Entscheidungen nach einer Regennacht

Prof. Pu empfiehlt: „In diesem Sommer“ von Véronique Olmi

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Auch diesen Sommer verbringen Denis und Delphine mit Freunden den 14. Juli in ihrem Ferienhaus in der Normandie. Man liebt und pflegt dieses Ritual, die Männer kümmern sich um den Wein-Einkauf, die Frauen, klar, ums Essen und den neuesten Tratsch. Die halbwüchsigen Kinder langweilen sich oder tun Dinge, die ihren Eltern nicht gefallen. Man trifft die Nachbarn, alles ist wie immer.

Jedes Jahr war es so, die gleichen Gesten, die gleichen Bilder, in derselben Landschaft und die Freude, sich wiederzusehen, mit klar verteilten Rollen und dem gemeinsamen Wunsch, dass alles gelingen sollte. In diesem Jahr aber würde nichts so ablaufen wie erwartet.

Delphine erträgt ihren Mann Denis nicht mehr, sie hatte Affären, weil sie sich nicht mehr beachtet fühlt. Er hält es mit ihr kaum noch in einem Raum aus, so gekränkt ist er. Reden können sie schon lange nicht mehr miteinander, er fährt sie nur noch harsch an, sie schweigt die meiste Zeit oder versucht, so etwas wie Atmosphäre herzustellen:

„Wollen wir beim Italiener essen?“ fragte sie ihn.
„Beim Italiener?“
„Ja. Das haben wir doch früher immer gemacht. Schließlich haben wir Urlaub …“
„Du hast doch immer Urlaub.“

Beide wünschen sich ein neues Leben, ohne einander, doch dazu müssten sie endlich miteinander sprechen.

Zu ihren Freunden gehören Nicolas und Marie, er Lehrer, sie erfolglose Schauspielerin, immer am Rande des Existenzminimums. Auch von ihnen erfährt man die Wahrheiten nur aus ihren Gedanken, auch sie sind die meiste Zeit damit beschäftigt, sich selbst, den anderen und vor allem dem Partner gegenüber, die schöne Larve aufrechtzuerhalten.

Dann ist da noch Lola, ehemalige Kriegsberichterstatterin und jetzt Hörfunkredakteurin, unter den Freunden die größte Meisterin im Sich-Belügen. Jedes Jahr in Begleitung eines anderen Liebhabers, dieses Mal ist er auch noch um einiges jünger. Samuel, der verzweifelt versucht, in diesem Freundeskreis akzeptiert zu werden.

In der Nacht vom 14. Juli, nach dem Feuerwerk, verschwindet Jeanne, die Tochter Delphines, mit einem merkwürdigen Jungen, den ihre Mutter von Beginn an nicht mochte. Nach der gemeinsamen und erfolgreichen Suche in der Regennacht sind einige Entscheidungen gefallen …

Véronique Olmi beherrscht die Kunst des inneren Monologs meisterhaft, bringt die Charaktere dem Leser peu à peu näher, entschlüsselt, entblößt sie nahezu. Sie beschreibt so lebensnah, dass man den Eindruck hat, zu diesem Freundeskreis dazuzugehören, diese Menschen persönlich zu kennen. Auch in ihren bisherigen Werken war es immer das, was mich am meisten beeindruckte, dieses „Echte“ ihrer Protagonisten.

Man könnte aus diesem Buch sofort einen Film, ein Theaterstück entstehen lassen, so fein ziseliert ist jede Person, jeder Gedanke. Véronique Olmi, scheint es, kennt sich aus mit dem Leben …

Text und Podcast stehen unter einer Creative Commons-Lizenz. Quelle: Petra Unger/SchönerDenken

Véronique Olmi
In diesem Sommer
Übersetzt von Claudia Steinitz
Verlag Antje Kunstmann € 18,95
978-3-88897-776-3

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