Lieber unbekannter Chinese,
Dir ist der letzte Brief in die chinesische Gegenwart gewidmet. Jetzt sind die Olympischen Spiele vorbei und die Welt zieht ihre Aufmerksamkeit von China ab. Keine Diskussion mehr über Menschenrechte in der besten Sendezeit, kein Philosophieren mehr über die Bedeutung des Einzelnen und des Staates in einer mehr als zweitausendjährigen Kultur. Für Dich hat sich nichts verändert in den letzten Wochen und so viel wird sich auch nicht verändern. Dabei müsste sich einiges verbessern.
Du schaust müde in den Fluss Changjinag – ob er sauber ist oder vergiftet, darüber darfst Du nicht laut nachdenken. Du trägst Deinen Sohn auf dem Rücken, der in einem Zentralkapitalismus mit kommunistischer Fassade aufwachsen wird. Ein Staat, der sich nicht sehr um seine Abermillionen Armen zu kümmern scheint. Ich wünsche Dir, dass Du ein Auskommen für Deine Familie und Dich finden wirst, eine Arbeit ohne Gefahren, und vielleicht auch etwas Freiheit. Und die Reichen in den großen Städten, vielleicht denken sie ja an Dich und die Millionen anderen Tagelöhner. Aber wie Konfuzius sagt:
„Arm sein und nicht murren ist schwer. Reich sein und nicht hochmütig werden, ist im Vergleich damit leicht.“
Mit den besten Wünschen für Dich und Deine Familie grüsst aus dem fernen Westen
Thomas