Christopher liest „Gewalt als Gottesdienst“
von Hans G. Kippenberg
Religiöse Gewalt gehört wieder zur Normalität. Täglich werden wir Zeuge von Mord, Verstümmlung und archaischen Opferritualen. Im Namen Gottes werden Behinderte als lebende Bomben missbraucht, Menschen gesteinigt, Frauen und Kinder gequält. Die Nachrichten, die uns aus Afghanistan, Irak und anderen Weltgegenden erreichen, widersprechen unserem Menschenbild.
Sie rufen Zorn und Widerwillen hervor. Der religöse Wahn und die öffentlich zur Schau gestellte Selbstherrlichkeit selbsternannter Gotteskrieger hinterlassen bei den Betrachtern Ratlosigkeit und Unverständnis. Anders als im aufgeklärten und technikorientierten Westen stehen Demokratie und individuelle Selbstbestimmung in diesen Staaten in direkter Konkurrenz zu den Geboten der jeweiligen Religionsgründer.
Mit seinem Buch „Gewalt als Gottesdienst“ hat der Religionswissenschaftler Hans G. Kippenberg dieses Verhältnis untersucht und ist der Frage nach den rationalen Ursachen religöser Gewalt nachgegangen. Kippenberg, 1939 in Bremen geboren, promovierte und habilitierte über Fragen der jüdischen Religionsgeschichte und unterichtet an den Universitäten Groningen und Bremen. Ein Schwerpunkt seiner Arbeiten stellte der Versuch dar, Wechselwirkungen zwischen gesellschaftlichen Entwicklungen und religiösen Handlungen aufzuzeigen. Ein Thema mit dem sich Kippenberg bereits in seinem 2004 erschienenen Buch „Terror im Dienste Gottes“ beschäftigt hat.
Auch in seinem neuen Buch legt Kippenberg den Schwerpunkt seiner Betrachtungen auf die gewaltsame Auseinandersetzung von Religion und Staat. Dabei stellt er nicht nur die traditionelle Aufgabenverteilung von Staat und Religion, sondern vor allem auch die These von der gewaltbereiten Religion in Frage. Kippenbergs Analyse fußt im wesentlichen auf zwei Annahmen.
Erstens: Religionen weißen als solche kein besonderes Gewaltpotential auf. Zweitens: Die Art der Religionsausübung passt sich den gesellschaftlichen Rahmenbedingen an, ist also im Wandel und nimmt an innergesellschaftlichen Konflikten teil. Angesichts wachsender fundamentalistischer Tendenzen im nahen und mittleren Osten, aber auch in Europa und Amerika erkennt der Autor in der westlichen Auffassung eines apolitischen Religionsverständnisses einen konfliktfördernden Anachronismus.
Im Zeitalter der Globalisierung werden Religionsgemeinschaften nicht mehr durch politikferne und klar definierte Autoritäten geprägt, sondern durch individuelle Sichtweisen und lokale Zusammenschlüsse beeinflusst. Unabhängig von den jeweiligen Glaubenssätzen versteht Kippenberg in den von ihm untersuchten monotheistischen Religionsgemeinschaften funktionale Gruppierungen, die sich durch Interessensgegensätze definieren und auf soziale Entwicklung entsprechend reagieren.
Die Relativierung religiöser Autoritäten, das Verschwinden gesellschaftlicher Normen führt nach Ansicht Kippenbergs nicht zu einer Verweltlichung, sondern zu einer Radikalisierung der Gläubigen. Sektierertum, Partikularismus und zunehmende Gewaltbereitschaft sind die Folge. Komplexe soziale, wirtschaftliche, aber auch rechtliche Probleme werden in eine religiöse Sprache übersetzt, die dem Einzelnen im Alltag Orientierung gibt und ihn in eine Gemeinschaft gewaltbereiter Gleichgesinnter einbindet. Das Zerfallen gesellschaftlicher Strukturen, das Verschwinden traditioneller Institutionen und der damit einhergehende Verlust an sozialer und politischer Sicherheit beschleunigen diesen Vorgang.
Kippenberg verdeutlicht diesen soziologisch komplexen Vorgang anhand von acht Beispielen: Dem Iran Khomeinis, der Hizbollah im Libanon, Israel, Palästina, dem protestantischen Fundamentalismus in den USA sowie dem Krieg der Vereinigten Staaten gegen die Jihadisten. Der Autor führt den Leser in ein Labyrinth des Fundamentalismus. Radikale Zionisten und fundamentalistische Jihadisten, apokalyptische Chiliasten und überschwängliche Kreuzzügler – aufgeklärte Politiker stehen vor einem Rätsel. Die Diagnose scheint klar, religöse Gewalt und soziale Konflikte bedingen einander.
Doch wo bleibt die Lösung, wie kann man den Zyklus religiöser Gewalt unterbrechen? Kippenbergs Antwort hierauf verrät den Wissenschaftler, verzichtet auf schnelle Lösungen. Das zeugt von Verantwortungsbewusstein, läßt aber gleichwohl Fragen offen. Zurecht fordert Kippenberg vor einem praktischen Eingreifen eine genaue Analyse der aktiven Religionsgemeinschaften, die Unterstützung zivilgesellschaftlicher Initiativen und die Stärkung internationaler Institutionen. Versucht man allerdings, diese Vorschläge auf aktuelle Krisenherde wie Afghanistan oder Irak zu übertragen, scheint ihre Umsetzung schwierig. Unterschiedliche Ethnien, unklare Grenzverläufe, Einmischung anderer Staaten erschweren die Analyse der Krisenregionen. Despotische Herrschaftsverhältnisse und gezielter Staatsterrorismus gegenüber Minderheiten machen den Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen unmöglich. Die Arbeit internationaler Institutionen wird durch die geoplitischen Interessen der Großmächte behindert.
Was sich anhört wie die Deklination des politisch Unmöglichen, spiegelt die Realität in Staaten wie Sudan, Kongo oder dem Libanon. Kippenbergs Analyse ist dennoch wertvoll, vor allem für die Integrationsbemühungen westlicher Zivilgesellschaften und dem damit einhergehenden Interesse an innerstaatlicher Konfliktprävention.
Link
Hans G. Kippenberg im Interview mit Christian Weber
Hans G. Kippenberg
Gewalt als Gottesdienst
Religionskriege im Zeitalter der Globalisierung
C.H. Beck, 19,90 Euro