Neue Nachtlektüre: Hendrik liest Peter S. Beagle „Das Zauberhaus“
Der U.S.-Amerikaner Peter Soyer Beagle stellt der Masse klischeeförmchengestanzter Fantasy seine wenigen hochwertigen phantastischen Romane und Erzählungen entgegen und hat sich damit längst in die Anwärterliste für den Olymp der Genreklassiker vorgearbeitet. Seinerzeit vor allem bekanntgeworden durch „Das letzte Einhorn“ hat der Gentlemanerzähler es in fast allen seinen Büchern („Das Volk der Lüfte“, „Der Zauberer von Karakosk“, „Das indische Nashorn“, „He! Rebeck“, „Es kamen drei Damen im Abendrot …“ sowie „Die Sonate des Einhorns“) verstanden, seine Leser auf die sanftestmögliche Art hinter die Augen seiner Erzählfiguren zu entführen, sie lesend einen Kosmos durchschreiten zu lassen, in der Magie ein Bestandteil des Lebens ist.
So ist Beagle der einzige mir bekannte Autor, dem es wirklich gelungen ist, weit abseits aller Action- und Horrorfilmcomics à la „Underworld“ von Werwölfen und Einhörnern in der Gegenwart in einer Weise zu erzählen, welche das Charisma dieser Mythen mit allen Facetten (von der Tiefenpsychologie bis zur Märchenromantik) neu und lebendig erstehen läßt – so geschehen z.B. in den Erzählungen „Leila die Werwölfin“ oder „Professor Gottesman und das Indische Nashorn“. Hinter dem – m.E. etwas unglücklich gewählten – deutschen Titel „Das Zauberhaus“ verbirgt sich nach Beagles einzigem nicht so wirklich geratenen Roman „Die Sonate des Einhorns“ sein zweites offensichtlich eher für jüngeres Publikum geschriebenes Werk.
Hauptfigur und Erzählerin des Romans ist die 13-jährige Jenny aus New York, Tochter einer geschiedenen Sängerin und Musiklehrerin. Als Jennys Mutter eines Tages ihrem neuen Partner Evan nach England folgt, weil dieser dort als Fachmann für Agrarwirtschaft ein völlig heruntergekommenes Anwesen im ländlichen Dorset sanieren soll, ist Jenny in ihrer neuen Umgebung zunächst todunglücklich. Doch nach und nach erlebt sie immer wieder Dinge, die ihr beweisen, dass die umfangreiche Sagenwelt des geschichtenprallen Landstriches offenbar nicht nur auf Erfindungen beruht. Und sie findet eine neue Freundin: Tamsin, ein Mädchen, das in einem verborgenen Raum im Obergeschoss des weitläufigen Hauses wohnt – und vor über dreihundert Jahren gestorben ist…
Manchmal ist es Zauber genug, die Welt aus der Perspektive nebenan zu sehen. Und wenn es einem 68-jährigen U.S.-Amerikaner gelingt, die Innenwelt einer pubertierenden, u.s.-metropolenzynischen 13-jährigen mit großer sprachlicher Eleganz so lebendig werden zu lassen, dass sie sich in mir 39-jährigem Deutschen nachspürbar entfaltet – ist das nicht eine Form von Magie? Ich finde schon.
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