Am Tag des offiziellen Kinostars erinnert sich Martina an eine ihrer absoluten Lieblingsfolgen:
Nachdem Thomas uns ja seine Lieblingsfolge „Yesterday’s Enterprise“ nahebrachte, stand ich zunächst etwas ratlos vor der Aufgabe, eine Episode aus „Star Trek – The Original Series“ zu meiner Lieblingsgeschichte zu ernennen. Wie soll das jemand leisten, der am Arbeitsplatz Paßwörter wie „Botany Bay“ und „NCC-1701“ vergibt und seinen Volontären das wichtigste, was sie zu Beginn ihrer Laufbahn wissen müssen, unter der Überschrift „Erste Direktive“ schriftlich zusammenfaßt?
Beim ersten Nachdenken brachte ich es auf mindestens zwanzig Lieblingsgeschichten; dann habe ich versucht, diese Aufstellung zu einem guten Dutzend schrumpfen zu lassen – mit Erfolg. Und wenn nicht an dieser Stelle, wann habe ich dann jemals wieder die Gelegenheit, eine solche Liste rauszuhauen? Zum Glück bieten die SchönerDenker immer mal wieder einen Anlaß für Listenglück …
Also, das sind meine All Time Favorites in willkürlicher Reihenfolge:
1. Weltraumfieber (Amok Time)
2. Spock unter Verdacht (Balance of Terror)
3. Brautschiff Enterprise (Elaan of Troyius)
4. Kirk : 2 = ? (The Enemy Within)
5. Meister der Sklaven (The Gamesters of Triskelion)
6. Kennen Sie Tribbles? (The Trouble with Tribbles) (WER hat diese Folge eigentlich nicht bei einem Best Of dabei?)
7. Implosion in der Spirale (The Naked Time)
8. Ein Parallel-Universum (Mirror, Mirror)
9. Der Obelisk (The Paradise Syndrome)
10. Schablonen der Gewalt, ursprünglich Kirks Traum (Patterns of Force)
11. Falsche Paradise (This Side Of Paradise)
12. Ganz neue Dimensionen (Arena)
Eine Episode aber geht mir immer wieder besonders nahe, da sie sowohl emotional als auch darstellerisch das Konzept von Star Trek auf den Punkt bringt: Ein unbekanntes, als gefährlich und mörderisch eingestuftes Wesen entpuppt sich entgegen aller Vorurteile als eine um seine Kinder besorgte, grundsätzlich friedfertige und intelligente Lebensform. Gene Roddenberrys Ziel, der US-Gesellschaft der 60er Jahre zu demonstrieren, daß eine Zukunft ohne Rassenhaß, Vorurteile, Krieg und Unterdrückung möglich sei, zeigt sich an dieser Geschichte besonders gut. Nicht umsonst brachte Roddenberry es fertig, mitten im Kalten Krieg und in den Nachwehen von Pearl Harbour, einen Russen und einen Japaner als wichtige Figuren und Sympathieträger auf die Brücke zu schicken.
Bis zum Beginn der Enterprise-Mission waren SF-Filme in erster Linie davon getragen, daß gute menschliche Helden böse Aliens abknallten. Die Phaser in Star Trek hingegen sind grundsätzlich auf Betäubung, nicht auf Töten eingestellt.
Bevor ich mich nun der besonders anrührenden Folge „Horta rettet ihre Kinder“ (The Devil in the Dark) annähere, muß ich als konservative Bedenkenträgerin Martina in diesem Zusammenhang noch einer Angst vor dem Start des neuen Films Ausdruck geben:
Gerade weil die Enterprise unter Kirk, Spock und Co. kein „interstellares Schützenfest“ (Jacob Drexler) war und die Charaktere deshalb den Zuschauer mit Witz, Charme, Scharfsinn, Wortgefechten und schlitzohrigen Einfällen fesseln mußten, kann ein moderner Film mit haufenweise technischen Tricks und Weltraumschlachten zum Mund offen stehen Lassen der Charakterzeichnung und Tiefe der Original Series nicht das Wasser reichen. Effektreiche Materialvergeudung gibt es genug! Ich bin gespannt und entgegen der Roddenberryschen Maßgabe der Vorurteilsfreiheit in Voreingenommenheit befangen …
Unvorstellbar auch, daß ein solcher Beginn wie bei „Horta“ in einem neuen Film noch vorkäme: In der ersten Sequenz sieht der Zuschauer eine Zeichnung der Pergium-Minen auf dem Planeten Janus VI anstelle einer aufwendigen Kulisse, eine Zeichnung, die nicht einmal ansatzweise zu verbergen sucht, daß sie eine solche ist – ein echtes Bühnenbild. Mit einer unglaublichen Eleganz und Nonchalance steht die original Serie immer wieder zu ihrem niedrigen Budget, dem Styropor, den ganzen entzückend trashigen Behelfsmitteln.
Obwohl das Drehbuch in nur drei Tagen vom ersten Entwurf bis zur endgültigen Fassung gedieh, ist „Horta rettet ihre Kinder“ eines der wichtigsten und am feinsten ausgearbeiteten Star Trek-Statements gegen Vorurteile. Angeblich findet in der Sternzeit 3196.1 das Problem der Xenophobie so gut wie gar nicht mehr statt, und dennoch ist es offensichtlich etwas anderes, wenn die Weltraumreisenden auf eine feindlich wirkende Lebensform treffen, deren physisches Erscheinungsbild und biochemische Zusammensetzung vom Bekannten stark abweicht. Der Stationsleiter auf Janus VI jedenfalls denkt nur ans Vernichten:
„Sie müssen das Monster finden und töten.“
Was ist geschehen? Immer wieder werden Bergarbeiter in den Pergiumminen von einer unbekannten Kreatur getötet, die sich problemlos durch Stein graben kann. Sehr eindrucksvoll für den Zuschauer sind die zischende Säureumrisse der Getöteten auf dem Boden und die dampfenden Säurespuren, die das Wesen bei seiner Fortbewegung hinterläßt.
Nachdem es eine Umlaufpumpe aus dem Reaktor gezischhhhhhhhhhhhhht hat, erkennt Spock die Intelligenz des Lebewesens, weil es ausgerechnet das lebenswichtigste Zubehör der Menschen gestohlen hat. Kirk hingehen kann das Geschehene nur auf diese Formel bringen:
„Mr. Spock, wir haben jetzt nur noch die Wahl zwischen Ersticken oder Tod durch radioaktive Verseuchung.“
Natürlich ist es auch Spock, der vermutet, die auf dem Boden herumliegenden Siliciumkugeln könnten etwas mit dem plötzlichen Angreifen der Kreatur zu tun haben. Obwohl die Minen seit 50 Jahren in Betrieb sind, kommen die Anschläge und Tötungen erst seit Kurzem vor. Für seine These erntet er zunächst nur Hohn und Spott, natürlich von McCoy:
„Auf Silicium basiertes Leben ist physiologisch unmöglich.“
Nachdem Kirk das Wesen verwundet hat und ein Stück seines Gewebes zurückgeblieben ist, analysiert Spock die Zusammensetzung: Asbestfasern, die aus Silicium bestehen. Die Einmaligkeit der Kreatur bewegt Spock, darauf hinzuweisen, daß sie die die letzte Überlebende ihrer Art ist und daß sie zu töten ein Verbrechen sei. Kirk entgegnet, daß der Auftrag der Enterprise-Crew sei, die Minenarbeiter zu schützen und den Abbau von Pergium zu gewährleisten, da viele Planeten der Förderation das Metall für ihre lebenserhaltenden Maßnahmen brauchen. So kommt es auch, daß Spock und Kirk sich beim Erteilen von Befehlen an die Suchtrupps widersprechen: Spock will das Wesen gefangennehmen lassen, Kirk befiehlt, es zu töten.
Auf der Suche nach der Kreatur wird Kirk verschüttet. Ein absolutes Highlight ist für mich die entzückende Szene, in der das fremde Lebewesen einen Deckenträger wegschubst, um auf Kirk Styroporfelsen herabregnen zu lassen, husch… husch… hähähä. Großartig auch Spocks darauffolgendes Hilfsangebot:
„Soll ich Sie herausphasern, Captain?“
Nun ergibt sich eine überraschende Wendung: Kirk ist mit der Kreatur alleine und entschließt sich, sie nicht zu töten, obwohl er Aug’ in Aug’ in Schußweite vor ihr steht (und NIEMAND kann so Aug’ in Aug’ mit der Gefahr stehen wie Kirk!); er empfindet sie als friedlich. Die Rollen von Kirk und Spock drehen sich um, weil nun Spock aus Angst um das Leben Kirks darauf besteht, daß das Wesen getötet werden soll und Kirk es verschonen will. Nicht genug damit, der Captain redet mit der Kreatur, kauert sich vor ihr hin und bittet schließlich Spock, eine der berühmten vulkanischen Bewußtseinsverschmelzungen vorzunehmen, um mit dem Wesen kommunizieren zu können.
Spock stimmt der „schrecklichen Öffnung der mentalen Barrieren“ zu und gibt der Kreatur eine Stimme und einen Namen: Sie heißt Horta und empfindet „Schmerz Schmerz Schmerz“. Daß sie die Minenarbeiter getötet hat, war nur eine Reaktion auf deren Vordringen in neue, tiefere Stollen, die die Zentren der Eiablage Hortas berührten; die Bergleute sind zum Brutplatz vorgedrungen und haben die Brut vernichtet. Horta hat sich demnach nur verteidigt, denn wenn sie ihre Nachkommen nicht beschützen kann, stirbt mit ihr ihre Art aus. Sie ist die Mutter einer ganzen Generation.
Roddenberrys Botschaft, daß Kommunikation und Verständigung Konflikte lösen und nicht Gewalt und Mordlust, wird zum Abschluß der Episode noch einmal sehr schön sichtbar, als Kirk eine flammende Rede gegenüber den Bergleuten hält, die sich wie Mob aufführen und Horta lynchen wollen. Er schildert Horta als friedliebendes und großzügiges Wesen, das nichts dagegen hat, den Planeten zu teilen, obwohl es schon sehr viel länger als die Menschen hier lebt, aber selbstverständlich seine Brut verteidigen muß, und schlägt eine Übereinkunft vor: Horta und ihre Nachkommen graben in Zukunft die Stollen, und die Menschen sammeln nur noch die Erze ein. So geschieht es auch, und um das Happy End perfekt zu machen, heilt McCoys Hortas Phaser-Verletzung mit Silikonzement, was ihn zu einer der bemerkenswertesten Erkenntnisse des Star Trek-Universums bewegt:
„Ich bin Arzt, kein Maurer.“
Obwohl natürlich Leonard Nimoys Darstellung von Spocks Bewußseinsverschmelzung mit Horta herausragend und bemerkenswert ist, so ist es doch William Shatner, dem für seine großartige schauspielerische Leistung ein besonderes Lob gebührt.
Damit meine ich nicht seine dramatische vom Theater geprägte Spielweise oder sein blendend schönes Profil, was ich unter anderen Umständen ja immer gerne erwähne, sondern die Tatsache, daß er als Vollprofi die Dreharbeiten auf hohem Niveau zu Ende führte, obwohl ihn mitten in der Jagd auf Horta die Nachricht erreichte, daß sein über alles geliebter Vater gestorben sei. Shatner erinnert sich:
„Eine Stunde später, nach dem Mittagessen und der ersten Tränenflut, surrte wieder die Kamera. Wir drehten eine ganz bestimmte Szene, und dabei hatte ich immer wieder Schwierigkeiten mit meinem Text. Die Gefühle gerieten mir in den Weg und sorgten dafür, daß ich einen Teil des Dialogs vergaß. Nun, an viele Einzelheiten jenes Tages erinnere ich mich nicht mehr, aber ich weiß noch, daß mir mein Freund Leonard sehr nahe war. Und zwar nicht nur in emotionaler Hinsicht. Haben Sie jemals Dokumentarfilme gesehen, in denen Elefanten ihre Kranken und Sterbenden mit den Körpern stützten? So ähnlich verhielt sich Leonard.“
Für mich als echt geprägten, echt verkitschten, echt verliebten Fan der Original Series ist diese Vorstellung von schützender Partnerschaft das Tüpfelchen auf dem i bei einer so großartigen und weisen Episode, wie sie „Horta schützt ihre Kinder“ nun mal ist.