Irrungen und Wirrungen

Christopher über Stefan Austs Buch „Baader-Meinhof Komplex“
Als Stefan Austs Buch „Baader-Meinhof Komplex“ 1985 erschien, hatte sich das Blatt schon gewendet. Das Scheitern der RAF war offenkundig. Der „deutsche Herbst“ war zu einem Symbol des selbstgerechten Hasses auf ein angebliches „Schweinesystem“ geworden. Trotz der zurückkehrenden Normalität saß der Schock tief.

Die Morde an Buback, Drenkmann und Schleyer hatten auch fünf Jahre nach dem Selbstmord von Baader, Enslin und Meinhof ihre Wirkung nicht eingebüßt. Zu hoch war der Blutzoll gewesen, den Politik und Gesellschaft in den vergangenen beiden Jahrzehnten gegenüber der „Roten Armee Fraktion“ zu entrichten hatten. Das Aufatmen, das nach der Geiselbefreiung durch die GSG9 in Mogadischu in weiten Teilen der Bevölkerung spürbar war, ließ die Vorgeschichte der RAF und ihrer Protagonisten in den Hintergrund treten.

Austs Buch machte den Versuch, die Entwicklung oder besser gesagt die Eskalation der Gewalt Schritt für Schritt nach zu zeichnen. Ausgangspunkt seiner Untersuchungen war ein von Protest und Ungehorsam geprägtes Bürgermilieu. Kriegsversehrte Familien wie die von Baader und Meinhof gehörten ebenso dazu wie das protestantische Pfarrhaus der Ensslins. Gemeinsame Grundlage waren der Widerstand gegen die Nazis, die puritanischen Sinnsuche und der Wunsch zu provozieren. Obwohl von bürgerlichen Tugenden geprägt waren Baader, Meinhof und Ensslin schon früh Außenseiter mit dem Hang zur Radikalität.

Die kleinkriminellen Neigungen Baaders und der sozialistische Idealismus Meinhofs mischten sich mit dem teilweise fanatischen Bekennertum Ensslins. Angefangen mit Autodiebstählen und Banküberfällen suchte sich die damals noch als „Baader-Meinhof-Bande“ bezeichnete Gruppe schon bald lohnendere Objekte, um ihren Protest gegen die „Herrschaft des Kapitals“ zu demonstrieren. Der Brandanschlag auf das Frankfurter Kaufhaus Schneider war ein erster Vorbote der Radikalisierung. Der Sachschaden war gering, der Verlust von Menschenleben wurde vermieden.

Der Anschlag auf Dutschke, der Vietnam-Krieg sowie eine gehörige Portion Antizionismus verstärkten die Protestbewegung unter den Studenten und führten den „Stadt-Guerilleros“ um Baader und Meinhof neue Sympathisanten und Unterstützer zu. Das Leben im Untergrund wurde zur Normalität. Verschwörermentalität und Isolation steigerten die Radikalität der Gruppe. Bombenanschläge und der rücksichtsloser Schusswaffengebrauch, der auch den Tod Unbeteiligter in Kauf nahm, waren an der Tagesordnung.

Die zur RAF umdeklarierte Baader-Meinhof Gruppe wurde auch gegenüber internationalen Terrororganisationen „gesellschaftsfähig“. Aufenthalte in Jordanien und im Jemen folgten. Entgegen der Erwartung brachte die Verhaftung von Baader, Ensslin und Meinhof im Jahre 1972 keine Entspannung. Die Terroristen der zweiten Reihe, ehemalige Sympathisanten, traten in ihre Fußstapfen und führten das Zerstörungswerk ihrer Vorgänger fort.

Austs „Baader-Meinhof Komplex“ entmystifiziert die Vorstellung vom romantischen Untergrundkampf. Angesichts der wachsenden Paranoia von Baader, Meinhof und Enslin, fällt es schwer Sprüche wie „High sein, frei sein, Terror muss dabei sein“ ernst zu nehmen. An die Stelle von Freiheit und Selbstverwirklichung traten Befehl und Gehorsam. Die Verwirklichung politischer Ideale wurde sekundär. Vielmehr trifteten Wunsch und Wirklichkeit immer weiter auseinander. Die entstehende Kluft füllten Gruppenzwang und Verfolgungswahn.

Der vom kapitalistischen Staat verfolgte Aktivist und sein Leben im Untergrund wurden zum Programm. Gelegentliche Zweifel von Ulrike Meinhof wirkten da nur kontraproduktiv. Sie offenbarten eine Bürgerlichkeit, der man zu entfliehen suchte ohne sie wirklich jemals abzulegen. Stefan Austs Buch beschreibt ein Dilemma, das am 18. Oktober 1977 seine Auflösung fand. Andreas Baaders, Gudrun Ensslins und Jan-Karl Raspes letzter Ausbruchsversuch war erfolgreich. Ihr gemeinsamer Selbstmord zog den Schlussstrich unter eine lebensfeindliche Utopie, der sie am Ende selbst zum Opfer fielen.

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Autor Stefan Aust war bei SWR1 zu Gast und spricht über sich, seinen Buch und den Film:
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