Die großen, ganz privaten Momente des Kinos – eine Liebeserklärung von Nicole Asmuth
Ich hab mein liebstes Haarband im Kino verloren. Seitdem trage ich meine Haare kurz. An jenem Abend vor langer Zeit haben meine besten Freunde und ich in unserem Lieblingskino „Das Piano“ gesehen und ich weiß noch, dass ich sofort am nächsten Morgen in einen Laden gegangen bin, um mir die Filmmusik von Michael Nyman zu kaufen. Ich habe mir die CD schon lange nicht mehr angehört und um ehrlich zu sein, ich wüsste gerade nicht einmal, wo sie bei mir zu hause zu finden wäre. Aber damals war ich berauscht von den urwüchsigen Bildern und den dramatischen, eindringlichen Melodien. Das hat mich schnell über den Verlust meines Haarbandes hinweg getröstet und ich nahm es als Anlass, meine langen Haare raspelkurz schneiden zu lassen.
+++ Warum lieben wir Kino? Dieser Beitrag ist der Start einer Blog-Parade. Wir rufen jeden bloggenden Kinobegeisterten auf, seine oder ihre „Kino-Liebesgeschichte“ auf seinem Blog zu erzählen. Bitte schreibt die Links zu Eurem Blogbeitrag in einen Kommentar zu diesem Beitrag. Diese Blogparade läuft bis zum 1. März 2009 und wird am Ende alle Love Storys in einem Beitrag versammeln +++
Kino hat schon immer eine aufwühlende Wirkung auf mich ausgeübt und mich zu seltsamen, spontanen Handlungen bewogen. Und das lag nicht immer nur an den Filmen selbst. Das wo und wie und mit wem war oft ebenso bedeutsam wie das Geschehen auf der Leinwand. Kino ist ein Gesamtkunstwerk.
Ebenfalls vor vielen Jahren, als „Heimat 2“ von Edgar Reitz im Fernsehen zu sehen war, hatten die Macher unseres Programmkinos vor Ort die grandiose Idee, Heimat 1 und Heimat 2 am Stück zu zeigen. Das Interesse an über zehn Stunden in auf die Dauer ausgesprochen unbequemen Kinosesseln der Marke Mottenfraß, war enorm. Mein damaliger Freund und ich konnten gerade noch zwei Plätze ergattern und zusammen haben wir die Nacht zum Tag gemacht. Ich habe mich wortwörtlich bis zur letzen Episode gequält. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich finde „Heimat“ durchaus gut gemacht und die Schauspieler sind zum Teil grandios. Aber so eine Nacht kann schon ganz schön lang werden. Außerdem hatte ich viel Zeit, meinen Freund besser kennen zu lernen. Er und ich wären auf Dauer nicht kompatibel gewesen, das wurde mir etwa zwischen Episode drei und vier der zweiten Staffel klar. Die Hälfte der Vorführung hat er wie ein Sägewerk im Dauerbetrieb geschnarcht. Am Morgen, als wir aus dem dunklen Kinogebäude in den rosigen neuen Tag traten, habe ich mich von ihm getrennt.
Seitdem vertrete ich die Haltung, dass Kino mehr ist als nur eine Leinwand, auf der mal mehr, mal weniger begabte Regisseure ein mehr oder weniger gutes Drehbuch mit mehr oder weniger gut besetzten Schauspielern inszenieren. Kino ist auch der Typ neben dir, der beim Lachen sein Popkorn über dich ausschüttet und der Angeber daneben, der seiner Schnitte für jeden gut vernehmbar erzählt, wie die Geschichte weiter geht – schließlich hat er den Film schon mindestens zwanzig Mal gesehen. Kino ist der Knoblauchgeruch aus der Reihe hinter dir und sind die 1 Meter 90 in der Reihe vor dir. Kino ist eben auch ein Gemeinschaftserlebnis und das ist gut so.
Bestärkt wurde ich darin, als ich einmal ganz allein in einem Kino einen Film gesehen habe. Wohlgemerkt in einem riesigen, altehrwürdigen Filmtheater mit Empore und Lüstern an der Decke, ein Raum so groß, das die Fischerchöre zehnmal hineingepasst hätten. Ob es am Film gelegen hat? „Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem“ von und mit Helge Schneider war damals eigentlich ein Renner. Das hatte ich zumindest in der Zeitung gelesen. Und ich war auch nicht etwa zur Nachmittagsvorführung erschienen. Nein, es war Primetime an einem ganz normalen Wochentag. Auch eine Rückfrage bei der alten Dame am Kartenschalter bestätigte mir, dass ich im richtigen Kino saß. Der Mann am Projektor erließ mir die Werbung, die doch irgendwie auch zum Kino dazu gehört, der Vorhang ging auf und Helge spielte ganz alleine für mich. Es war gruselig, sein eigenes Lachen von den Wänden zurückgeworfen zu hören. Ich wurde immer kleiner in meinem Sessel. Das Lachen blieb mir schließlich ganz im Hals stecken. Helge, es tut mir leid, du und ich allein im Kino – das ist nicht meine Vorstellung eines gelungenen Dates, aber trotzdem danke für die Erfahrung.