Die souveräne Leserin

Prof. Pu empfiehlt „Die souveräne Leserin“ von Alan Bennett

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Dieses Buch ist eine der schönsten Liebeserklärungen an das Lesen. Schon die englische Originalfassung „The Uncommon Reader“ habe ich geliebt, trotzdem konnte ich es nicht erwarten, dass die entzückende Erzählung endlich auf Deutsch erscheint. Ich bin keine Anhängerin der Royals, aber buchfixiert mit missionarischen Tendenzen – die Idee Bennetts, Queen Elizabeth durch einen Zufall zum Bücherlesen zu bringen, ist schlicht genial.

Die Suche nach ihren snobistischen Hunden ist der Grund, warum sie in einem abgelegenen Hof des Schlosses auf den Bücherbus der Bezirksbibliothek der City of Westminster stößt. Darin der Bibliothekar und eine ihrer Küchenhilfen, Norman. Und weil sie sicher zu den höflichsten Menschen der Welt gehört, meint sie, aus Anstand ein Buch ausleihen zu müssen. Auf die Frage, was sie denn gerne läse, weiß sie erst gar keine Antwort –  denn:

„Natürlich las sie, wie man das eben tat, aber Bücher gern lesen, das überließ sie anderen. Das war ein Hobby, und ihr Beruf brachte es mit sich, keine Hobbys zu haben. … Nein, Hobbys bedeuteten Vorlieben, und Vorlieben mussten vermieden werden; sie schlossen bestimmte Menschen aus.“

Also entscheidet sie sich aus Verlegenheit für ein Buch, dessen Autorin sie irgendwann geadelt hat. Und bringt es nach einer Woche brav wieder in den Bücherbus zurück obwohl sie es sogar hätte behalten dürfen – es war aus dem Fach „Bitte bedienen Sie sich, ausgemusterte Exemplare“. Sie trifft wieder auf den Küchenjungen. Und sie bittet um ein neues Buch, „Englische Liebschaften“. Sie ist infiziert. Und sie kann nicht mehr aufhören.

Der Hofstaat ist immens irritiert. Vor allem, als sie Norman aus der Küche zu ihrem persönlichen Literaturberater befördert. Sie ist nur noch abgelenkt, hat ständig und überall ein Buch dabei und will auch noch dauernd darüber reden. Den französischen Präsidenten bringt sie mit Jean Genet in Verlegenheit. Ihr Privatsekretär ist persönlich beleidigt:

„Aber Ma’am sind doch sicher informiert worden?“
„Natürlich“, sagte die Queen, „aber Informieren ist nicht gleich Lesen. Es ist im Grunde der Gegenpol des Lesens. Information ist kurz, bündig und sachlich. Lesen ist ungeordnet, diskursiv und eine ständige Einladung. Information schließt ein Thema ab, Lesen eröffnet es.“

Dann beginnt sie auch noch, sich Notizen über ihre Lektüren zu machen:

„Der Reiz des Lesens lag in seiner Indifferenz; Literatur hatte etwas Erhabenes. Büchern war es egal, wer sie las oder ob sie überhaupt gelesen wurden. Vor ihnen waren alle Leser gleich, auch sie selbst.“

Dass das alles nicht lange gut gehen kann, ist klar. Einmal vergisst sie ein Buch zwischen den Polstern der Kutsche. Als sie es nicht wiederfinden kann, sagt man ihr, die Sicherheitsleute hätten es gesprengt. Und irgendwann schafft es die Entourage, sich des lästigen Leseberaters Norman zu entledigen. Ohne sie zu fragen. Und sie fragt auch nicht, schämt sich darüber aber irgendwann. Die Queen wird menschlich. Und liest und liest. Und schreibt. Eine neue Rede für den immer gleichen Auftritt vor den ehrwürdigen Mitgliedern des Kronrates, die die alten Herren fast von ihren Stühlen wirft …

Alan Bennett
Die souveräne Leserin
Wagenbach Salto
978-3-8031-1254-5
14,90 Euro

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Elke Heidenreich über „zwei Stunden reines Leseglück“ (Video ZDF-Mediathek)

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