Zurzeit ist der Jazzmusiker John Abercrombie wieder in Deutschland auf Tour (7.10. in Gießen, 9.10. in Frankfurt, 22.10. in Mannheim). Das letzte Mal live habe ich ihn vor zwei Jahren in Trier gesehen. Damals ist er mit Joe Beck aufgetreten. Die beiden, die 2007 schon jenseits der 60 waren, haben mir jungen Hüpfer eindrucksvoll bewiesen, warum sie zu den besten Jazz-Gitarristen der Welt gehören. Noch heute bekomme ich Gänsehaut, wenn ich an das Konzert zurückdenke. Dabei begann alles wenig verheißungsvoll.
Vor dem Gig mussten die zwei Musiker mir nämlich ein kurzes Interview geben. Wovon sie zunächst weniger begeistert schienen als ich. Die anfangs steife Unterhaltung entwickelte es sich aber zu einem launigen Gespräch, das ein jähes Ende fand, als John Abercrombie versuchte, etwas aus seiner Jacke zu holen, und dabei seine Gitarre unsanft vom Schrank herunterriss.
Sie krachte volle Kanne auf den Boden und das nur, weil ich John mit einer Nachfrage abgelenkt hatte. Die „Sonderanfertigung“, die „einzige Gitarre, die er dabei hatte“, „Johns Lieblingsgitarre“. Sekunden der Stille vergingen, in denen John, Joe, der Roadie und ich mit Schrecken auf das teure Instrument starrten und ich mir nur dachte:
„Oh mein Gott, ich habe Abercrombies Gitarre getötet! Und jetzt lynchen mich die wartenden Jazzfans im Saal.“
Denn John und Joe waren nur mit zwei Gitarren und dem Roadie unterwegs, und es gab keine Ersatzinstrumente. John hob seinen Liebling fluchend vom Boden auf, überprüfte die Saiten, den Gitarrenhals und die Tonabnehmer. Alles schien soweit in Ordnung. Ich verdrückte mich derweil aus der Garderobe und das Konzert fand ohne weitere Zwischenfälle statt.
Dem Interview, das eines der letzten Interviews der beiden gemeinsam sein dürfte (übrigens, ebenfalls nie gesendet), hört man die widrigen Umstände, unter denen es entstanden ist, nicht an.
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Aber wer sind überhaupt Joe Beck und John Abercrombie? Der Musikkritiker Joachim Ernst-Berendt schrieb einmal über Abercrombie:
Abercrombie wurde in Billy Cobhams Jazz Rock-Band berühmt. Später hat er sich zu einem großen Poeten und Sensibilisierer des zeitgenössischen Gitarrenspiels entwickelt. 1974 machte er viel beachtete Aufnahmen mit Jan Hammer und Jack DeJohnette. Seit 1986 leitet er ein exquisites Trio mit dem Bassisten Marc Johnson und dem Schlagzeuger Peter Erskine. John Abercrombie ist ein Meister im gefühlvollen, variantenreichen Binden und Ineinanderziehen von Tönen. In seinem legatorischen Spiel vermittelt er zwischen Freiheit und vorgegebener Struktur; seine dunklen, gleitenden Melodien stecken voller Geheimnisse und Melancholie. Er hat das Spiel der Post-Fusion-Gitarre in der Neo-Bop-Ära relevant bleiben lassen. (Berendt: Das Jazzbuch)
Ich versuche es mal weniger wichtig auszudrücken: Abercrombie (*1944) schlug 1974 mit seinem Debütalbum „Timeless“ (ECM) sowas von ein, dass die Platte bis heute ein Muss für Audiophile ist und in sämtlichen Top 100 der wichtigsten Jazzalben aller Zeiten auftaucht. Seitdem hat der virtuose Gitarrist in verschiedenen namhaften Formationen gespielt und Dutzende Platten aufgenommen.
Joe Beck (*1945) hat viele Jahre als Studiomusiker gearbeitet – unter anderem für Miles Davis, James Brown und Paul Simon. Der Musikszene kehrte er im Laufe seines Lebens immer mal wieder den Rücken, um sich seiner Farm zu widmen. Mit Abercrombie hat er 2007 das Album „Coincidence“ (Whaling City Sound) aufgenommen. Im Dezember 2007 machte er seine letzte Tour. Im Juli 2008 starb Joe Beck an Lungenkrebs.
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