Martina entzaubert Erni Kutter: Der Kult der Drei Jungfrauen.
Zu allen Zeiten haben so genannte „abergläubische“ Vorstellungen das Denken breiter Bevölkerungsschichten beeinflußt, und die Herleitung und Interpretation dieser Vorstellungen ist eine Wissenschaft für sich, ein Teilgebiet der Deutschen Volkskunde (auch Kulturanthropologie oder Europäische Ethnologie genannt, je nach Lehrstuhl). Der Volks- oder Aberglaube hat seine sozialen, psychischen, medizinischen und im hohen Maße auch seine gewerblichen Aspekte. Seine Wurzeln fußen zum größten Teil in der Angst vor der Zukunft; funktionell gesehen sind es Handlungen gegen Ungewißheit, psychische Spannungen und individuelle Unsicherheit.
Mittlerweile existiert ein echter Gemischtwarenladen echter oder bloß so genannter spiritueller Traditionen: die „Esoterik“. Da sie Hochkonjunktur hat, wäre es eigentlich angezeigt, den seriösen Weg zur Erforschung des Aberglaubens nachzuzeichnen, denn der führt, um Dietz-Rüdiger Moser, ehemaliger Professor für Volkskunde in Freiburg, zu zitieren, „von der Verworrenheit der Mythologeme in die Klarheit der historischen Zusammenhänge“.
Aber weit gefehlt: Erni Kutters Buch ist ein Paradebeispiel für die Geschäftemacherei mit der Sinnsuche und ganz gewiß kein seriöses Werk der Volksglaubenforschung. Worum geht es?
„Im Kult der drei Jungfrauen werden die Spuren der dreigestaltigen Göttin faßbar. (…) Frauen entdecken in diesen alten Kulten weibliche Spiritualität und tragende Identifikationsangebote wieder: denn die drei Jungfrauen symbolisieren spirituelle Unabhängigkeit und selbständige Weiblichkeit.“
Der Klappentext alleine verrät die gesamte „Stoßrichtung“ (ui pfui, ein sexistisches Wort!) des Buches: Frauen, die enttäuscht von ihrer Rolle in der Gesellschaft sind, Frauen, die die Sinnfrage stellen und bislang keine sie befriedigenden Antworten gefunden haben, Frauen, die den handfesten Ziele und Strategien der modernen Frauenbewegung ein diffuses „Weiblich-Göttliches“ hinzufügen möchten und ganz allgemein an Esoterik Interessierte sollen angesprochen werden.
Vergessen wir nicht: Im Grunde genommen bezeichnet der Begriff „Esoterik“ eine feine Sache – er kommt aus dem Altgriechischen und meint im Gegensatz zur Exoterik eine philosophische Lehre, die einem „inneren“, elitären und damit begrenzten Personenkreis vorbehalten ist. Mit dem Begriff ist aber gerade seit den 1990er Jahren sehr viel Schindluder getrieben worden; es geht dabei größtenteils nicht um einen Erkenntnisweg im Sinne der Philosophen oder Mystiker, sondern um Profit auf Kosten leichtgläubiger, unsicherer und „verlassener“ Menschen, die auf der Suche nach Halt und Erfüllung sind.
Immer wird dabei das Prinzip eines „inneren Kreises“ von Eingeweihten beschworen, die der Entzauberung von Natur und Kosmos durch die Wissenschaften, dem – zweifelsohne – bedenklich ausufernden technischen Fortschritt, der Vereinsamung in der Gesellschaft und der schlichten Unübersichtlichkeit und Unfaßbarkeit unseres Alltags und unserer Realität etwas entgegensetzen möchten, das tröstet, heilt, in den Arm nimmt und dieser gottverlassenen menschlichen Existenz eine Art höherer Weihe, schlicht, einen Sinn verleiht. Wer möchte schon, daß sein Leben ein Kreislauf aus sinnentleerten Materialismen ist? Also strebt der Mensch nach Vollkommenheit, in dem er seine eigene Göttlichkeit sucht oder suchen läßt – und kann dabei im Zuge der Esoterikschwemme auf die „Drei Jungfrauen“ stoßen oder auf einen von Kutters Workshops zu „Jahreskreisfesten“ und „spirituellen Frauentraditionen“.
Erni Kutter spricht in ihrem Buch, wie es üblich ist für solche Publikationen, immer wieder von den nicht zählbaren „vielen anderen Frauen“, die eine ähnliche Erweckung wie sie durch die „Beschäftigung mit der Geschichte des Weiblich-Göttlichen“ erleben. Immer mehr Frauen, sagt sie, entdecken „ihre eigenen Wurzeln, ihre weibliche Stärke, ihre Jungfrauenkraft“ und suggeriert damit die Macht einer echten Bewegung. Bunt durcheinandergewürfelt werden da die Belege und Quellen, die gerade in Kutters Konzept passen, und dafür wird sich mit einem dürren Satz im Schlußwort entschuldigt:
„Bei dem Versuch zu rekonstruieren und zu interpretieren haben sich sicher manche Irrtümer eingeschlichen.“
Und wem das nicht genügt als Ablaß, der wird mit der Auskunft beschieden:
„Und wie im rituellen Tanz die Kraft der Mitte sich erst dann erschließt, wenn wir sie immer und immer wieder umkreisen, so werden wir das Geheimnis der drei Jungfrauen umso tiefer erfahren, je mehr wir mit ihnen umgehen.“
Na, dann ist ja alles klar!