht daran glauben, daß sie nicht mehr lebt und ihr Fall für immer ungeklärt bleibt.

carofiglio

Widerwillig läßt er sich auf den Auftrag ein.

Ich sagte mir, dass ich einen Versuch machen würde. Mehr nicht. Und zuerst mit dem Unteroffizier sprechen, der die Ermittlungen geleitet hatte, Maresciallo Navarra. Ich kannte ihn, wir waren einander wohlgesonnen, und er würde mir sicherlich sagen, welche Meinung er sich über den Fall gebildet hatte, über das Geschriebene hinaus. Danach würde ich entscheiden, ob ich weitermachte und was ich tun wollte.
Als ich auf die Straße trat, zog ich mit einer einstudierten Geste den Kragen meines Trenchcoats hoch, auch wenn dazu kein Anlass war.
Wer zu viele Bücher liest, tut Dinge, für die es keinen Anlass gibt.

Guerrieri beginnt, die Freundinnen der verschwundenen Studentin zu befragen. Wider besseres Wissen, trotz innerer Zwiespälte, läßt er sich mit einer von ihnen auf ein Techtelmechtel ein.
Seine Ermittlungen führen ins Drogenmilieu, zu Kokainhändlern, doch nichts läßt sich an irgendetwas festmachen. Er spürt das Fehlen eines entscheidenden Fakts, erst die Erinnerung an ein Zitat aus einem Conan Doyle-Roman löst den Knoten:„Der Hund hat nicht gebellt.“

Der Schlüssel zu diesem Rätsel bestand darin, dass etwas nicht passiert war. Etwas, was hätte passieren müssen und nicht passiert war.

Am Ende hat er den Alptraum aufgelöst und findet sich doch in ihm wieder …
Carofiglios Kriminalromane enthalten neben einer spannenden Handlung immer auch Liebeserklärungen an Leser, Bewegtbildschauer, Philosophen und nostalgische Rückblicke – sie sind viel viel mehr als einfach nur Krimis.

Gianrico Carofiglio
Viktoria von Schirach (Übers.)
In ihrer dunkelsten Stunde
Goldmann € 17,99
978-3-442-31229-0

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