„Die Orangen des Präsidenten“: Hinter der Sonne*

Prof. Pu empfiehlt: Die Orangen des Präsidenten von Abbas Khider

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Es war die große Ausstrahlung Khiders im Interview mit Denis Scheck, die mich faszinierte und mich veranlasste, sofort sein Buch zu kaufen. Dieses strahlende Gesicht mit den dunklen traurigen Augen – und genau so schreibt er auch, traurig-lachend, lachend-traurig:

Meine Mutter weinte, wenn sie sehr glücklich war. Sie nannte diesen Widerspruch „Glückstränen“. Mein Vater dagegen war ein überaus fröhlicher Mensch, der überhaupt nicht weinen konnte. Und ihr Kind? Ich erfand eine neue, melancholische Art des Lachens. Man könnte es als „Trauerlachen“ bezeichnen. Diese Entdeckung machte ich, als mich das Regime packte und in Ketten warf.

Mit freundl. Genehmigung der Edition NautilusSein Roman erzählt die Geschichte des jungen irakischen Taubenzüchters Mahdi aus Babylon. Als Mahdi acht Jahre alt ist, fällt sein Vater im Iran-Irak-Krieg. Seine Mutter erhält von der Regierung zur Entschädigung einen Renault, ein Grundstück und zweitausend Dollar. Sie bringt sich und ihren Sohn mit einem Gemüseladen durch, bis auch sie stirbt und Mahdi nach Nasrijah zu Verwandten kommt. Er sucht sich zwei Ziehväter, Sami, den Taubenzüchter und Razaq, den Geschichtslehrer und Bücherwurm. Von ihnen lernt er für sein Leben, bis zu dem Tag, als er zur Feier seines Abiturs 1989 mit den falschen Leuten in einem Auto sitzt und kurzerhand für zwei Jahre unschuldig im Gefängnis landet. Und auch dort lernt er von den einsitzenden älteren Männern nicht nur die Regeln zum Überleben unter Hunger und Folter, er lernt auch politisches Denken. Die Beschreibungen der Hungerphantasien erinnerten mich stark an die des jungen Oskar Pastior in Herta Müllers Roman „Atemschaukel“. Hunger quält alle Menschen gleich und die Phantasiebegabten und Wortgewaltigen finden dafür ähnliche Bilder.

Ich vergaß sogar nach einigen Monaten meinen Traum von der Entlassung und träumte nur noch von einer üppigen Mahlzeit. Es waren schöne Träume, die in Albträumen endeten: Gemüse, Obst, Brot, Getreide, rotes und weißes Fleisch, Säfte und Süßigkeiten fielen mich fast jede Nacht an. Sie spielten mit mir, wie man mit einem Ball spielt. Das Obst warf mich zum Brot und das Brot zu anderen Köstlichkeiten, bis ich in einem Teller voller Suppe landete. Ich badete darin.Versank.

Eines Tages geht im Gefängnis das Gerücht um, am Geburtstag Saddam Husseins soll es eine Amnestie für alle Gefangenen geben. Am Ende erhalten alle statt ihrer Freiheit – wie zynisch und menschenverachtend – eine Orange vom Präsidenten …

Zwischen den Episoden im Gefängnis, in harter rauher Sprache geschrieben, erzählt Khider poetisch-schön und humorvoll vom Leben in dem Land an Euphrat und Tigris, das ständig in unseren Nachrichten auftaucht und von dem wir doch so wenig wissen.

Meine Mutter konnte kein Englisch. Die meisten Leute im Kurden-Viertel konnten das nicht, nur die Christen. Meine Mutter behauptete, es sei ganz normal, dass die Christen Englisch sprächen. Sie sähen ja schließlich genauso blass aus wie die Christen in Europa, die man im Fernsehen zu Gesicht bekam. „Ich glaube, alle blassen Leute können Englisch“, schloss meine Mutter ihre Erklärungen ab.

Als Mahdi 1991 im Chaos des Golfkrieges von Aufständischen aus dem Gefängnis befreit wird  und zu seinem Onkel zurückkehrt, erkennt er sich selbst nicht mehr ihm Spiegel. Und am Ende muss er zusammen mit vielen anderen auch noch aus seinem Land fliehen.

Zufällig wird man erwachsen, hatte ich festgestellt, als ich den ersten Tag des Verhörs im Knast erlebte. Aber im März des unbeschreiblichen Jahres 1991 musste ich meine Erkenntnis erweitern: „Zufällig wird man erwachsen oder ein Fremder.“

Khiders Roman trägt autobiographische Züge. Auch er saß aus politischen Gründen zwei Jahre in einem irakischen Gefängnis. Nach Jahren als illegaler Flüchtling studiert er mittlerweile in Berlin. Er schreibt seine Bücher auf Deutsch, sein liebstes deutsches Wort ist „Mut“. Ich hoffe sehr, noch viel von ihm lesen zu können!

*irakisch-umgangssprachlich für Gefängnis

Abbas Khider
Die Orangen des Präsidenten
Nautilus € 16.-
978-3-89401-733-0

Abbas Khider im Gespräch mit Lerke von Saalfeld für „SWR2 Zeitgenossen“:

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