„Der goldene Kompass“: Schnelldurchlauf der schönen Bilder

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Gerade gesehen: Thomas über „Der Goldene Kompass“

Bei aller Filmliebhaberei wollen wir ja mal nicht vergessen, dass Kino ein Geschäft ist. Ein Unternehmen investiert zum Beispiel 150 Millionen Dollar – in der Hoffnung, das Geld mit einer fetten Rendite zurückzubekommen. Das Genre muss im Trend liegen, große Stars dürfen nicht fehlen und die obligatorischen Spezialeffekte sollten vom Feinsten sein. Nach diesem verständlichen Kalkül ist New Line Cinema vorgegangen. Sie springen mit dem Goldenen Kompass auf einen Zug auf, den sie selbst mit dem Herrn der Ringe erst so richtig in Schwung gebracht haben: Fantasy-Verfilmungen im großen Stil, am liebsten Dreiteiler. Als Vorlage dient Philip Pullmans Romantrilogie „His Dark Materials“, die – wie soll man es sagen – eher interessant als großartig ist.

Pullman beschreibt eine von vielen Parallelwelten, verbunden durch eine magische Substanz, den so genannten Staub. Ein junges Mädchen wird auf eine Quest geschickt, begleitet von ihren treuen Gefährten und muss mit Hilfe des geheimnisvollen Alethiometers, des so genannten Goldenen Kompass, die Welt retten. Die Ausgangsbasis ist also wenig spektakulär und nicht wirklich originell. Lesenswert wird der Roman allerdings durch Pullmans humanistische Perspektive. Er hat eine gesunde Abneigung gegen religiöse Herrschaft und führt daher das so genannte Magisterium in seine Geschichte ein – eine Organisation, die absolute religiöse und weltliche Macht vereint. Pullmans Kritik an theokratischen Systemen ist klug und verleiht dem Roman erst Bedeutung. Und der Film?

Im Film kann die Kritik an kirchlicher Macht natürlich nicht gleichermaßen im Vordergrund stehen. Stattdessen Abenteuer und Magie. Und das sieht wunderbar aus: Das Produktionsdesign ist auf allerhöchstem Niveau: Da wird eine gelungene Mischung aus Art deco, fin de siecle und Jugendstil mit Steampunk zelebriert – prächtige selbstfahrende Kutschen, Zeppeline und andere Luftschiffe, englische Städte mit wundervoller Architektur, wunderbare Kostüme, alles bis ins Detail liebevoll gestaltet und in keinem Moment übertrieben. Da ist definitiv ein Academy Award fällig.

Auf gleichem, beeindruckend hohen Niveau bewegen sich die Schauspieler. Überstrahlt wird das Ensemble von der Brillanz einer Nicole Kidman, die ihrer undurchschaubaren, bedrohlichen Figur überraschend intensives Leben einhaucht. Und Blue Dakota Fanning Richards (Danke für den Hinweis an Pantalaimon, siehe Kommentar) gibt der 12-jährigen Heldin Lyra Belacqua, was Pullman ihr nicht verleihen konnte: Glaubwürdigkeit. Von Daniel Craig schließlich hätte man gerne noch viel mehr gesehen. Ganz edel auch die Computeranimationen – alle Tiere sehen so echt aus und bewegen sich so natürlich, dass man schnell vergisst, dass sie aus Nullen und Einsen bestehen. Also ein ungetrübtes Kinovergnügen? Dann doch nicht ganz.

Regisseur und Drehbuchautor Chris Weitz lässt sich nicht genug Zeit. Die häufig erprobte Geduld der Kinobesucher beträgt etwa drei Stunden. Die nutzt Weitz bei weitem nicht aus. Stattdessen verzichtet er einfach auf Atempausen. Und das kratzt sehr am Charme des Films. Schöne Einfälle fallen diesem atemlosen Schnelldurchlauf dabei ebenso zum Opfer wie ruhige Momente, in denen man dem Gefühlsleben der Protagonisten hätte näher kommen können. Ein Beispiel: Der König der Eisbären wäre gern ein Mensch und deswegen wünscht er sich nichts sehnlicher als einen Seelendämon, wie ihn alle Menschen in Lyras Welt haben. Als Lyra dem Bärenkönig gegenüber steht, sitzt er auf seinem Thron und spielt – wie ein großes, unglückliches Kind – mit einer kleinen Puppe, ein schattenhafter Ersatz für den so schmerzhaft vermissten Seelendämon. Statt aber mit diesem wunderbaren Detail zu spielen, schwenkt die Aufmerksamkeit sofort wieder auf Lyras Listen, auf ein Bärenduell, auf eine Verfolgungsjagd, und und und – Weitz hat den Finger ständig auf der Vorspultaste.

Und am Ende dann noch eine böse Enttäuschung: Der Film lässt die atemberaubende Schlusswendung des Buches aus und konstruiert sich bemüht ein – im wahrsten Sinne des Wortes – familienverträgliches Ende. So verschenkt Weitz schließlich alle Trümpfe. Was bleibt ist ein optisch wundervolles Kinospektakel, das mit ausgezeichneten Schauspielern auf sehr holprigen Gleisen viel zu schnell durch den eisigen Norden donnert, dass es handlungslogisch nur so scheppert.

Und New Line Cinema? Die werden ihre Gewinne einfahren. Zumindest mit diesem ersten Teil. Der zweite Roman wird sich allerdings nur mit Mühe dem Massengeschmack anpassen lassen. Und der dritte Teil von „His Dark Materials“ ist nahezu unverfilmbar. Da bin ich wirklich gespannt, wie hier ein Drehbuch aussehen soll, das den Produzenten genug Vertrauen einflösst, um 150 Millionen Dollar locker zu machen.

Andere Meinungen

Philip Pullman im Spiegel-Interview. Hier bezeichnet er Tolkien als banal und seine Figuren als eindimensional. Wenn ich mir überlege, wie schnell Pullman an manchen Stellen die erzählerische Puste ausgeht, lehnt er sich da ganz schön weit aus dem Fenster. Im Oliblog wurden sogar Wetten auf das Einspielergebnis angenommen 🙂

Quelle: Thomas Laufersweiler/SchönerDenken

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