Oliver Stones Meisterwerk „JFK“ von 1991 bildet den Abschluß unserer kleinen Reihe mit Präsidentenfilmen – heute nun ist die Wartezeit vorbei, denn Präsidentenwahlen finden in den USA immer am ersten Dienstag im November statt, und wir Deutschen können uns heute nacht gegen 2.00 Uhr in der ARD-Sondersendung die ersten Hochrechnungen anschauen.
Über „JFK“ gibt es so viel zu sagen, daß ich nicht recht weiß, wie ich mich beschränken soll. Ich verzichte deshalb auf das einleitende „Erklärstück“ der politischen Hintergründe, denn jeder, der überhaupt auf diesen Filmtipp stößt, wird wissen, worum es geht, und wenn nicht, sollte er ein bißchen Geschichtsunterricht nachholen und bei seriösen Quellen über die Ermordung des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy am 22.01.1963 nachlesen: problemlos zu finden unter der Überschrift „amerikanisches Trauma“. In der amerikanischen Öffentlichkeit besteht nach wie vor ein großes Interesse an den Fragen nach dem „Wer erschoß John F. Kennedy?“ und „Warum?“.
Kinostart des Films von Oliver Stone war am 20.12.1991, und bei einer im Vorfeld landesweit gestarteten und groß angelegten Gallup-Umfrage sagten 73 Prozent der Amerikaner, daß sie nicht an die Ergebnisse der Warren-Kommission glaubten. Die Einzeltätertheorie sei für sie nicht haltbar. Das Gesamteinspielergebnis des Films betrug weltweit über 205 Millionen Dollar – ebenfalls ein Beweis für die große Aufmerksamkeit, die dem Thema zuteil wurde und, schaut man sich im Internet um oder recherchiert die Verkaufszahlen der „JFK“-DVD mit Bonusmaterial von 2003, auch heute noch zuteil wird.
Oliver Stone konzipierte seinen Film auf der Basis der Bücher von Jim Garrison, dem damaligen Bezirksstaatsanwalt von New Orleans („On the Trail of the Assassins“) und Jim Marrs („Crossfire: The Plot that killed Kennedy“). Bereits im Vorfeld, noch ohne einen Meter gedreht zu haben, war Stone alleine wegen seines bloßen Vorhabens schon so in der Kritik, daß der Film unter absoluter Geheimhaltung entstand und er dabei sage und schreibe sechs Drehbücher verschliss und zehn Stunden Material abdrehte, das er später auf 189 Minuten (Filmfassung) bzw. 206 Minuten (Director’s Cut) kürzte.
Der Film ist atemberaubend, überwältigend, verblüffend, grandios, mächtig, kraftvoll und hypnotisch – und das, obwohl er auch durchaus anstrengend ist … nicht nur durch die vielen Dialoge, die schiere Länge und die auffallend außergewöhnliche, ambitionierte Schnitttechnik, sondern einfach dadurch, daß sich der Zuschauer auf diese atemlose Reise vollkommen einlassen und dabei hochkonzentriert sein muß. Das ist kein Film zum Vorüberrauschen-Lassen, zum Unterhalten. Und dennoch ist er niemals, niemals auch nur eine Sekunde langweilig. Auch abseits von den realen, politischen Hintergründen funktioniert er als kriminalistisches, filmisches und cineastisches Meisterwerk, und das mußten auch die Kritiker zugestehen, die Oliver Stone für seine politische Aussage in der Luft zerrissen.
Oliver Stone ist der Vorwurf gemacht worden, er manipuliere das Publikum durch einseitige Argumentation, eine schlüssig vorgetragene, aber dennoch haltlose Verschwörungstheorie, die Macht seiner Bilder und die brillante Besetzung der Rollen. Daß der Film mit 40 Millionen $ Produktionskosten für die Sets, 200 Sprechrollen, Stars und Charakterdarstellern bis in die Nebenrollen natürlich einen überwältigenden Eindruck hinterläßt, ist unstrittig. Aber welche Art von Thesen auf den Zuschauer warten, ist von der ersten Minute des Films an klar und lauert nicht heimtückisch hinter einer packenden Szene, wie dem zentralen Gespräch zwischen „Mr. X“ (Donald Sutherland) und dem Helden Jim Garrison (Kevin Costner).
Direkt zu Beginn des Films (die Eisenhower-Sequenz) macht Stone nämlich klar, daß seiner Meinung nach dem „militärisch-industriellen Komplex“ eine Schlüsselrolle bei der Ermordung Kennedys zukommt. Ein Hauptmotiv sei dabei gewesen, daß Kennedy sich nicht stärker in Vietnam engagieren wollte, sondern genau das Gegenteil, und daß er auch in Bezug auf Kuba auf Deeskalation statt auf Konfrontation setzte. Starke außenpolitisch-ökonomische Interessen (Rüstungsindustrie) hätten gegen Kennedy gesprochen.
Stone sieht sich selbst als politischen Filmemacher, für den seine eigene Zeit in Vietnam prägend war (er gewann u.a. 1986 einen Oscar für „Platoon“). In einem zum deutschen Filmstart von „JFK“ geführten Interview sagte er:
„Präsident Kennedy war für mich und meine Generation so etwas wie ein göttliches Ideal. Durch seine Ermordung wurde ein Traum beendet, der Idealismus meiner Jugendzeit … und wir wurden zu unserem Entsetzen in den Vietnamkrieg verwickelt.“
Wie sehr Stones Sicht auf die Ermordung Kennedys der Realität entspricht, wird vielleicht erst nach Freigabe der bisher nicht öffentlich zugänglichen Akten deutlich – wenn alle in Frage kommenden Hintermänner und Täter längst tot sind.
Auch Oliver Stones Star in „JFK“, Kevin Costner, hatte zunächst Vorbehalte gegen die politische Aussage des Films. Analog zu einem Zitat des legendären „I believe in“- Monologs aus einem seiner besten und erfolgreichsten Filme, „Bull Durham“ (1988), – „I believe that Lee Harvey Oswald acted alone“ – war Costner auch als Privatmann dieser Überzeugung. Costner machte nie ein Hehl daraus, daß er sich als Republikaner verstand und immer an die Aufrichtigkeit seiner Regierung glaubte; die Dreharbeiten zu „JFK“ jedoch veränderten seinen politischen Blickwinkel und er gestand ein:
„Maybe I believe in Lee Harvey Oswald because I can’t believe we’re so fucking corrupt.“
Oliver Stone suchte Costner nach eigenen Worten wegen seiner „Americanness“ aus, fand die Rolle für ihn maßgeschneidert: der unbeirrbare Bezirksstaatsanwalt, der Kreuzritter, der kein Opfer scheut und sich gegen ein machtvolles System stellt, um eine höhere Wahrheit zu ergründen. Costner lehnte die Rolle zunächst ab, weil er von anderen Dreharbeiten erschöpft war, entschied sich aber nach einem genauen Lesen des Skripts dann doch dafür, weil es ihn so sehr berührte:
„You could examine it point by point and discredit and dismantle everything in JFK, but the movie as a whole has an emotional truth.“
Die Drehortbegehung des Texas School Book Depository in Dallas, dem Gebäude, von dem aus Lee Harvey Oswald angeblich John F. Kennedy erschossen haben soll, und das dortige Durchspielen der These vom Einzeltäter anhand von Waffen und der genauen Position am Fenster, überzeugten Costner endgültig:
„I discovered it was not an easy shot – it was plain impossible. And I remember thinking: This could never happened the way they said. Being there, at the window, make me feel better about doing the movie. What we really believe now is that it is very possible more that one person was involved – by definition that is a conspiracy. I believe our story. I believe there was a conspiracy to cover up the murder. (…) It is almost guerilla filmmaking. I support him (Oliver Stone) fully on this film. Oliver is more of a patriot than people expect.“
Costner gibt in „JFK“ eine seiner glaubwürdigsten „All-American-Performances“. Während des Höhepunkts des Films, dem Plädoyer am Ende in der von Garrison angestrengten Gerichtsverhandlung, der einzigen, die es jemals wegen des Kennedy-Attentates gab, schwankt seine Stimme, er krächzt, die Stimme bricht, seine Augen werden feucht. Costner sagt dazu in einem Interview:
„That speech was how I could buy into the movie at some level. It was never intended to be emotional. There was no direction like ‘ He breaks down here’. Those tears come from the whole weight of the movie, of being oppressed, of being made a fool of. I absorbed myself into being the guy. I was as surprised as anybody because the words read almost corny.“
Der (Beinahe-)Schlußsatz des Plädoyers ist unsere Überschrift: „Do not forget your dying King“ und umfaßt die Essenz des ganzen Films. Garrison fragt: „Of what is our Government made?“ und erfüllt damit Oliver Stones‘ Absicht: wie er selbst sagte, ist sein einziger Wunsch an das Publikum, „that they rethink history“.
„JFK“ gewann zwei Oscars in den Kategorien bester Schnitt (herausragende Montage verschiedener Filmformate, radikale Schnitte, eingeflochtenes Dokumentarmaterial – zum Beispiel der legendäre Zapruder-Film – als Meilenstein der Filmgeschichte) und beste Kamera und eine Menge anderer Auszeichnungen. Shaun Usher von der Daily Mail bezeichnete den Film als „the first unmissable film“.
Für mich persönlich ist er unverzichtbar. Dürfte ich nur drei Filme mit auf die berühmte Insel nehmen, wäre er sicher dabei. Die einzige Einschränkung bei meiner „Must-See-Empfehlung“ lautet, daß „JFK“ nun wahrlich kein „Popcorn-Movie“ ist, im Gegenteil; nach dem Anschauen fühlt man sich wie ein Teil eines Joy Division-Songs …
Links
Das Transkript des Drehbuchs bei script-o-rama
Das Drehbuch von „JFK“ komplett online
Bilder zum Attentat aus der Wikipedia