„Operation Walküre“: ein klassisches Lehrstück

Martina setzt mit ihrer Filmkritik „Operation Walküre“ unsere Serie schönerverstehen:amerika – die Amerikaner und ihr Deutschlandbild fort.

Zunächst einmal: Ich verstehe es! Ich verstehe die Schmallippigkeit und die ablehnende Haltung, die zu spüren war, als ich meinen ansonsten grundtoleranten und offenen SchönerDenkern beim letzten gemeinsamen Frühstück mitteilte, den Film „Operation Walküre“ mit Tom Cruise als Claus von Stauffenberg besprechen zu wollen – und daß der Beitrag kein Verriß wird. (Zum Glück konnte ich zumindest bei dieser Gelegenheit erfolgreich verschweigen, daß ich auch durchaus gerne mal Richard Wagner höre, sonst hätte ich wohl das ein oder andere Buttermesserchen am Halse gehabt.)

Ja, ich weiß: Tom Cruise ist in Deutschland so umstritten wie nirgendwo sonst auf der Welt; hier kann man „nicht an Cruise als Stauffenberg denken – und dabei Scientology vergessen“ (Thorsten Dörting auf Spiegel online). Welche Hysterie dräute da schon weit vor Drehbeginn! Sektenexperten der Bundesregierung und der einzelnen Fraktionen traten medienwirksam auf, Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) polterte gegen Cruise, der Vorsitzende des Bundestag-Kulturausschusses, Hans-Joachim Otto (FDP), nannte die Besetzung der Stauffenberg-Rolle mit Cruise „instinktlos“, da die Scientologen eine „hochproblematische Organisation“ seien, die schon „viel Not über die Menschen“ gebracht habe, und der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Frank Henkel, empörte sich gar, daß der „mutige deutsche Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur“ nicht für die „PR-Zwecke einer gefährlichen und totalitären Psycho-Organisation wie Scientology“ mißbraucht werden dürfe. Auch der Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete Klaus Uwe Benneter meinte: „Dies (Cruise als Stauffenberg) ist ein Schlag ins Gesicht aller aufrechten Demokraten, aller Widerstandkämpfer im Dritten Reich, aller Opfer der Scientology-Sekte.“

Und was ist nun, zu einem Zeitpunkt, nachdem der Film längst im Kino gelaufen und seit 20. Juli 2009 die Kauf-DVD im Handel ist, aus all dem Entrüstungs-Hype geworden? Aus Zorn, Erregung, Aufwallung, aus Geifern und Poltern wegen Cruises Mitgliedschaft bei Scientology?

Auch als Spielfilm an sich wurde „Operation Walküre“ bereits schon während der Planung und Entstehung in Deutschland (dort am heftigsten), aber auch in den USA kritisiert, verspottet, für unglaubwürdig und mißlungen erklärt; das Drehbuch wurde z.B. von der „Bild am Sonntag“ als „Lügendrehbuch“ diffamiert, und in Amerika hieß es, das Projekt sei keines für Cruise, „lauter Männer über dreißig, die keine Frau ins Kino locken werden, keinerlei jüdisches Publikum (ist) zu erwarten, und am Allerschlimmsten – kein Happy-End mit Sieg des Helden.“ (Roger Friedman für den Hollywood-Blog des Fox-News-Kanals). Man warnte: der Film sei ein echter Karrierekiller für Cruise.

„Die schärfsten Internetpropheten Hollywoods kannten kein Halten mehr, als sie die ersten Bilder von Tom Cruise mit Stauffenbergs Augenklappe sahen – sofort war das Wort vom ‚Nazi-Film’ in der Welt, und die Geschichtskundigen wiesen noch hämisch darauf hin, daß der Plot, Adolf Hitler in die Luft zu sprengen, am Ende ja wohl jämmerlich gescheitert sei.“ (Tobias Kniebe in der Süddeutschen Zeitung)

Nirgendwo schien man an den Erfolg des Drehbuchs von Christopher McQuarrie, die Umsetzung durch den Regisseur Bryan Singer und natürlich an den Hauptdarsteller Tom Cruise zu glauben – die  Gesamtheit der Vorverurteilungen faßte Tobias Kniebe sehr schön unter der Schlagzeile „Die Stunde der Besserwisser“ zusammen.

Und was kann man jetzt im Nachhinein bilanzieren? Zunächst einmal eine frappierende Tatsache, die im Grunde alles aussagt: Die Filmkulissen vom Set hat sich die Deutsche Bundeswehr gesichert: für ihr Militärmuseum in Dresden. Nach all dem Geschrei im Vorfeld sonnen sich Politiker und Behörden in dem Licht des – jetzt ist die Katze aus dem Sack – absolut GELUNGENEN Films. Der wissenschaftliche Leiter der Neukonzeption des Museums, Gorch Pieken, sagte der „Welt“:

„Der Film mit Cruise wird das Bild Stauffenbergs – vor allem im Ausland – über Jahre prägen, deswegen sind diese Exponate für uns besonders wichtig.“

Bei meinen Reisen in die USA hatte ich das Glück, überwiegend mit freigeistigen, interessierten Menschen zusammenzutreffen, die mir ein anderes Amerika zeigten als das engstirnige, ungebildete des gängigen Klischees. Umgekehrt konnte ich aber nicht viel zu einer Veränderung des Deutschlandbildes beitragen – weil es kaum ein solches gab! Wenn Deutschland wahrgenommen wurde, in den Medien auftauchte, dann war es entweder die Heimat der Vorväter (ich habe viele Nachkommen von Auswandererfamilien getroffen; im Jahre 2000 gaben 42,8 Millionen Amerikaner bei einer Volkszählung an, deutsche Vorfahren zu haben, das sind 15,2 Prozent der Gesamtbevölkerung), ein bierseliges blauweißes Festzelt-Paradies oder – und das hauptsächlich – eben die Heimat von Nazis, und die wiederum stehen für das unaussprechlich Böse.

Tom Buhrow, von 1994 bis 2006 USA-Korrespondent der ARD, beschreibt dies so:

„So wie der Holocaust über unserer Gegenwart wie eine dunkle Wolke als ständige Ermahnung schwebt, ist er auch für viele Amerikaner noch sehr präsent.“

Buhrow schildert, wie er in Washington im Rahmen eines Filmfestivals „Comedian Harmonists“ auf Deutsch mit englischen Untertiteln sah. Der Film porträtiert die berühmten Sänger, deren Gruppe auf der Höhe des Ruhmes von den Nazis zerschlagen wurde, da drei der Mitglieder Juden waren. Laut Buhrow konnte sich der Großteil des überwiegend amerikanischen Publikums nicht vorstellen, daß der Film in Deutschland Erfolg hatte, ja noch nicht einmal mehr, daß überhaupt Deutsche ihn sehen wollten. Viele der Zuschauer gingen davon aus, daß Deutsche mit ihrer Vergangenheit nicht konfrontiert werden wollen bzw. im Grunde ihres Herzens noch gewisse Sympathien für das Naziregime hegen.

US-Nachrichtenfilm von 1944 über das Attentat:

Umso wichtiger ist da die Hoffnung, die zwei der deutschen Darsteller in „Operation Walküre“, Christian Berkel (Albrecht Mertz von Quirnheim) und Thomas Kretschmann (Otto Ernst Remer) in Interviews nachdrücklich formulierten, nämlich daß der Film den Blick der Amerikaner auf Deutsche im Nazi-Deutschland verändern kann. Auch im Film selbst ist der Wunsch explizit formuliert: Claus von Stauffenbergs Bruder Berthold (Karl Alexander Seidel) sagt zu ihm:

„Jemand muß aufstehen und der Welt zeigen, daß nicht alle von uns wie er (Hitler) sind.“

Und das ist gelungen: das hypertrophierte Bild der Deutschen als in der Geschichte einmalig böses Volk von Mördern ist durch „Operation Walküre“ zweifellos aufgebrochen worden.

„Valkyrie“ – so der Originaltitel – lebt von erzählerischer Klarheit und historischer Kompetenz, von stillen Drehbuchszenen, Charakterstudien,  sparsam eingesetzer Musik und einem großartigen schauspielerischen Ensemble. Im Gegensatz zu beispielsweise Jo Baiers pompösem Kitschwerk „Stauffenberg“ von 2004 ist es der amerikanische und nicht der deutsche Film, dem es gelungen ist, den Ansprüchen an eine korrekte historische Darstellung ebenso zu genügen wie den Erwartungen an eine mitreißende Kinodramaturgie – ohne erfundene Beziehungsdramen und bedeutungsschwangeres Wagner-Getöse.

Außerdem gibt es in „Valkyrie“ Settings, die noch nie zuvor in einem Stauffenberg-Film stattgefunden haben, aber so zwingend sind, daß man sich beim Betrachten fragt, warum sie so lange ignoriert worden sind. Stauffenberg wird beispielsweise zu einer Lagebesprechung auf Hitlers Berghof in Berchtesgaden gebeten, bei der der gesamte innere Zirkel von Göring bis Speer zu sehen ist, eine phänomenale Szene, zurückhaltend inszeniert und dabei so ausdrucksstark, daß sie den Zuschauer atemlos macht.

Auch wurde noch nie zuvor in einem Film über die Verschwörer des 20. Juli 1944 gezeigt, wie lange schon Pläne geschmiedet wurden, Hitler zu töten und wie viele gescheiterte Versuche es dabei gab. Es ist nur anzunehmen, daß die anderen Filme dies wegließen, um ihre Zuschauer nicht zu verwirren. Thomas Kniebe bemerkt dazu:

„Der erfahrene Krimischreiber McQuarrie (…), der für Bryan Singer bereits das oscargekrönte und sehr verzwickte Drehbuch zu ‚Die üblichen Verdächtigen’ verfaßte, hat kein Problem mit Komplexität. Er nutzt sie, um das wahre Potential dieses historischen Thrillers auf die Leinwand zu bringen, und dieser Reichtum an Hintergrundinformationen dürfte selbst Historikern gefallen (…).“

Gewiß ist der Stoff mehr als schwierig; den Rechten gelten die Männer des 20. Juli 1944 als Vaterlandsverräter, den Linken als Nazi-Junker und elitäre Monarchisten, und mittlerweile ist Claus Schenk Graf von Stauffenberg im öffentlichen Bewußtsein als deutsche Ikone etabliert. Das Datum ist inzwischen ein offizieller Gedenktag, der, so der Militärhistoriker Tobias Baur, „nach außen zur Widerlegung der Kollektivschuldthese“ dient und „nach innen zur Stiftung einer neuen Identität in einer Tradition der Freiheit“.

Wie sehr die Männer um Stauffenberg zur politischen Chefsache geworden sind, zeigt die eingangs erwähnte feindselige Stimmung gegen das Filmprojekt „Operation Walküre“. Das zähe Ringen um die Drehgenehmigung im Bendlerblock (die sowohl für Singer als auch für Cruise existentiell wichtig war; beide sprachen davon, den Film platzen zu lassen, wenn sie sie nicht bekämen) gipfelte in einer „Tagesschau“-Meldung vom 14.09.2007: „Cruise darf doch im Bendlerblock  drehen“. So bedeutsam war die Frage, ob ein Scientologe „würdig“ genug sei, an einer „heiligen“ Stätte (O-Töne von Ulrich Wilhelm, Regierungssprecher) einen deutschen Helden darzustellen, daß ihre Klärung Stoff für die seriöseste Nachrichtensendung im deutschen Fernsehen war. Vertreter des Verteidigungsministeriums, der Leiter der Gedenkstätte im Bendlerblock und Vertreter der Filmproduktionsfirma „United Artists“ hatten sich schließlich doch noch bei einem persönlichen Treffen auf die Rahmenbedingungen geeinigt; nach außen drang nur, daß Cruise persönlich der Strippenzieher dabei gewesen sei. „United Artists“ veröffentlichte eine knappe Stellungnahme zur Drehgenehmigung:

„Wir sind der deutschen Regierung außerordentlich dankbar, daß wir im Bendlerblock filmen dürfen. Im Bendlerblock zu drehen war uns immer enorm wichtig – aus symbolischen und kreativen Gründen und um der historischen Wahrhaftigkeit willen.“

An dieser Stelle möchte ich noch einmal nachdrücklich auf die soeben erschienene Kauf-DVD  von „Operation Walküre“ hinweisen; ihr Bonusmaterial ist außergewöhnlich ambitioniert. Hier kann man z.B. den soeben erwähnten Regierungssprecher Ulrich Wilhelm hören, der die Motive erläutert, doch noch die Drehgenehmigung erteilt zu haben, und kann mühelos seiner Argumentation folgen, daß der Film eine „gute, gründliche und nachdenkliche Arbeit“ sei.

„Valkyrie“ wird außerdem durch die vielen Angehörigen der Attentäter geadelt, die sich interviewen lassen, allen voran durch Claus von Stauffenbergs Sohn Berthold, der im Vorfeld öffentlich fluchte und drohte, als er erfuhr, daß Tom Cruise seinen Vater spielen sollte und der einen „grauenhaften Kitsch“ von der Produktion befürchtete – und nun geläutert die nüchterne Präzision des Drehbuchs und die treffsichere Darstellung des Ensembles lobt. Nicht nur so knackige Statements wie „Ich fand ihn (den Film) fabelhaft“ von Claus von Stauffenbergs Enkel Philipp von Schulthess sind da zu hören, sondern auch hochrangige Historiker kommen zu Wort, die ein durchaus differenziertes Bild der Verschwörer des 20. Juli 1944 zeichnen. Claus von Stauffenberg beispielsweise tritt uns nicht nur als ernster, pflichtbewußter Held entgegen, sondern eben auch als konservativer Adeliger, der sich als Teil einer traditionellen Herrscherelite verstand, als Auserwählter und Nachfahre der deutschen Kaiser.

Einen großen Raum nehmen bei dem „Making Of“ – verständlicherweise nach all den Ereignissen im Vorfeld – die Dreharbeiten im Bendlerblock ein; Tom Cruise und Bryan Singer halten Reden, das Team steht in einer Schweigeminute zusammen, und die Schauspieler sind sichtlich bewegt (u.a. Bill Nighy, der geradezu brillant Friedrich Olbricht verkörpert, schildert sehr anrührend, wie sehr ihm die Authentizität des Drehortes naheging). Gekrönt wird das Bonusmaterial durch eine Art „Lehrfilm“ für das amerikanische Publikum, eine Geschichtsstunde mit üppigem Wochenschaumaterial.

Zurück zum Film und zurück zum im Vorhinein heiß umstrittenen Hauptdarsteller Tom Cruise, der seine Erfahrungen mit den Dreharbeiten wie folgt zusammenfaßt: Es war eine „nie endende Recherche und ein nie endendes Lernen“ und:

„Durch Stauffenberg habe ich mich mit der deutschen Seele beschäftigt. Ich bin demütig geworden.“

Kitschige Worte vielleicht – aber mit Sicherheit von Tom Cruise wirklich empfunden. Er ist bekannt dafür, ein Workaholic zu sein, zutiefst seiner Arbeit verpflichtet. Cruise recherchiert monatelang für seine Rollen, arbeitet hart auch an Details, scheut nicht vor Betätigungen im Hintergrund wie Casting oder Drehbuchkorrekturen zurück und ist dabei stets perfektionistisch, negativ ausgedrückt: ein Kontrollfreak. Seine Besessenheit von seinen Rollen führt im Falle des Stauffenberg zu einer merkwürdigen Charakterverschmelzung, die – und nun können wir getrost den Bogen schlagen zu der eingangs geschilderten Scientology-Diskussion – in seinem ganz eigenen Sektierertum begründet liegt, denn auch Stauffenberg hing einem elitären Glauben, dem des Kreises um Stefan George an, und das war für Cruise mehr als nachvollziehbar. Er war es auch, der auf dem historisch korrekten Detail bestand, in seiner Rolle als Stauffenberg einen Goldring mit der Aufschrift „finis initium“ zu tragen; einen Hinweis auf Stefan George, als dessen Jünger sich Stauffenberg zeitlebens verstand. George schrieb 1928 „Das neue Reich“, ein Plädoyer für eine neue Gesellschaftsordnung auf der Grundlage einer streng hierarchisch gegliederten Aristokratie des Geistes und einer Ästhetik der Tat.

Thorsten Dörting meint dazu:

„Wenn etwa Cruise seinen Stauffenberg, den er ansonsten eher unterkühlt spielt, mit Verve über die palavernden Herren Politiker im Verschwörerkreis herziehen lässt, dann steht er plötzlich vor uns, Stauffenberg, der Mann der Tat. Unwillig, seine Zeit mit Geschwätz zu vergeuden, verfolgt er nur ein Ziel: Tod dem Tyrannen. (…) Und wenn Cruises ansonsten wortkarger Stauffenberg den Aufstand organisiert, energisch im Blick und sichtbar mühsam kontrolliert in seiner Bewegung, verleiht er ihm eine Aura unbedingter Entschlossenheit, dann strahlt er einen heiligen Ernst aus, dann haftet ihm etwas Getriebenes an. (…) Auf absurde Weise fallen sie in diesem Punkt zusammen, das Image des Schauspielers und das Leben des Attentäters.“

Natürlich ist auch der klassische amerikanische „Action Hero“, den Tom Cruise so oft schon kongenial verkörpert hat, ein Mann der Tat. „Du bist was du tust“ ist die Maxime des US-Heldenkinos, und es scheint, als habe Cruise sie auch für seinen Stauffenberg verinnerlicht. Man kann sein ausdrucksstarkes, karges Spiel auch als Respekt vor der historischen Person Stauffenbergs interpretieren. Gerade wegen der unscharfen Konturen der Hauptrolle verlangt diese nach einem wirklichen Star, der Leerstellen zu füllen vermag – und deshalb ist die Besetzung mit Tom Cruise nicht nur wegen der verblüffenden physischen Ähnlichkeit genau richtig.

Tom Cruise IST ein Superstar, auf den der Begriff zutrifft, egal was man hierzulande von ihm halten mag. Wenn ein Film mit ihm in den Kinos anläuft, bekommt er viele tausend Titelgeschichten. Auch wenn seine deutsche Biographin Veronika Rall schreibt: „Der Kill kommt, wenn der Mann grinst. Dann scheinen alle Hüllen zu fallen, nicht nur seine eigenen, sondern auch unsere“, liegt sein anhaltender Erfolg nicht nur in seinem guten Aussehen begründet. Sicherlich gefällt auch mir der scharfe kleine Stöpsel mit dem dichten Haarschopf, den schönen Augen, den sinnlichen Lippen und dem ausdefinierten Körper. Aber er kann mehr als nur sexy zu sein, er kann sich, wie bei „Operation Walküre“, einer Geschichte rückhaltlos hingeben.

„Valkyrie“ ist ein Thriller, der klassische atemlose Wettlauf gegen die Uhr. „Valkyrie“ ist aber gleichberechtigt auch ein Heldenepos, wie es von Bryan Singer nicht behutsamer, reflektierter und stilgetreuer hätte inszeniert werden können, mit allen Merkmalen der klassischen Tragödie und begleitet durch zarte, leise musikalische Andeutungen des „Walküren“-Stoffes von Richard Wagner. Dadurch, daß die Musik im Film so spartanisch eingesetzt wird, sind die wenigen Takte für den Zuschauer um so bezaubernder, anrührender und enthusiasmierender; er wird mittels der leitmotivischen Technik durch die Handlung geführt.

„Operation Walküre“ erfüllt alle Merkmale der klassische Tragödie, und Singers strenge, theaterhafte  Inszenierung fesselt umso mehr. Michael Althen beschrieb im FAZ.net den visuellen Effekt des Filmes sehr treffend wie folgt:

„Graue Menschen stehen in grauem Dekor und reden viel – und doch ist das großes Kino.“

Kennzeichnend für die klassische Tragödie ist der schicksalhafte Konflikt der Hauptfigur, der in eine unausweichliche Verschlechterung für den tragischen Helden mündet, und anders als im Drama ist dessen Scheitern zwingend. Der Zuschauer weiß, daß er bei „Valkyrie“ kein Happy End erleben wird; unentrinnbar sind Unheil und Verhängnis, nicht nur für den Helden, sondern für eine ganze Nation. Auch das ist antiker Legendenstoff.

Nicht nur die Elemente der griechischen Tragödie, sondern vor allen Dingen die der Tragödie in der französischen Klassik des 17. und frühen 18. Jahrhunderts fließen in die künstlerische Umsetzung des Stauffenberg-Stoffes ein. Nach der von Corneille, Racine und Voltaire etablierten Praxis hatte eine Tragödie in fürstlichen Kreisen zu spielen (kaum einer der Stauffenberg-Mitverschwörer war bürgerlich) und die drei aristotelischen Einheiten von Handlung, Ort und Zeit einzuhalten – all dies ist bei „Operation Walküre“ gegeben, ebenso wie die klassischen erzählerischen Funktionen der fünf Akte.

Es kann in einem Spielfilm kaum eine deutlichere Exposition (Protase) geben als die Wüstenszene, keine spannendere Umsetzung der Komplikation (Epitase) als die steigende Handlung durch die abgebrochenen Anschlagsversuche vom 11. und 15. Juli 1944, und wenig Tragischeres als die Umkehr der guten Voraussetzungen für die Pläne des Helden (Peripetie) durch die verschlechterten Bedingungen für den Anschlag am 20. Juli 1944 und die Klimax, als nur noch die eine Bombe funktionstüchtig ist und und es den Zuschauer vor atemloser Spannung (auch wenn er weiß, daß es nicht gut ausgeht!) auf die Kante des Kinosessels zwingt.

Danach kommt es auch in unserem Film folgerichtig zur Verlangsamung der Handlung, ein Aufschieben, ein Hinhalten, um in der Phase der höchsten Fesselung des Zuschauers auf den letzen bevorstehenden Akt, die Katastrophe (Lysis) hinzuarbeiten, hervorragend umgesetzt durch die Verzögerung bei der Initiierung der „Operation Walküre“ durch die wankelmütigen Mitverschwörer, die viel zuviel kostbare Zeit verstreichen lassen, bevor sie aktiv werden. Nun, der letzte Akt, die Katastrophe selbst – darüber muß man kein Wort verlieren, wir alle wissen, was er zeigt. In unseren Ohren bellt Hitlers Stimme aus den Volksempfängern:

„Eine ganz kleine Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich verbrecherischer, dummer Offiziere hat ein Komplott geschmiedet, um mich zu beseitigen. Die Bombe, die von dem Oberst Graf von Stauffenberg gelegt wurde, krepierte zwei Meter an meiner rechten Seite. Es ist ein ganz kleiner Klüngel verbrecherischer Elemente, der jetzt unbarmherzig ausgerottet wird.“

Uff. Was soll ich abschließend sagen? „Operation Walküre“ ist meisterlich in vielerlei Hinsicht und um antike Stadionlängen besser als der Ruf, der – oftmals als bösartige Vorverurteilung – dem Film vorauseilte. Das nächste Hitler-Attentat steht uns mit „Inglorious Bastards“ von Quentin Tarantino demnächst bevor, und ich orakele nur zu gerne, daß wir vor einem peinlichen, laut krachenden Tschingderassabumm-„Widerstandskämpfer“-Machwerk stehen werden, auf dessen abgeschmackter Folie einige Zuschauer vielleicht „Valkyrie“ als das feine, qualitativ hochstehende Glanzstück schätzen lernen, das es ist.

Links

Auch Christopher hat sich mit „Operation Walküre“ auseinandergesetzt.

Eine ARD-Dokumentation zeigt die Diskussion um den Film am Tag vor der Kinopremiere in Deutschland (erster von fünf Teilen):

Weitere Kritiken bei film-zeit.de und bei moviepilot.

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