Farbe in dunklen Tagen

Agfa-Color in Paris und Holland unter deutscher Besetzung. Matthias Weber stellt zwei Bildbände vor, die unser Bild des Zweiten Weltkriegs ändern könnten.

Bilder bestimmen unser Bild von der Vergangenheit. So ist die jüngere Historie seit Erfindung der Photographie im Gedächtnis präsenter als frühere Epochen, die allenfalls auf Gemälde und Graphik zurückgreifen konnten. Ob Photographien per se objektiver sind, mag nach den Erfahrungen von über 170 Jahren sicher bezweifelt werden. Aber noch immer können photographische Bilder für Überraschungen und Kontroversen sorgen.

André Zucca

So auch im Falle des französischen Photographen André Zucca. Seine 2008 in Paris ausgestellten Farbphotographien korrigieren das Bild von einer sich im Widerstand gegen Hitler und die Deutschen befindenden französischen Bevölkerung, gerade in Paris. Es kann daher kaum überraschen, dass die Farbphotographien, die zwischen März und Juli 2008 in der Bibliothèque historique de la Ville de Paris zu sehen waren, bisweilen wütenden Reaktion hervorriefen.

Paris unter deutscher Besatzung in Farbe zu sehen und nicht im abstrakteren, scheinbar neutraleren und zeittypischen Schwarzweiß, mag die ablehnenden Reaktion wohl verstärkt haben. Ein Umstand, der für einige Franzosen auch 2008 unerträglich blieb. Was war der Grund für die Ablehnung dieser Bilder?

Zucca (1897 – 1973), gebürtiger Pariser und vor dem Krieg weltreisender Bildjournalist, hat in Grenzen mit den deutschen Besatzern kollaboriert und seit 1941 für die Illustrierte „Signal“ gearbeitet. Dafür bekam er Zugang zu den neuen und noch wenig verbreiteten Agfa-Farbfilmen. Allerdings druckte „Signal“ nur seine S-W-Aufnahmen ab, die Farbphotos blieben eher privat. Sind diese Photos nun bildgewordene NS-Propaganda? Zucca nahm deutsche Militärs auf, gelegentlich aber auch einen gelben Stern. Welcher Franzose hätte denn 1939 erwartet, alsbald so etwas in der eigenen Hauptstadt zu begegnen?

Zucca spart diese Bilder nicht aus. Sie formen neben den vergnügt sich sonnenden oder plaudernden Restaurantbesuchern den Teil der Realität jener Tage, der nicht zur Legendenbildung taugt. Allerdings wird der genaue Beobachter auch Zeichen des Verfalls finden, etwa die verschlissenen Kleider nicht weniger Pariser, oder die Autos mit abenteuerlich anmutenden Holzvergasern und ähnlichen Notlösungen. Jean Baronnet, Kustos der Ausstellung wie Zeitzeuge und Herausgeber des Fotobandes, schreibt hierzu:

„Mit dem Holzvergaser braucht man erprobterweise zwei gute Stunden, um nach Dourdan zu kommen. Wenn dieser wie bei meinem Vater auf einem Anhänger sich befindet, so ist er mit dem Wagen durch ein Rohr verbunden. Eine enge Straßenkreuzung erzeugt ein Ersticken und damit ein Schütteln des Motors, das einen unmittelbar bevorstehenden Ausfall ankündigt.“ (S. 98.)

Alphons Hustinx

Anders und doch vergleichbar sind die Bilder des Niederländers Alphons Hustinx, der – in Maastricht im Süden des Landes geboren – von 1900 bis 1972 lebte. Hustinx, aus elitärem Haus, französisch gebildet und orientiert, studierte eher lustlos Recht. Sein eigentliches Interesse galt vielmehr Fernreisen, dem Zeichnen, Photographieren und Filmen. Neigungen, denen er sich ausgiebig widmete. So besuchte er ähnlich wie Zucca Regionen, etwa Afrika und Niederländisch-Indien (das heutige Indonesien), die damals für einen durchschnittlichen Europäer kaum erreichbar waren.

Weiter photographierte er auch seine Heimat, nachdem im Mai 1940 deutsche Truppen das Land überfielen und besetzten. Anders als bei Zucca, ist bei Hustinx nicht zu vermuten, daß er Äffinitäten zum Besatzer gehabt hätte. Gegen Ende des Krieges tauchte er unter, floh vor dem drohenden Zwangsarbeitseinsatz im untergehenden Dritten Reich. Zwei Familienmitglieder starben in deutscher Haft.

In niederländischer Sprache erschien 2005 in zweiter Auflage eine Auswahl seiner Farbbilder aus dieser Zeit. Hustinx reiste bis 1944, solange es ging, durch die Niederlande, um Lichtbild- und Filmvorträge zu halten. Heutzutage befinden sich diese Aufnahmen im Niederländischen Institut für Kriegsdokumentation, NIOD (Nederlands Instituut voor Oorlogsdocumentatie), in Amsterdam.

Der Zeitraum dieser Farbbilder umfaßt auch einige Abbildungen aus der Zeit unmittelbar vor und nach Krieg und Besatzung. Bis 1942 konnte er noch Film und Bilder über Niederländisch-Indien unbehelligt zeigen. Als 1942 die mit Deutschland verbündeten Japaner die niederländische Kolonie besetzten, verboten die Besatzer Hustinx ein weiteres Zeigen dieses Materials. Hustinx verlegte sich auf politisch unbedenklichere Themen wie Afrika oder den Mittleren Osten.

Im Rahmen seiner durch zunehmende Transportprobleme nicht einfachen Reisen nahm Hustinx selbst zahlreiche Bilder in Farbe auf. Dabei ging es weniger um eine Dokumentation seines Heimatlandes unter deutscher Besatzung, sondern die Bilder hatten, ähnlich wie bei Zucca, eher privaten Charakter. Mitunter zeigen sie auch das familiäre Umfeld. Hustinx hatte ein Auge für die Schönheiten des Landes, die oft pittoreske Architektur wie auch für die Trachten tragenden Landbevölkerung.

Harmlos oder unpolitisch sind viele dieser Bilder dennoch nicht, zeigen sie indirekt den Mangel – etwa an Benzin mit den vielen mit Holzkohle oder Gas mühsam befeuerten Autos und Bussen. Auch dies ähnelt Zucca. Pferd und Wagen feierten in einem der modernsten Länder Europas Wiederauferstehung. Brisant und für keine damalige Öffentlichkeit geeignet sind auch die Photographien, die abgeschossene deutsche Flugzeuge inmitten einer Polderlandschaft zeigen.

Keineswegs wollten sich die Besatzer öffentlich daran erinnert sehen, daß ihre Angriffskriege mit beträchtlichen Verlusten einhergingen. So auch im Mai 1940. Außergewöhnlich sind auch die Bilder der beträchtlichen Kriegszerstörungen, die Holland im Mai 1940 (Angriff auf Rotterdam) und später durch alliierte Bombardements erleiden mußte. Daneben hatte der Nazi-Gegner Hustinx eine offenbar grimmige Freude daran, die oft plumpen Propagandaplakate deutscher und niederländischer Nationalsozialisten aufzunehmen. Andere Bilder dokumentieren das religiöse Leben der katholisch geprägten Provinz Limburg. Die militärischen Gepflogenheiten der Besatzer – Paraden, Wachen usf. – interessierten Hustinx wohl nur am Rande. Sie sind viel weniger vertreten als bei Zucca, und dies mag sicher nicht nur an der Auswahl der jeweiligen Herausgeber liegen.

Auch dieser Bildband fasziniert. Hustinx‘ Bilder werden jeweils thematisch zu einem Gegenstand der damaligen Geschichte Hollands zugeordnet, etwa der Zerstörung Rotterdams oder der Ernährungslage während der Besatzungszeit. Die Texte bieten kluge und seriöse Streiflichter, auch Zitate von Zeitzeugen.

Sowohl bei Hustinx als auch Zucca scheint übrigens ausgiebig die Sonne. Damals eine Notwendigkeit: Farbfilme waren noch sehr lichtunempfindlich und bedurften starken Tageslichts. Es fragt sich nun, ob die Bände lohnen ohne hinreichende Sprachkenntnisse: Sie tun es ganz bestimmt. Aber die jeweils auf die Bilder abgestimmten Texte der Editoren zu lesen, ist ein zusätzlicher Gewinn.

„Les Parisiens sous l’Occupation.
Photographies en couleurs d’André Zucca“

(hg. von Jean Baronnet, Galllimard / Paris bibliothèques, Paris 2008, ISBN 978-2-07-012021-5)

Alphons Hustinx
Kleur in donkere dagen.
Het dagelijks leven in Nederland tijdens WO II

herausgegeben durch Loek Kreukels, Roermond 2005 bei X-CAGO B.V., ISBN 978-90-78074-01-4). Auf Deutsch: Farbe in dunklen Tagen. Alltag in den Niederlanden während des II. Weltkriegs

Schreibe einen Kommentar