„Bad Monkeys“: Die Wahrheit der Lüge

Nicht neu, aber immer wieder spannend ist die Ausgangssituation: eine Frau, verhaftet wegen Mordverdacht, erzählt eine unglaubliche Verschwörungsgeschichte. In langen Sitzungen mit einem Polizeipsychologen berichtet Jane Charlotte von ihrem Leben als Versagerin, als Drogenjunkie, redet über den Ärger mit ihrer Mutter und von Sex mit minderjährigen Jungs. Vor allem aber berichtet sie von „Bad Monkeys“, der Unterabteilung einer Geheimorganisation, die das Böse bekämpft. Darum habe sie die Lizenz zu töten:

„Also, bei Ihrer Arbeit für Bad Monkeys“, sagt der Arzt, „was machen Sie da? Böse Menschen bestrafen?“
„Nein. Gewöhnlicherweise töten wir sie einfach.“

Der Psychologe macht sich die Mühe und überprüft ihre Geschichte – in vielen Punkten hat Jane gelogen, aber ist Jane wirklich ihr Name? Jane ist natürlich eine schwierige Hauptfigur – eine Antiheldin, die immer, wenn es darauf ankommt, kneift und sich stattdessen Drogen einwirft. Mir persönlich ging Jane vor allem mit ihrer Egomanie und ihrer totalen Disziplinlosigkeit auf die Nerven. Aber Matt Ruf hat sich Jane nicht als Identifikationsfigur ausgedacht sondern als Antiheldin. Also müssen wir als Leser da durch. Und es liest sich wirklich flott weg: Ein spannendes Figurentableau tritt auf und manch eine Figur tritt unter explosiven Umständen auch wieder ab.

Aber natürlich läuft Matt Ruffs wilder Abenteuerroman auf verschiedenen Ebenen ab: Schnell geht es nicht mehr darum, OB sie lügt, sondern WANN und WARUM – und welche Wahrheit diese Lügen verbergen sollen, welche Wahrheiten diese Lügen zutage treten lassen sollen. Da tauchen Figuren auf, die zu Anfang subtil, dann später überdeutlich, stellvertretend für Jane schuldig werden und sühnen. Die Pointe am Ende, die manch einem überdreht oder abgeschmackt vorkommen mag, lässt nur zwei Möglichkeiten übrig:

(Und jetzt nur weiter lesen, wenn Sie den Roman schon kennen!)

Lässt also nur zwei Möglichkeiten übrig: Alles ist wahr oder alles ist der innere Monolog einer geisteskranken Drogenabhängigen, die sich (wahrscheinlich nicht zu Unrecht) Mitschuld am Tod ihres Bruders gibt. Als surrealer Abenteuerroman mit postmodernen Popkulturzitaten gelesen, ist er nicht viel mehr als einfallsreich und kurzweilig – als unterbewusste Schuldfantasie einer Wahnsinnigen ein Kabinettstück. Meine Theorie: Eine von Schuldgefühlen gequälte Person erfindet eine Beichtsituation – jetzt tritt ihr Unterbewusstsein auf mit Verkörperungen ihrer Hoffnung (Juanita Carlotte / Moon), mit einer Verkörperung ihrer Schuld (Anne) und einer Verkörperung ihrer Aggression (ihr böser Zwilling). Am Ende ist es ihr Unterbewusstsein, das sie nicht davon kommen lässt und für Gerechtigkeit sorgt.

Fazit: Wie alle Matt Ruff-Romane eine Leseerfahrung, die man nicht missen möchte, vertrackt, verspielt und ein bisschen verstörend.

Matt Ruff
Bad Monkeys
dtv-Taschenbuch, 272 Seiten, 8,95 Euro
ISBN 978-3423211796

Absolut lesenswert: Molosovsky, der ja bekannt ist für seinen analytischen Blick auf die fantastische Literatur, hat sich gleich zweimal mit Matt Ruff, „Bad Monkeys“ und den anderen Romanen auseinandergesetzt und erklärt unter anderem, was „Bad Monkeys“ mit Philip K. Dick zu tun hat und welche Verknüpfung es zwischen Matt Ruff und Neal Stephenson gibt.

Im Video: Matt Ruff liest aus „Bad Monkeys“ und beantwortet Fragen:

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