„Grateful Dead“: Das kosmische Gefühl der Verbundenheit

Vorurteile funktionieren immer dann besonders gut, wenn man überhaupt keine Ahnung hat. Vorurteile gegen Amerikaner gibt es eine Menge: Sie seien arrogant, naiv, essen nur fast food, wissen nichts von der Welt, sind oberflächlich, streben nur nach Reichtum, glauben an Gott, verharmlosen Scientologen und wählen George W. Bush. So einfach ist das aber nicht – und das erklärt uns Martina in ihrer Serie schönerverstehen:amerika. Während sich in den Vereinigten Staaten der neue Präsident auf seinen Amtsantritt vorbereitet, beginnt sie mit einer Band, die für ein menschenfreundliches, liebenswertes Amerika steht:

svamerika

The Grateful Dead

Kurzum: Grateful Dead sind eine DER amerikanischen Bands und dazu noch wahrhaft „universell“. Das steht jetzt so bleigegossen da und hat seine Berechtigung.

Wie oft hört man von unseren stoffeligen, ernsthaften Intellektuellen, daß man die USA keinesfalls mögen könne (gar dürfe), denn dort habe man ja zumindest früher Bush gewählt, und außerdem der Bible Belt und die Waffenvernarrtheit und die Kriegstreiberei und überhaupt … und ob Obama nicht vielleicht nur ein Blender ist und ob ihm die Weltvorherrschaft seines Landes letzten Endes nicht doch wichtiger ist als es ihm die hehren Ziele sind, die er während des Wahlkampfes formulierte …

Was dabei nur leider immer wieder gerne vergessen wird, ist die Tatsache, daß es zu jedem repressiven System auch eine Gegenbewegung gibt und daß auch unsere vielgeliebte Gegenkultur, unsere Aufbruchsbewegung der 60er Jahre, auf den amerikanischen Vorbildern fußt. Ja aber! Die Kultur- und Geschichtslosigkeit dieser amerikanischen Barbaren! Die ewige europäische Klage … natürlich ist es albern, ein hundert Jahre altes Haus als archäologische Sensation zu feiern, und daß die USA in einigen Staaten in einem voraufklärerischen Zustand verharrt, ist eine Binsenweisheit.

Nur wird da nicht was vergessen? Unter anderem nämlich die Musik, Rock, Pop, Blues, Jazz, Country etc. Kein Land der Welt definiert sich so sehr über seine Populärkultur wie die USA, und nirgendwo sind Bandbreite und Qualität so stark. Als ich beispielsweise in San Francisco war oder in Chicago, habe ich für fünf Dollar Eintritt inklusive Verzehrbon Live-Bands gesehen, bei denen mir vor Begeisterung die Spucke wegblieb. In einer Kneipe bin ich mit ganz „stinknormalen“ Leuten ins Gespräch gekommen und fand mich unversehens in einem Wettbewerb wieder: Wer am schnellsten das nächste Musikstück im Radio erkennt (also möglichst beim ersten Takt), kriegt einen ausgegeben – was war da nicht alles dabei und eben auch immer ein Dead-Stück.

In den USA gehören ihre Songs und – erstaunlich für uns Europäer – gerade auch die mit endlosen Improvisationen zum festen Repertoire der Radiostationen. In Fernsehserien und Filmen, Comicstrips und Zeitungsartikeln wird noch heute auf die Dead angespielt, und nicht nur die Band als solche und dreizehn ihrer wechselnden Mitglieder, sondern auch zwei ihrer einzelnen Stücke wurden in die Rock’n’Roll Hall of Fame aufgenommen.

Grateful Dead existierten von 1965 bis 1995, dem Jahr, in dem Jerry Garcia, Kopf und Herz der Band, starb. (Die restlichen Dead touren noch heute in verschiedenen Konstellationen und verfolgen dabei wie seit jeher nebenbei ihre eigenen Projekte.) Sie waren in all den Jahren die Pioniere des Jams, des freien Fließens und der good Vibrations. Sie mixten auf hohem Niveau Jazzelemente, Bluegrass, Blues, Country, Folk, Rock und Space Music zu der ganz eigenen psychedelischen Melange ihrer unverwechselbaren Musik.

Live entfalteten die Dead ihre ganze Magie am besten; ihre Improvisationen, die „Drums and Space“-Soli, schufen den Zauber eines kosmischen Gefühls der Verbundenheit mit dem gesamten Universum, der durch die von Owsley Stanley für die Dead entwickelte sogenannte Wall of Sound-Beschallungsanlage noch verstärkt wurde. Die Band bestritt die unglaubliche Zahl von über 3000 Live-Auftritten, darunter viele Free Concerts.

Überhaupt waren Grateful Dead ungewöhnlich großzügige Musiker. Sie erlaubten stets, daß ihre Fans die Konzerte mitschnitten und richteten extra dafür sogenannte „Taping Areas“ ein. Im Zeitalter des Internet, das sie auf musikalischem Sektor mit beeinflußten, obwohl keines der Bandmitglieder ein Technik- bzw. Computerfreak war, übertrugen sie diese Erlaubnis auch auf das Netz. Die einzige Einschränkung besteht noch heute darin, keinen Gewinn mit dem Tauschen und Downloaden erzielen zu dürfen. Für die Band waren ihre Fans stets unverzichtbar:

„The unique organicity of our music reflects the fact that each of us consciously personalized his playing, to fit with what others were playing and to fit with who each man was as an individual, allowing us to meld our consciousnesses together in the unity of a group mind.“ (Phil Lesh)

Die amerikanischen Grateful Dead-Fans, die “Deadheads”, folgten oft ihrer Band von Stadt zu Stadt und legten Wert darauf, ein Deadhead-Netz aufzubauen; das funktionierte durch die Jahrzehnte und lebt auch heute noch in kleineren Communitys fort: ein sehr spezielles kulturelles Phänomen mit eigener Sprache, eigenen Regeln und eigenen Lebenszielen. Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang durchaus die vielen Prominenten, die sich im Laufe ihres Lebens als Deadheads oder zumindest Anhänger der Musik geoutet haben; zwischen den Künstlern und Schauspielern sind auch erstaunlich viele amerikanische Politiker, die aber NIEMALS NICHT JEMALS den Rauch eines Gras-Joints inhaliert haben wollen …

„Sometimes the light’s all shining on me
Other times I can barely see
Lately it occurs to me
What a long strange trip it’s been …“
(Grateful Dead – Truckin‘)

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