Aufräumen mit dem Mao-Mythos

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Mao Tse-tung. Dass er keiner von den Guten war, ist klar. Aber trotzdem scheint es so, als ob das ganze Ausmaß des Unglücks, dass dieser Mann angerichtet hat, noch längst nicht allen bekannt ist. Spätestens nach diesem Buch ist es umso unverständlicher, dass das Gesicht des Diktators immer noch als Pop-Art-Emblem auf Deko-Artikeln zu entdecken ist. Jung Chang und ihr Ehemann Jon Halliday haben zwölf Jahre zu Mao recherchiert.

Mao – Eine (fragwürdige) Abrechnung

Chang stammt selbst aus China. Während der Kulturrevolution war auch sie für das Regime im Einsatz gewesen. Unter anderem war Chang ein Mitglied Maos Roter Garden. Die Doktrinen des Regimes scheinen Chang jedoch langfristig nicht überzeugt zu haben: Seit 1978 lebt die Autorin in London.

Das Buch hinterlässt das Gefühl – ohne, dass das explizit erwähnt wird – eine Abrechnung mit Chinas Vergangenheit zu sein. Mit inbrünstiger, emotionaler, fast hasserfüllter Sprache beschreibt Chang Maos Diktatur.

Recherche-Meisterleistung

Respekt verdient das Buch trotzdem – allein für die aufwändige Recherchearbeit. Mehr als ein Jahrzehnt Informationen sammeln – für ein Werk, dass eine veränderte Wahrnehmung der Geschichte Chinas versucht. Die Vielfalt der historischen Zeugnisse ist enorm.

Die Informationen setzen sich zusammen aus Zeitzeugen-Interviews, Zeitungsartikeln oder Archivmaterial aus Behörden. Wobei fraglich ist, in wieweit die Angaben aus offiziellen Archiven unverfälscht sind. Daher sollte man auch die Quellen bestimmter Informationen mit einer gewissen Skepsis betrachten.

Schlecht: Die handwerkliche Umsetzung

Das Werk hat durch seine Detailliertheit den Nachteil, fast vor Informationen überzuquellen. Damit ist die Lektüre von „Mao“ äußerst anstrengend. Eine weitere Schwachstelle ist die Komposition der Texte. Das mag an der Übersetzung liegen. Doch die einzelnen Kapitel wirken wie aneinandergeklebt – logische Überleitungen und ein roter Faden fehlen. Kein Werk aus einem Guss, sondern eher eine Aneinanderreihung von Fakten und leider auch bloßen Vermutungen.

Irreführend und nicht zum Inhalt passend sind auch die Bezeichnungen der Kapitel wie „Maos Machtstreben führt zum Tod seiner zweiten Frau“ oder „Ein blutiger Aufstand ebnet den Weg für den ‚Vorsitzenden Mao’“ Solche fast schon poetischen Titel sind zur Orientierung und zum Nachlesen schlecht geeignet, da sie nicht unbedingt den Hauptaspekt des Kapitels zusammenfassen.

Doch gerade bei einem monströsen Werk wie diesem ist eine gute Strukturierung wichtig. Wer nach den 810 Seiten noch mal schnell nachschlagen mag, wer noch gleich Mitglied der „Viererbande“ war, der muss vermutlich das ganze Buch noch mal lesen. Es gibt zwar ein Register mit Schlagworten. Aber das verweist manchmal auch nur auf Textpassagen, in denen der gesuchte Begriff nur am Rand auftaucht. Ein Glossar wäre bestimmt hilfreich.

Keine Distanz, keine Souveränität

Die Autorin kommentiert das Verhalten Maos. Dadurch werden Beschreibung und Beurteilung unübersichtlich vermischt – und die Anstrengung, die wichtigen Informationen zu behalten, nur noch größer. Die subjektiven Beurteilungen, die aber zum Teil als Tatsachen dargestellt werden, häufen sich. Ärgerlich, wenn man sich selbst einen Überblick über die Epoche machen will: „Anscheinend vergoss auch Mao Tränen, wahrscheinlich aus Frustration über seine Unfähigkeit, seine Impulse mit den praktischen Erfordernissen in Einklang zu bringen. Am liebsten hätte er die vielen ‚Konservativen’ zu Brei geschlagen.“ (S. 705)

Außerdem fehlt eine Stellungnahme Changs zu ihrer eigenen Vergangenheit. Denn im Buch rechnet sie mit dem kommunistischen System Chinas ab. Doch in genau diesem System ist sie als Tochter Hoher Kader aufgewachsen. Die Autorin könnte ihren eigenen Standpunkt nachvollziehbarer – und vielleicht auch glaubwürdiger machen, wenn sie ihre eigene Biographie erklären würde: Vom Leben im System bis zur Idee, ein aufklärendes Buch über Mao zu schreiben.

Fazit: Unter Vorbehalt lesenswert

Das Buch von Jung Chang und Jon Halliday ist anstrengend. Die Sprache ist umständlich, die Kapitel unübersichtlich, der Stil nicht gerade objektiv. Schade eigentlich. Denn gleichzeitig ist „Mao“ ein gigantisches Recherchewerk. Und der beharrliche Versuch, mit einem unglaublichen Mythos aufzuräumen. Die Informationen, die in dem Buch zusammengetragen wurden, erschüttern. Maos Verbrechen stehen denen des Dritten Reichs in nichts nach. Und trotzdem scheint die Grausamkeit des Regimes in ihrer Tragweite nicht ausreichend bekannt zu sein.

Aus diesem Grund ist das Buch trotz seiner Schwachstellen empfehlenswert – für alle, die sich intensiv mit der chinesischen Geschichte beschäftigen wollen. Denn die kritische – wenn zum Teil auch unsachliche – Haltung der Autoren zeigt eine weitere Perspektive, aus der die Vergangenheit wahrgenommen wird.

„Die Wahrheit ans Licht bringen“ über Mao wollten die Autoren, so heißt es im Klappentext. Darauf kann man sich nicht verlassen – und das muss man beim Lesen von „Mao“ im Hinterkopf behalten. Im Prinzip müsste man jetzt selbst anfangen zu recherchieren – um aus den Informationen aus dem Buch „Mao“ das herauszufiltern, was der „Wahrheit“ über diese Zeit noch am nächsten kommt.

Links

Arte-Dokumentation über Mao, Aus der ZDF-Reihe „Die großen Diktatoren“: Teil 3 – Mao, Human Rights Watch mit Hintergrundinformationen zur Menschenrechts-Lage in China (englisch), Rezensionsübersicht bei perlentaucher.de.

Jung Chang, Jon Halliday:
„Mao. Das Leben eines Mannes. Das Schicksal eines Volkes.“
982 Seiten
Gebundene Ausgabe
Karl-Blessing-Verlag 2005
3. Auflage
ISBN: 3896672002
Preis: 29,90 Euro

„Mao“ wurde empfohlen von Susanne Hagen

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