Prof. Pu empfiehlt: „Nur eine Ohrfeige“ von Christos Tsiolkas
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Es war nur eine Ohrfeige, die Harry, Hectors Cousin, auf dessen Gartenfest einem unausstehlichen Dreijährigen verpasst hat. Hugo, der verzogene Kleine von Rosie und Gary, erhebt beim Kricketspielen den Schläger gegen Harrys Sohn.
Hector erstarrte. Gleich schlägt er zu, dachte er. Gleich zieht er ihm das Ding über den Schädel.
In dem Moment, als er ausatmete, sah er Ravi auf die beiden Jungs zuspringen und hörte gleichzeitig Gary wütend fluchen, während Harry an ihnen vorbeipreschte und Hugo packte. Er hob ihn in die Luft, woraufhin der Junge vor Schreck den Schläger fallen ließ.
„Lass mich los“, brüllte Hugo.
Harry setzte ihn ab. Hugo war vor Wut rot angelaufen. Er trat Harry mit voller Wucht gegen das Schienbein. Hector standen die Nackenhaare zu Berge, das Speed strömte durch seine Adern. Er sah, wie sein Cousin den Arm hob, sah, wie seine flache Hand durch die Luft sauste und in Hugos Gesicht landete. Die Ohrfeige schallte durch den ganzen Garten.
Damit ist das Barbecue abrupt zu Ende. Rosie besteht darauf, die Polizei zu rufen, nichts kann sie davon abhalten. Der Vorfall wirbelt die Familie und den Freundeskreis um Hector und Aisha enorm durcheinander. Tsiolkas schildert das, was danach passiert, in Porträts der Anwesenden. Mit Hectors Episode beginnt die Geschichte, es folgt die von Anouk, der beste Freundin seiner Frau Aisha. Zusammen mit Rosie, der „Helikopter-Mutter“, bilden sie ein langjähriges Freundinnen-Trio, das jetzt auf seine Belastbarkeit geprüft wird. Anouk, die Drehbücher für eine bekannte Fernsehserie schreibt, einen jungen Liebhaber hat und vom großen Roman träumt. Die eine ganz eigene Sicht auf ihre Freundinnen mit Kindern hat.
Danach beschreibt er in Harrys Kapitel den am Ende eskalierenden Entschuldigungsbesuch bei Gary und Rosie. Sie besteht weiterhin auf einer Anklage. Auch Connie und Ritchie, Freunde und die Babysitter von Hugo, bekommen ein eigenes Porträt. Beide, Junge und Mädchen, sind heimlich in Hector verliebt, auch das bleibt nicht ohne Folgen. Auch auf Hectors Frau Aisha und seinen Vater Manolis hat die Ohrfeigen-Geschichte nachhaltige Wirkungen.
Tsiolkas erzählt die Geschichte einer griechischen Einwandererfamilie in Australien und berührt die Konflikte und Unterschiede zwischen den sogenannten echten Australiern, Migranten und Aborigines. Es gibt die altbekannten Differenzen zwischen den Geschlechtern, Jung und Alt, zwischen Müttern und kinderlosen Frauen, Atheisten und Gläubigen, Schwulen und Heteros. Er thematisiert Treue und Fremdgehen, Aggression, Lügen, Feigheit, Gewalt und Unterwerfung. Es geht um Erziehung, Herkunft, Selbstbestimmung, Älterwerden, Empathie, Missgunst, Egoismus; im Grunde um alles, was alle bewegt. Ihm ist durch die unterschiedlichen Perspektiven ein gesellschaftliches Kaleidoskop gelungen, über das man lange nachdenken muss. In einem Interview im Arte-Magazin sagte Tsiolkas:
In meinem Roman porträtiere ich die australische Mittelklasse als egoistisch, gierig, selbstgerecht und intolerant. Die jüngeren Protagonisten stelle ich sympathischer dar – ebenso wie die älteren Charaktere (…)
Auf Arte lief im September die achtteilige Serie nach dem Roman, „The Slap“.
Für eine Unterlassungssünde halte ich, dass im Taschenbuch der Übersetzer nicht aufgeführt ist.
Text und Podcast stehen unter der Creative Commons-Lizenz BY-NC-ND.
Quelle: Petra Unger/SchönerDenken
Christos Tsiolkas
Nikolai von Schweder-Schreiner (Übers.)
Nur eine Ohrfeige
Heyne-Taschenbuch € 10,99
978-3.453-43727-2