Prof. Pu empfiehlt: 84, Charing Cross Road von Helene Hanff
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Letztens hatte ich es mal wieder verliehen – und da blieb der schmale Band dann erst einmal liegen. Bis die Freundin das Buch doch in die Hand genommen hat und es völlig verzückt in einem Zug durchlas – diesen Briefwechsel der besonderen Art. Helene Hanff, Drehbuchschreiberin in New York, verzweifelt auf der Suche nach „guter“ Literatur, schreibt 1949 an ein Londoner Antiquariat:
Sehr geehrte Herren!
Ihrer Anzeige in der Saturday Review of Literature entnehme ich, dass Sie auf Bücher spezialisiert sind, die nicht mehr lieferbar sind. Die Bezeichnung „Antiquariat“ erschreckt mich ein wenig, da ich „antik“ mit „teuer“ gleichsetze. Ich bin eine arme Schriftstellerin mit einer Vorliebe für antiquarische Bücher, und all die Dinge, die ich haben möchte, bekomme ich hier nur in sehr teuren, seltenen Ausgaben oder in schmuddeligen Schulausgaben von Barnes & Noble, die im Preis heraufgesetzt sind.
Ich füge eine Liste bei mit meinen dringendsten „Problemen“. Falls Sie gut erhaltene gebrauchte Exemplare von irgendeinem der Bücher auf der Liste haben und diese nicht mehr als 5 Dollar pro Stück kosten, würde Sie bitte diesen Brief als Bestellung auffassen und mir die Exemplare zusenden?
Hochachtungsvoll
Ihre Helene Hanff
(Fräulein Helene Hanff)
Damit beginnt ein zauberhafter Austausch zwischen ihr und dem Londoner Buchhändler Frank Doel, der über fast zwei Jahrzehnte andauert. Rasch gesellen sich seine Kolleginnen und sogar seine Ehefrau hinzu. Alle erliegen dem herzhaft-rauhen Charme der New Yorkerin, die, immer am Rande der Fettnäpfchen segelnd, recht bald versteht, woran es den Londonern besonders mangelt:
Ich habe das Päckchen abgeschickt. Es besteht in der Hauptsache aus einem 6-Pfund-Schinken. Ich dachte mir, Sie könnten ihn zu einem Metzger bringen und aufschneiden lassen, so dass jeder etwas davon nach Hause mitzunehmen hätte.
Doch dann sah ich gerade auf Ihrer letzten Rechnung:
„B. Marks. M. Cohen”. Inhaber.
ESSEN SIE NUR KOSCHERE SACHEN? In dem Fall könnte ich rasch ein Stück Zunge schicken.
RATSCHLÄGE DRINGEND ERBETEN!
Helene Hanff
Sie schickt Eier zu Ostern und bestellt sich eine Bibel:
WAS UM ALLES IN DER WELT FÜR EINE SCHLECHTE PROTESTANTISCHE BIBEL IST DENN DAS?
Wären Sie so freundlich und würden den Verantwortlichen der anglikanischen Kirche Englands mitteilen, dass sie, wer immer ihnen den Auftrag gab, an der Vulgata herumzupfuschen, die schönste Prosa, die je geschrieben wurde, versaut haben?
Sie werden dafür in der Hölle braten, das können sie sich merken!
Mir macht das, da ich selber Jüdin bin, nichts aus.
Aber ich habe eine katholische Schwägerin, eine methodistische Schwägerin, einen ganzen Tross von presbyterianischen Neffen (über meinen Großonkel Abraham, der konvertierte) und eine Tante, die Gesundbeterin bei der Christian Science ist, und ich bin mir sicher, dass keiner, wirklich keiner von ihnen diese anglikanische Latein-Bibel akzeptieren würde, falls sie wüssten, dass es sie gäbe. (Und ehrlich gesagt, wissen sie nicht einmal, dass es Latein gibt.)
Gut, zur Hölle damit (…)
So geht es Jahr um Jahr, man erfährt viel über ihre Lebensumstände als Bohèmienne in New York und über die der Briten in der Nachkriegszeit. Und man beginnt, sie alle lieb zu gewinnen und hofft mit ihnen, dass Helene es endlich schafft, Geld für einen Besuch in ihrer Sehnsuchtsstadt und in der Charing Cross Road zusammenzusparen. Doch es kommt immer wieder etwas dazwischen. Leider lernen sich die extrovertierte Hanff und der stille bescheidene Frank Doel nie kennen, er stirbt Ende 1968. Doch sie hält, auch nachdem die Buchhandlung geschlossen wird, weiterhin mit den Hinterbliebenen Kontakt. Erst 1971 schafft sie es endlich, nach London zu reisen, um ihren Briefwechsel vorzustellen. Auch darüber hat sie ein Buch geschrieben: „Die Herzogin der Bloomsbury Street“.
Anne Bancroft, Helene Hanff in der Kinoverfilmung, sagte über dieses Buch:
„… dass all die Bücher, die da angefordert, aufgespürt, verschickt und empfangen werden, glücklicherweise weitaus mehr vermitteln: Gespräch, Freundschaft, Zuneigung, Großzügigkeit, Witz – mit anderen Worten: die besten Dinge, die das Leben uns schenken kann.“
Bedauerlicherweise ist die Kinoverfilmung mit ihr und Anthony Hopkins nie in den deutschen Verleih gekommen. Dabei ist das doch eine wunderschöne Idee: Ein Film über Bücher – statt das ewige Buch zum Film …
Helene Hanff
84, Charing Cross Road
Eine Freundschaft in Briefen
btb-Taschenbuch € 7.-
978-3-442-73129-9