Drei eher unübliche Verdächtige kommen frisch aus in Wim Wenders‘ neuestem Film Palermo Shooting
„Von Gestern und für Morgen leben,
niemals für das Hier und Jetzt.
Du merkst, während du an deinen Plänen sitzt,
wie das Leben an dir vorüberzieht …“
(Die Toten Hosen, Nichts bleibt für die Ewigkeit)
… als wir dann zu sechst im Vorführsaal saßen, begriff ich, warum die Dame am Telefon gelacht hatte, als ich Karten hatte reservieren wollen. Ich war wohl zu lange nicht im Programmkino. Nun ja, ich hätte mich ja auch nicht eingefunden, wenn nicht meine beiden Begleiterinnen bekennende Die Toten Hosen-Fans wären und zugleich eine davon Geburtstag gehabt hätte.
Worum geht es in diesem neuesten, sehr leisen und langsamen Film von Wim Wenders, der – darauf wurde ich deutlich von meinen Begleiterinnen hingewiesen – in zweiter Linie schonmal eine ausführliche Bildwürdigung des Sängers der dienstältesten deutschen Punkband darstellt.
In erster Linie spielt Campino den erfolgreichen, aber ausgebrannten Starfotografen Finn, den nach einem Fastfrontalunfall mit dem Auto endgültig die Lebenskrise packt – und weil spätestens seit Thomas Mann eine deutsche Sinnkrise sich am besten am Mittelmeer ausleben lässt, verschlägt es ihn nach Palermo. Er lässt seinen Job, seinen Streit mit der Exfrau, seine überquellende Phonebox und alle Verpflichtungen hinter sich und lässt sich einfach durch den Tag treiben. „23 Anrufe in Abwesenheit – Wann bin ich eigentlich überhaupt das letzte Mal nicht abwesend gewesen?“, fragt er sich dabei. Erschöpft schläft er auf seinem Hotelzimmerbett, neben sich auf der anderen Betthälfte – in Form der omnipräsenten Kamera – die Arbeit, mit der er verheiratet ist und die ihn vorher schon beinahe, bei dem Fastautounfall, das Leben gekostet hätte. Sehr symbolisch alles.
Mit der Kamera in der Hand wandert er durch die Straßen, entdeckt die Schönheit der kleinen Alltagszufälligkeiten und Farben wieder, erlernt das Sehen jenseits der Motivsuche wieder. Zugleich wird er von heftigen Träumen geplagt, in denen er wieder und wieder dem ihn attackierenden Tod (verkörpert von Altstar Dennis Hopper) begegnet. Er lernt die italienische Kunstrestauratorin Flavia kennen, und durch das Zusammensein mit ihr findet er die Kraft zu einer Neuwürdigung seines Lebens, zu einem Ankommen in einer verlorenen Gegenwärtigkeit.
Die Gefühlswelt der Hauptfigur wird in irritierenden Traumsequenzen, durch gelegentliche innere Monologe, vor allem aber durch die dezente farbliche Gestaltung des Filmes verbildsprachlicht, der sich um so kräftigere und prallere Farben gestattet, je näher Finn der Wiederentdeckung eines wachen Lebensgefühls kommt. Vieles aus Finns Vorgeschichte wird nur angedeutet, aber das ist recht angenehm, denn bezüglich seiner eigentlichen Kernaussage ist der Film schon fast überdeutlich: lebe jeden Tag, als sei er dein letzter, und verwechsle nicht das Haben mit dem Sein – Binsenweisheiten eigentlich, die, wie auch Finn, jeder von uns kennt, doch ohne sie in seinem Alltag auch tatsächlich zu beherzigen.
DTH-Kennerin No. 1 verwies mich darauf, dass die Wahl Campinos als Darsteller für einen solchen Film durchaus geschickt gewesen sei, denn er verkörpere ein vertrautes, sehr sympathisches und zugleich (als Schauspieler) völlig unverbrauchtes Gesicht; auch sei vieles von dem Vermittelten tatsächlich in Texten der Toten Hosen wiederzufinden, die zweifellos zum Alltagskulturgut vieler jetzt gerade Mittevierzigjährigen gehören. DTH-Kennerin No. 2 ergänzte, damit fände auch die Zielgruppe der weiblichen Betrachterinnen ihre Befriedigung, denn Campino sei mit seinen jetzt 46 Jahren zwar schon „etwas schrumpelig, aber auf eine absolut affengeile Weise“.
Alles in allem hinterlässt der Film nach seinen 108 Minuten bei mir eine Wirkung ähnlich zum Beispiel so einiger Hermann Hesse-Bücher: Sehr schön gemacht, aber vielleicht ein bißchen zu offensichtlich, um dem ohnehin Nachdenklichen allzuviel Erkenntnisbemühen abzuverlangen. Man kann sofort weise dazu nicken und dann heimgehen. Auch das, was man dort über den Tod zu hören bekommt, ist an anderer Stelle (vielleicht nicht besser, aber zumindest origineller) schon gesagt worden. Das ist angesichts teilweise arg originalitätsverkrampfter Festivalstreifen zwar durchaus auch mal wieder erholsam, aber – wie DTH-Freundin No. 1 sagte – „Campino hätte das Gleiche in vier Minuten gesungen“.
Abschließend sei noch die sehr passende, entspannte und angenehme Filmmusik lobend erwähnt, die Finn (und damit der Betrachter des Films) auf seinem Player hört, während er durch Palermo läuft, und die, ergänzt um die angenehme Sprechstimme Campinos, den Film unaufdringlich um eine weitere Wahrnehmungs- und Stimmungsebene erweitert. Ohne Beteiligung der ‚Hausband‘ des Hauptdarstellers übrigens; zum Trost gibt es einen etwas geisterhaften Kurzauftritt von Lou Reed.
Es gibt Filme, die man mehrmals betrachten möchte, weil man das Gefühl hat, zwischen den Worten und Bildern beim nächsten Mal ein anderes, verändertes Betrachten zu erleben. Das ist (wenn man so will) das einzige Problem an Palermo Shooting: Er hat sich mit einem Mal zur Gänze erschöpft und lässt nichts weiter zu betrachten, zu empfinden, zu überlegen übrig. Schöner Film. „Campino war geil“, soll ich nochmal ausrichten. Gut, das ham wer wech. Und was schauen wir jetzt?