Nur noch fünf Tage, bis ein „neuer“ Kirk auf der Leinwand auftaucht.
78 Folgen lang (in der ersten Episode „The Cage“ von Star Trek – The Original Series spielte Jeffrey Hunter James Tiberius Kirk) und in sieben Kinofilmen war William Shatner Captain Kirk, und auch wenn nun bald mit Chris Pine ein neuer, junger Kirk auf der Leinwand zu sehen sein wird, wird es für mich keinen anderen Kirk geben können als Shatner – so ist das nun mal mit einer Ehe, die man im Alter von neun Jahren schließt, für immer und ewig, unverbrüchliche Treue, ein heiliges Sakrament.
Es war sehr einfach gewesen, sich in Kirk zu verlieben, ein Kommandant mit Mut, Leidenschaft, Verstand und Herz. Er tat immerzu das Richtige, ohne dabei langweilig, oberlehrerhaft und moralinsauer zu sein. Wie oft stand er vor der Entscheidung, zu Gunsten des Lebens Vieler das eines Einzelnen nicht retten zu können! Eine farbige, vielschichtige Persönlichkeit, entschlossen und heldenhaft, aber trotzdem unter Selbstzweifeln leidend, spontan und mitfühlend und doch oft genug gezwungen, ein Leben zu opfern und manchmal auch mit den eigenen Händen zu töten, teilhabend und betroffen ohne eklige Gutmenschenpose – und ohne Wenn und Aber Verfechter der These, daß der Respekt vor einer jeden Lebensform die Grundlage der Mission im All ist.
Und überhaupt – was für eine Zukunftsvision da 1972 über den Bildschirm flimmerte! War für mich der Fernseher nicht ohnehin schon eine Wundermaschine gewesen, wurde er nun zu einer Offenbarungskiste. Auch eine Neunjährige versteht durchaus, daß das Bild einer zukünftigen Gesellschaft, wie es in „Star Trek“ gezeichnet wird, eine sehr erstrebenswerte und wunderbare Vision darstellt: Individuen arbeiten konstruktiv zusammen, die sich in Rasse, Geschlecht und Herkunft unterscheiden.
Der erste Entwurf Gene Roddenberrys für Kirks Charakterzeichnung sah ihn als „Horatio Hornblower des Weltraumzeitalters“. Von dieser Hornblower-Folie übriggeblieben sind nicht nur Kirks Heldenmut und Mannhaftigkeit, sondern auch seine Selbstzweifel und inneren Kämpfe – und seine Haßliebe zur Enterprise: Sie hindert den Captain an einem „normalen“ Leben und ist dennoch so unverzichtbar für ihn, daß ihn eine beständige Furcht antreibt, sie eines Tages verlieren zu können. Allan Asherman, ein Fan der ersten Stunde, beschreibt den Zustand so:
„Er (Kirk) fühlt sich wie ein Bräutigam kurz vor der Hochzeit, der seine verlorene Unabhängigkeit betrauert, obwohl er sich ein Leben ohne seine große Liebe nicht mehr vorstellen kann.“
Der Kirk, der uns schließlich nach weiteren Entwürfen Roddenberrys gegenübertrat, gewann in der Performance William Shatners seine individuellen und endgültigen Konturen. Wer mich kennt, könnte spotten, daß das in meiner Sprache heißt, er schwitzte Männlichkeit aus jeder Pore (und Pose). Das tat er zwar, aber nur darauf abzuheben, würde heißen, Shatners große schauspielerische Begabung zu leugnen. Seine langjährige Theatererfahrung kam ihm beim Formen des Kirk-Charakters immer wieder zugute.
Ein kleines Beispiel dafür ist ein Theater-Trick, den Shatner gerne benutzte: Er stand mit dem Rücken zum Publikum und drehte sich dann plötzlich mit starker Mimik um und sagte etwas – und egal, wie viele andere Charaktere das Set in diesem Moment bevölkerten und wer gerade sprach, das Publikum konzentrierte sich ausschließlich auf Shatner. Besonders eindrucksvoll kann man das in der Folge „Kirk : 2 = ?“ sehen, einem Highlight der ersten Staffel, in dem Kirk durch einen Transporterfehler in seine „gute“ und seine „böse“ Seite aufgespalten wird.
Shatners kraftvolle und leidenschaftliche Darstellung Kirks paßte natürlich perfekt zu dem Womanizer-Image, das Rodenberry explizit für diese Rolle anlegte. Ich bekenne in diesem Zusammenhang gerne, daß eine meiner Lieblingsfolgen „Meister der Sklaven“ ist, in der Shatner durchtrainiert, halbnackt und schweißnaß glänzend in der Arena kämpft – großes Kino!
William Shatner schreibt in seiner Autobiografie:
„Ich sollte hier hinzufügen, daß es mir eigentlich recht leicht fiel, Captain Kirk zu spielen. (…) Weisheit, Mut und Heldenhaftigkeit waren natürlich in erster Linie Eigenschaften des Captains. Doch im Kern seines Selbst gab es viele Parallelen zwischen Kirk und mir. Jim repräsentierte eine idealisierte Version von William Shatner, eine Art zweites Ich, das sich problemlos in den Vordergrund schieben ließ. Mit anderen Worten: Ich hörte auf den Rat des Instinkts. Natürlich spielte ich eine sehr klare Rolle. Ganz gleich, was die Drehbuchautoren von Kirk erwarteten, ob er kämpfen mußte, lieben durfte oder mit der Notwendigkeit konfrontiert wurde, sehr wichtige Entscheidungen zu treffen: Ich konnte immer meine eigenen Erfahrungen nutzen, um den emotionalen Kern jeder Szene zu finden. Ich schlüpfte nicht in dem Sinne in eine Rolle, sondern reagierte. Meine eigene innere Struktur diente als Gerüst für Jim Kirks Charakter. Wir glichen uns weitgehend. Obwohl: im Gegensatz zu mir war Jim nur fast perfekt, ähem …“
Die Kirk-Rolle wurde Shatner zur zweiten Haut. Im Alltag führte das manchmal zu maßloser Selbstüberschätzung. Shatner beschreibt sehr humorig, daß er sich aufgrund des Wie-Kirk-Fühlens gerne mal in der Realität mit viel zu großen und starken Gegnern anlegte und öfters verdroschen wurde.
„Wenn ein Gegner angriff, so sprang ich ihm mit den Füßen voran entgegen. Die Sache ähnelte den fliegenden Drop-Kicks der Profi-Wrestler. Ich fand großen Gefallen daran, und natürlich erzielte ich in der Serie immer einen Erfolg. Der Bösewicht fiel und blieb ‚bewußtlos’ liegen. Ich hatte den Dreh immer besser raus und sah in dieser Kampfmethode einen Aspekt von Kirks Wesen. Kommt nur, ihr Schurken …“
William Shatner ist trotz vieler weiterer Film- und Fernsehrollen, trotz seiner abseitigen Tätigkeiten als Sänger und Talk Show-Moderator, Pferdezüchter und Kabarettist unvergänglich, unsterblich, unwandelbar James T. Kirk. Wie kann jemals ein anderer diese Rolle ausfüllen? Kirk ist nicht teilbar, Kirk : 2 = 0. Natürlich freue ich mich sehr darauf, die Enterprise wieder auf der Leinwand fliegen zu sehen. Aber ich werde dem Film wie den Ablegerserien gegenüberstehen: interessiert, amüsiert, anteilnehmend, doch innerlich kühl. Dem „neuen“ Kirk wünsche ich alles Gute – doch so nennen werde ich ihn nie. Was die unendlichen Weiten zusammengefügt haben, kann der Mensch nicht scheiden.
Linktipp: www.thecaptainkirkpage.com