„Mr. Banks, sprechen wir doch mal über Ihre Unkultur …“ 3. Die Aufsteigerin

Hendrik liest drei der Nicht-SF-Romane vom Autoren des <Culture>-Zyklus: <Die Wespenfabrik>, <Träume vom Kanal> und <Die Aufsteigerin>

Dritter Teil: Die Aufsteigerin

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<Die Aufsteigerin> ist <Träume vom Kanal> in einer Beziehung recht ähnlich: wiederum steht hier eine starke und erstmal nur bedingt sympathische Frauenfigur im Mittelpunkt. Die Erzählerin Kate Telman ist eine selbstbewusste, gutaussehende Enddreißigerin und im oberen Management eines reichlich mysteriösen, weltumspannenden Konzerns tätig, den es offenbar bereits seit gut zweitausend Jahren gibt. Sie wird damit beauftragt, für den Konzern den Ankauf eines ganzen Landes vorzubereiten, weil man auf diesem Wege einen Sitz in den Vereinten Nationen erhält und sich auch ansonsten jede Menge Vorteile verspricht. Die Wahl fällt auf den Zwergstaat Thulahn hoch oben im Himalaja, und Kate ist von der Aussicht, dort für längere Zeit leben zu müssen, nicht wirklich begeistert:

„Anständig? Thulahn ist ein Rattenloch! Die haben so wenig ebenen Boden, dass ihre einzige Landebahn gleichzeitig als ihr Fußballstadion herhalten muß; als ich dort eingeflogen bin, wären wir fast bei unserem ersten Landeanflug abgestürzt, weil sie vergessen hatten, die Torpfosten abzubauen. Der königliche Palast wird mit schwelendem Yak-Dung beheizt, Onkel Freddy. Ihr Nationalsport ist Emigration.“ (S.63)

Vor allem der bissige Humor der Erzählerin verleiht dem Ganzen eine wesentlich leichtere Note als <Träume vom Kanal>, zumal es nicht so offenkundig um Leben und Tod, sondern nur um Macht und gigantische Mengen Geld geht. Wiederum gerät Banks seine Zentralfigur so vielschichtig und stark, dass die Ereignisse um sie herum fast in den Hintergrund treten. Kate entdeckt sowohl in der Organisation, für die sie arbeitet, als auch in ihrer eigenen Gefühlswelt nach und nach Dinge, die sie nie für möglich gehalten hätte.

Banks versucht gar nicht erst, sich hier verkrampft irgendetwas Brandneues einfallen zu lassen, sondern reichert u.a. das ewig alte Thema des dekadenten Strebens der Mächtigen nach immer mehr Macht einfach kurzerhand mit so skurrilen Handlungsdetails an, dass es eine schlichte Lesefreude ist: wer führt schon ein Bewerbungsgespräch mit jemandem, der gerade vergnügt dabei ist, ein Kreuzfahrtschiff [schon wieder Schiffe!] zu Schrott zu fahren? Das beginnt hier und da schonmal den Rahmen dessen zu strapazieren, was man in einem nichtphantastischen Roman für gewöhnlich akzeptiert. Aber mit einem guten Erzähler ist es wie mit einem guten Markthändler: man nimmt ihm immer ein wenig mehr ab, als man eigentlich wollte, weil es einem so charmant untergeschoben wurde, und auf eine ganz subtile Weise ist diese harmlose Verführung sogar ein wesentlicher Bestandteil der Freude.

V.

Ich kann es nur als großen Glücksfall bezeichnen, dass Iain Banks – zumindest vermute ich, dass es so gewesen sein mag – irgendwann klar geworden ist, dass seine starken Charaktere sich einfach besser in einem ihnen ebenbürtigen Kontext entfalten. Er stünde damit in einer schönen Tradition von AutorInnen – prominentester Vertreter: Stanislaw Lem –, die einfach irgendwann die Phantastik entdecken mussten, weil deren konzeptionelle Ungebundenheit der einzig adäquate Erzählraum für den gedanklichen Freiheitsbedarf ihrer Entwürfe und ihrer Phantasie darstellt.

Ich persönlich glaube nicht, dass Erzähler, welche die ganze Zeit die möglichst hochwertige Vermittlung einer Botschaft im Auge haben, besonders gute Autoren abgeben. Vielmehr sehe ich mich immer wieder darin bestätigt, dass die Fähigkeit eines Erzählers, seinem Werk vor allem spürbar die eigene pure Freude am Erzählen mitzugeben, das entscheidende Enzym darstellt, das Literatur verdaulich macht. Auf dieser Basis folgt dann alles andere: Handlung, Requisite, Stil, Humor, Gefühl, Philosophie, Spannung, Botschaft.

Bei Iain Banks sind es vor allem die Charaktere, welche dieses Enzym transportieren, und das funktioniert in seiner Nicht-Science Fiction so gut wie in den SF-Romanen. Vielleicht ist das dem Autoren bewusst, und er ist überhaupt deshalb erst seinerzeit auf den Geniestreich verfallen, die für gewöhnlich meist technologisch beeindruckenden, aber zugleich ziemlich seelenlosen Requisiten des Genres Space Opera – Raumschiffe, Roboterdrohnen, Wohnorbitale, futuristische Waffen – zu beleben und ihrerseits zu Akteuren und Charakteren zu machen. Das ist ihm sogar so gut gelungen, dass daneben zuweilen die menschlichen Figuren verblassen (wie in meinem persönlichen <Culture>-Lieblingsroman <Exzession>), allerdings ohne dadurch sein gerade erst geborenes Universum auch nur im Geringsten lebloser oder gar uninteressanter erscheinen zu lassen.

Dieses Attribut können diese Romane hier natürlich nicht besitzen, und das nimmt ihnen einen Teil dessen, was Banks zu einem meiner Lieblingsautoren macht. Zugleich haben sie gerade dadurch mehr Raum für anderes, und die Lektüre hat mir noch deutlicher gezeigt, wie gut Banks darin ist, uns vielschichtige, nachhaltig faszinierende und sehr präsente Charaktere vorzustellen. Diese drei Romane Banks‘ sind keine Türen zu anderen Welten, aber – wenn man möchte – schütteln sie einem die Hand, laden einen zu einem Drink ein und zu jener Art von Begegnung mit einem Fremden, die zwar nicht gerade das Leben verändert, aber an die man zuweilen gerne zurückdenken wird. Oder haben Sie etwa nicht beim Lesen Spaß an Dialogen wie dem hier – der Autor Banks hatte ihn, das merkt man:

„Luce, ich würde dich nie anlügen. Ich habe dich nie angelogen.“
„Ach, komm schon, das hast du sicher. Ich bin deine Freundin, nicht dein Analytiker.“
„Was für eine abscheuliche Einstellung! Und ich hab noch nicht einmal einen Analytiker.“
„Genau.“
„Was meinst du mit <genau>?“
„Das zeigt nur, wie dringend du einen brauchst.“
„Was? Keinen Analytiker zu haben zeigt, wie dringend ich einen Analytiker brauche?“
„Ja.“
„Du bist verrückt.“
„Ja, aber wenigstens habe ich einen Analytiker.“ (<Die Aufsteigerin>, S.296)

<Die Wespenfabrik> (<The Wasp Factory>) und <Träume vom Kanal> (<Canal Dreams>) erschienen beim Heyne Verlag. <Die Aufsteigerin> (<The Business>) erschien als Blanvalet Taschenbuch bei Goldmann. Alle drei Bücher trifft man in fast allen Internetantiquariaten günstig an.

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