Früher in der DDR hamwer Schlange gestanden, um überhaupt wat zu kriegen. Jetzt stehnwer Schlange, um unser Geld loszuwerden.
Spricht der Mann, der im Supermarkt vor der Kasse wartet. Eine kleine Episode nur beim samstäglichen Einkauf. In einer Stadt wie Berlin aber von gesamtdeutscher Aussagekraft. Ost meets West, hier ist das immer mal und immer noch ein Thema. Unaufgeregt, aber ein Thema. Der alteingesessene Wäscheladen mit Sitz am Traditionsplatz Kurfürstendamm hat jetzt eine kleine Filiale im Prenzlauer Berg. Warum?
Weil, die aus’m Osten nicht nach gern in den Westen fahren.
Erklärt die Verkäuferin. Ganz sachlich und kein bisschen besserwessi-erisch. Umgekehrt wissen auch die beiden Berlin-Besucherinnen aus Thüringen einiges zu erzählen, Vorwende-geboren alle beide. Eine hat das Licht der sozialistischen Welt sogar noch erblickt vor dem Mauerbau. Der war ein traumatisches Ereignis von nationaler Tragweite. Dem im Westen ganze Schulklassen begegneten, indem sie hoffnungsleuchtende Kerzchen im Fenster aufstellten für „Unsere Brüder und Schwestern im Osten“.
Stimmt, meint die ältere Thüringerin nachdenklich, Jahre später haben auch wir in der DDR davon gehört, dass es solche Solidar-Aktionen gab. Irgendwie rührend. Rührend – und ziemlich überflüssig,
gesteht sie verschämt ein. Das lockert auch bei ihrer Begleiterin Zunge wie Erinnerungen und animiert sie zu freimütigen ost-westlichen Bekenntnissen:
Diese Bananen-Sonder-Verkaufsaktionen für Ossis, damals gleich nach der Wende, die fand ich, die fanden wir … also … Pause … wie soll ich sagen? … einfach nur erniedrigend! Peinlich. Als ob wir Affen wären …!
Große Moment der deutschen Geschichte. Aus der subjektiven Perspektive wirken sie manchmal unsäglich banal. Aber manchmal kommt spät eben doch noch zusammen, was zusammengehört. Vielleicht.
Acht Meter Chrom und weißer Lack, schräg vorm Brandenburger Tor! Eine Stretch-Limousine! Drei Paare im Rentner-Alter, dem Idiom nach aus dem Sächsischen, posieren kichernd in immer neuen Konstellationen vor der Prachtkarosse. Können gar nicht genug bekommen von dem RIESEN-Auftritt, den sie hier haben. Dutzendfach abgelichtet nicht nur fürs private Fotoalbum, sondern von Berlin-Touristen aus der ganzen Welt. Die muntere Senioren-Truppe hat sich das Super-Auto samt Chauffeur gemietet. Vielleicht war ja genau dies ein jahrzehntelang gehegter Traum vom freien Leben in einer freien Welt: Einmal mit der Stretch-Limo vorm Brandenburger Tor. Das hat doch nicht mal der gute alte Erich geschafft …
Aber womöglich ist solche Betrachtungsweise zu sehr rückwärtsgewandt. Unter den lautstarken Teenies in der wiedervereinigten Berliner U-Bahn jedenfalls gilt eine neue Zeitrechnung. Wer nicht up to date ist in Outfit oder Gesinnung, der kriegt schon mal diesen Spruch an der Kopf:
Ja wo bitte lebst DU denn?! Wohl noch im Jahr 1990!