Prof. Pu empfiehlt: Tabu von Ferdinand von Schirach
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Es ist nicht leicht, Literaturkritiken zu entkommen, ich versuche immer, sie vor der Lektüre zu umgehen, erst recht vor dem Schreiben. Oft steckt auch einfach nur Häme und keine qualifizierte Kritik dahinter, wenn ich zum Beispiel an Denis Scheck denke, mit welchen Worten er in seiner letzten Sendung „Tabu“ im wahrsten Sinne in die Tonne gekloppt hat …
In solchen Momenten möchte ich mich schützend über das Buch werfen.
Rot, Blau, Grün heißen die ersten drei Kapitel des Romans, dem dieses Zitat vorangestellt ist:
Sobald sich das Licht der Farben
Grün, Rot und Blau
in gleicher Weise mischt
erscheint es uns als Weiß.Farbenlehre nach Helmholtz
„Rot“ steht über der Geschichte des Sebastian von Eschenburg, aus verarmtem Adel stammend, mit einer kaltherzigen Mutter und einem Vater, der dem Jungen zumutet, ihn nach seiner Selbsttötung aufzufinden. Nach dem Internat beginnt der verstörte junge Mann bei einem Fotograf zu arbeiten und selbst kunstvolle, irritierende Fotografien und Videoinstallationen zu schaffen. Seine Beziehung zu einer Frau gestaltet sich schwierig, doch die außergewöhnlichen Fotografien, die er von ihr macht, bescheren ihm Erfolg und Geld.
„Blau“ heißt das Kapitel, das von der Entführung einer jungen Frau, Hinweisen auf einen Mord ohne Leiche, dem tatverdächtigen Künstler, einem Folter androhenden Polizisten und einer wegsehenden Staatsanwältin erzählt.
In „Grün“ erzählt von Schirach in seiner unnachahmlichen lakonischen und spannenden Weise die Geschichte der Verteidigung von Eschenburgs durch Biegler, einem alten Anwalt, vor allem aber thematisiert er die Folterandrohung. Die Befragung des Polizisten vor Gericht durch den Verteidiger ist genial.
„Glauben Sie, dass alle Hexen mit dem Teufel geschlafen haben?“, fragte Biegler.
„Wie bitte?“
„Ich meine, ist Ihnen bewusst, dass die Folter auch deshalb abgeschafft wurde, weil Gefangene unter Schmerzen alles gestehen? Sie sagen nicht die Wahrheit, sondern das, was der Folterknecht hören will. Während der Inquisition haben alle Hexen mit dem Teufel geschlafen – das haben sie jedenfalls behauptet, wenn sie lange genug gequält wurden. Selbst der Papst hat irgendwann eingesehen, dass es nichts bringt. In Ihrem Beispiel der tickenden Bombe können Sie doch gar nicht rechtzeitig überprüfen, ob der Terrorist die Wahrheit sagt.“
„Vielleicht nicht. Aber vielleicht kann ich die Bombe finden und entschärfen.“, sagte der Polizist.
„Sie foltern also, weil es vielleicht hilft?“
Doch nicht nur wegen des Foltervorwurfs wird Biegler den Prozess gewinnen …
Über den beiden letzten Seiten des Romans steht „Weiß“.
Vielleicht habe ich nicht alles in diesem Buch verstanden, doch es war mir gar nicht so wichtig. Ich habe die Sprache genossen, auch die Melancholie und Lakonie, die über dieser eindringlichen Geschichte liegt. Ich hatte beim Lesen die ganze Zeit von Schirachs angenehme Art zu sprechen im Ohr, als hätte er sie mir vorgelesen.
Text und Podcast stehen unter der Creative Commons-Lizenz BY-NC-ND.
Quelle: Petra Unger/SchönerDenken
Ferdinand von Schirach
Tabu
Piper € 17,99
978-3-492-05569-7