Gerold Marks ist ein renommierter Experte für die Digitalisierung des Kinos, auf seinem Blog „Digitale Leinwand“ berichtet er von aktuellen Entwicklungen. Zum 5. Jubiläum des Blog (herzlichen Glückwunsch!) fragt er seine Leser in einer Blogparade nach Ihren Erfahrungen mit der digitalen Kinowelt:
„Was hat das Digitale Kino für euch in den letzten 5 Jahren verändert? (…) Macht digitales Kino für euch überhaupt einen Unterschied?“
Na dann los. Zuerst ein Blick zurück: 1988 saß ich in einer „Blues Brothers“-Vorstellung. Die Kopie war abgenudelt, aber der Film musste ja nur noch die Stichworte für das lippensynchrone Mitsprechen der jugendlichen Zuschauer geben. Der Ton war absolut grausam, es hörte sich an, als wäre ein kleiner Monolautsprecher hinter der Leinwand in einen Blecheimer gefallen. Und dann … riss der Film. Es dauerte keine halbe Minute, bis der ganze Saal skandierte „We want the show!“. Und wir hörten nicht auf, bis der Film wieder weiter lief. Ich möchte nicht wissen, wie sich der arme Vorführer dabei gefühlt hat. Wir allerdings hatten einen Heidenspaß – ich wette, keiner der Zuschauer damals hat diese „Blues Brothers“-Vorführung vergessen.
Digital Cinema Projector | Foto: Mike Renlund deltaMike CC-BY-2.0
Und heute? Die Digitalisierung des Kinos war lange für mich überhaupt kein Thema, ich war mit 35 mm zufrieden – warum daran etwas ändern? Und 3D? Überwiegend überflüssig und in der Regel den Aufpreis nicht wert. Dann bekam ich mit, dass sich Festivalbesucher aufregten, weil ein Film nicht in 35 mm, sondern von einer Bluray (oder sogar von einer DVD) gezeigt wurde. Die Empörung konnte ich nicht nachvollziehen. Als ich beim Filmfestival FILMZ in Mainz 2013 Zeuge wurde, wie eine digital präsentierte Dokumentation mehrfach unkontrolliert sprang und die Zuschauer um Teile des Films betrogen wurden, konnte ich die Kritik besser verstehen. Zwei weitere Vorführungen konnten bei FILMZ gar nicht oder zumindest nicht wie geplant stattfinden, weil die digitale Präsentationstechnik komplett versagte. Ursache? Unklar.
Auf Nippon Connection erlebte ich 2013, dass digitale und analoge Präsentation sehr gut nebeneinander funktionieren können: „Dreams for sale“ wurde in einer traumhaften Qualität von 35mm-Kopie gezeigt, vor allem die Farbintensität war mehr als beeindruckend. Die Vorführung von „Penance“ lief stattdessen über HDCam, aber kein Grund sich zu beklagen: Die Qualität war gut, es gab keine Pannen bei der Vorführung. Fazit: Es ist völlig in Ordnung, wenn Festivals Filme auch digital präsentieren, solange sie die digitale Technik im Griff haben. Mir ist eine störungsfrei laufende Bluray allemal lieber als eine zerkratzte 35mm-Kopie in einem schlechten Projektor. (Anm. Hier habe ich mich geirrt: HDCam ist analog, nicht digital – danke an Patrick für die Berichtigung! siehe Kommentar)
Dann stellte mein geliebtes Programmkino (Capitol&Palatin in Mainz) auf digitale Präsentation um, nicht ganz freiwillig, aber immerhin mit staatlicher Förderung. Der enorme Aufwand (nicht nur finanziell) hat sich gelohnt: Das Bild ist in der digitalen Projektion knackscharf, besser kann – zumindest in der Schärfe – auch keine 35mm-Projektion sein. Vom Allerfeinsten. Damit sind Capitol&Palatin die Nummer 1 in Sachen Kinobildqualität in Mainz. Obwohl das Mulitplex-Kino Cinestar in Mainz mit Sony 4K-Projektoren, Dolby Atmos etc. eigentlich mindestens genauso gute Qualität liefern müsste, ist mein subjektiver Eindruck, dass gerade die 3D-Vorführungen etwas weniger brillant sind als die 2D-Vorführungen im Capitol. Aber das ist natürlich Jammern auf hohem Niveau – die Digitalisierung hat auch hier dazu geführt, dass die Zeit der Filmrisse, falsch geklebten Kopien, unscharfen oder spiegelverkehrten Vorführungen endlich vorbei ist. Wir haben uns als Zuschauer an die hohe Qualität sehr schnell gewöhnt und halten es für selbstverständlich.
Nahaufnahme des DMD (Digital Micromirror Device) | Foto: Mike Renlund deltaMike CC-BY-2.0
Also alles toll in der schönen neuen digitalen Kinowelt? Nicht ganz. Wir müssen über den heißesten Scheiß des digitalen Kinos reden – über die High Frame Rate, also die Verdoppelung der Bilderanzahl pro Sekunde von 24 auf 48. Anlässlich des zweiten Hobbitfilms erlebte ich diesbezüglich einen Kulturschock. Hier ein Zitat aus meinem Hobbit-Verriss:
Ich habe mir die Hightechvariante gegeben: 3D in HFR, also die High Frame Rate mit 48 statt 24 Bildern pro Sekunde. Diese Technik ist umstritten, denn die doppelte Bildrate führt dazu, dass auf der Leinwand ein schärferes Bild zu sehen ist – es kann der Eindruck von unnatürlicher Schärfe entstehen. Alles auf der Leinwand wirkt intensiver ausgeleuchtet, es kommt für viele Zuschauer zum gefürchteten Soap-Opera-Effect: Da sieht dann Mittelerde aus wie eine Lindenstraße-Kulisse. Es gibt einfach zu viel zu sehen – der Blick ist nicht mehr gerichtet.
Peter Jackson hat sich in diesem Film im Zweifel immer für lange Action-Kampfszenen und nicht enden wollende Jump and Run-Sequenzen entschieden. Dazu hat er offenbar den Film in der 3D-Variante vergleichsweise hell produziert, um den Helligkeitsverlust durch die dunklen 3D-Brillen auszugleichen. Das führt zu einem Disneyland-Look: Man hat das Gefühl, im Filmset zu stehen – aber das führt nicht zu einer stärkeren emotionalen Bindung sondern ganz im Gegenteil zu einer Gleichgültigkeit, denn die Requisiten sind in der greifbar nahen, gnadenlos ausgeleuchteten Darstellung als Requisiten zu erkennen.
Sind das noch die Kinderkrankheiten der neuen Technik? Wird mich ein anderer Regisseur mit einem anderen Film von HFR überzeugen können? Ich weiß es nicht. Bislang ist diese Technik ist aus meiner Sicht das Nonplusultra für eine Sportübertragung – im Kino kann ich gerne darauf verzichten. Mein Fazit: Auch wenn mich 3D und HFR noch nicht überzeugen konnten, bin ich echt froh, dass ich mittlerweile sowohl Blockbuster als auch Arthouse-Filme in brillanter Bild- und Tonqualität sehen kann. Noch nehme ich das bewusst wahr und bin jedes Mal begeistert.