Wanderer zwischen den Welten

Prof. Pu empfiehlt: Big Shots – Geschichten unter dem Paradiesbaum von Michael Lüders

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Denis Scheck sagte in seiner letzten „Druckfrisch“-Sendung, die Deutschen mögen keine Erzählungen. Ich habe auch lange gebraucht, bis ich diese Erzählform zu goutieren begann. Wenn man sich darauf einläßt, finden sich wahre Kostbarkeiten. So wie die „Geschichten unter dem Paradiesbaum“. Michael Lüders nimmt einen mit auf eine kleine Weltreise, zusammen mit Menschen auf der Suche, Menschen, die plötzlich aus ihrem Lebensentwurf fallen und vor völlig neue Herausforderungen gestellt werden. Zelder, deutscher Ingenieur für Solaranlagen, muss im Auftrag seiner Firma nach Ägypten reisen.

In einer Seitengasse entdeckte Zelder eine Teestube, in der auch Wasserpfeifen angeboten wurden. Er setzte sich auf einen Holzschemel und bestellte eine Schischa mit Apfelgeschmack. Das Blubbern des Wassers hatte etwas Beruhigendes, er inhalierte, bekam einen Hustenanfall, erntete belustigte Blicke. Wenig später nahm niemand mehr Notiz von ihm. Und er fragte sich, was er an Orten wie Assiut schätzte, obwohl sie so wenig einladend wirkten. Es war, überlegte er, die vollkommene Abwesenheit jedweder Illusion. Niemand schien irgendwelche Ziele oder Pläne zu verfolgen, die Aufmerksamkeit galt allein dem täglichen Überleben. Absurd war in seinen Augen, dass darin eine Freiheit lag, die erkauft war mit Armut. Er, vergleichsweise wohlhabend, fühlte sich weniger frei, obwohl vermutlich die ganze Stadt am liebsten mit ihm tauschen würde.

BildSeine Firma baut direkt vor einer Pyramide eine große Photovoltaikanlage. Ein von den Einwohnern verehrter Heiliger will dies verhindern. Mit der Einstellung „Heiligkeit ist keine Kategorie, auf der moderne Geschäftsbeziehungen beruhen“ wird der Ingenieur nicht weit kommen. Heilige Muslime denken nicht in solchen Kategorien – Ali Hassan will warten, bis die Pyramide keinen Schatten mehr wirft. Und Zelder schafft es …

Weitere Stationen der Geschichten sind Paris, Agadez, Berlin und New York – dort begegnen wir dem Fotografen Max, der zwar erfolgreich ist mit seinen „Big Shots“, aber fast einen Mord begeht, um die Frau seines Lebens zu bekommen.

Max spürte, wie die beiden Plus- und Minuspole seines tiefsten Innern geradezu nach einem Kurzschluss strebten, um der lichten Seite den Weg zu ebnen. Er hielt sich nicht für einen Verbrecher, wenngleich seine Gesinnung in diese Richtung wies.

Die Geschichte über die sieben verschwundenen Iranerinnen aus Isfahan mutet fast ein wenig wie ein modernes Märchen an, wäre die reale Situation der iranischen Frauen nicht so bedrückend. Ein deutsch-iranischer Journalist wird nach Hause gebeten, um bei der Suche nach den Mädchen zu helfen. Und findet in einem Friseursalon heraus, dass die Festnahme eines Schönheitschirurgen mit dem Verschwinden der jungen Frauen zu tun hat …

Lüders Fabulierkunst und seine Kenntnisse der verschiedenen Kulturen – der Klappentext nennt ihn einen „Wanderer zwischen den Welten“ – haben mir ein paar horizonterweiternde Stunden bereitet, ganz ohne Last-Minute-Tickets und Kofferpacken „zwischen den Jahren“.

Michael Lüders
Big Shots – Geschichten unter dem Paradiesbaum
Arche-Verlag 18.- €
978-3-7160-2381-5

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