Die heilige Socke von Wanne-Eickel

Die Diskussion ist eröffnet: Christian Hellwig vom Blog „Kino, TV & Co.“ mit einigen spannenden Bemerkungen zu Martinas Filmkritik.

Tom Cruise ist in Deutschland so umstritten wie nirgendwo sonst auf der Welt; hier kann man „nicht an Cruise als Stauffenberg denken – und dabei Scientology vergessen“

Jaja, das Wettern von Teilen der deutschen Politik und des Feuilletons waren in der Summe fast aufregender, als es der letztendliche Film geworden ist. Zumindest zeigte sich in diesem Zusammenhang mal wieder die immer noch virulente deutsche Unentspanntheit im Umgang mit der eigenen Geschichte. Die Mitgliedschaft von Cruise bei Scientology und das zähe Ringen um die Drehgenehmigung im Bendlerblock kamen in der Tat einem Schmierentheater aus deutschen Landen gleich. Jedoch darf man auch nicht unerwähnt lassen, dass dies nur die eine Seite der medialen Auseinandersetzung rund um einen Film war, den zu diesem Zeitpunkt noch niemand gesehen hatte: Vor allem die FAZ unter Schirrmacher hat „Valkyrie“ ebenso genüsslich zum umfassenden Erlöser des internationalen Deutschland-Bilds emporgejubelt, wie ihn die andere Seite schon mal prophylaktisch verdammt hat. Mir persönlich ist hinsichtlich der Bewertung des Films im Übrigen völlig egal, ob Tom Cruise Mitglied bei Scientology ist, oder gar Anhänger der heiligen Socke von Wanne-Eickel (So viel vielleicht schon mal vorweg).

Und das ist gelungen: das hypertrophierte Bild der Deutschen als in der Geschichte einmalig böses Volk von Mördern ist durch „Operation Walküre“ zweifellos aufgebrochen worden.

Und dieses Fazit ist dann wohl die konsequente Folge aus der in den vorigen Absätzen entworfenen (und gut zu lesenden) Argumentation. Aber warum eigentlich? Warum könnte dieser Film das Deutschlandbild in der Welt und in den USA entscheidend verändert haben? Doch ist das noch nicht einmal die entscheidende Frage, denn die potentielle Antwort liegt klar auf der Hand: 1. Zugpferd Cruise, 2. eine spannend inszenierte und stringent vorgetragene Geschichte, die 3. in den USA der Masse in der Tat unbekannt sein dürfte. Mit anderen Worten: Viel entscheidender ist doch die Frage, ob man die schiere Existenz des Films (also DAS die Geschichte erzählt wird) ein taugliches Argument ist, um den Film in der Kritik automatisch zu einem Gelungenen Beispiel des internationalen Kinos werden zu lassen. Die Antwort muss in dieser Hinsicht eine Eindeutige sein, nämlich: Nein! Jeder andere Film aus den USA über Stauffenbeg mit einem bekannten Gesicht als Zugpferd hätte das Gleiche erreicht, ganz unabhängig von seiner letztlichen qualitativen Güte. Ok, für dich ist der Film nicht nur hinsichtlich seiner positiven Wirkung gelungen, sondern auch an sich. Das begründest du ja in den nächsten Absätzen. Ein Punkt, der für meine Wertung des Films eminent wichtig ist, kommt bei deinem Text in genau einem Wort vor:

lebt von […] Charakterstudien

Abseits deiner Ausführungen zu den Merkmalen der klassischen Tragödie, die „Valkyrie“ zu Eigen sind, und die mit Sicherheit maßgeblich dazu beigetragen haben, das der Film auf der Ebene des Thriller mitreißend funktioniert, würde mich mal interessieren, wo sich in „Valkyrie“ die Charakterstudien verstecken. Es ist wahr: Singer hat mit seiner „amerikanischen“ Inszenierung, seinem Gefühl für atemlose Bilder und dem Gespür für den richtigen Spannungsbogen einen Thriller vor historischer Kulisse geschaffen, der die deutschen Stauffenberg-Verfilmungen locker an die Wand spielt. Aber „Valkyrie“ strebt in seinem Selbstverständnis ja nach mehr, und das ist der springende Punkt: Abseits des Thrillers ist „Valkyrie“ ein ziemlich feiges Filmchen, dass sich jeglicher eigenen Interpretation und Brisanz verweigert. Zentrum des Films ist Stauffenberg, doch wird dieser von Cruise eben nicht nur aus Respekt vor der Rolle zurückhaltend verkörpert, sondern eben auch weil das Drehbuch nicht mehr hergibt. 10 Minuten im heißen Wüstensand müssen der Khartasis augenscheinlich genug sein, um Stauffenbergs Persönlichkeit gerecht zu werden. Wo ist der Versuch der Charakerisation eines Mannes in all seinen biographischen Facetten, der eben eine ambivalente historische Persönlichkeit war, der Hitler erst bereitwillig in den Krieg folgte, und ihn dann umbringen wollte. Warum traut sich „Valkyrie“ nicht umfassend nach eventuellen Motiven der Verschwörer zu fragen? Warum spekuliert der Film nicht, und verlässt so die Ebene der inhaltlichen Leerstelle als ein Film, der nicht wagt mehr zu sein als handwerklich gut gemachte Unterhaltung? Hier übersieht der Film meiner Meinung nach, dass es nicht darauf ankommt in möglichst vielen Facetten historisch korrekt zu sein (Was sowieso und per se selbst für den Historiker in letzter Konsequenz ein Ding der Unmöglichkeit darstellt), sondern durch eigene inhaltliche Reizpunkte jenes gesellschaftliches Diskussionspotential zu evozieren, die den Film abseits der Thriller-Ebene interessant gemacht hätte. Cruise als Stauffenberg in klassischer „American Hero“-Manier ist ein gleichwohl legitimer, wie uninteressanter Ansatz. Der lobende Verweis auf das umfangreiche Bonusmaterial, das ja das von mir geforderte ambivalente Bild der Verschwörung zeichnet, darf bei der Bewertung des Films keine Rolle spielen.

Das nächste Hitler-Attentat steht uns mit „Inglorious Bastards“ von Quentin Tarantino demnächst bevor, und ich orakele nur zu gerne, daß wir vor einem peinlichen, laut krachenden Tschingderassabumm-„Widerstandskämpfer“-Machwerk stehen werden, auf dessen abgeschmackter Folie einige Zuschauer vielleicht „Valkyrie“ als das feine, qualitativ hochstehende Glanzstück schätzen lernen, das es ist.

Leider ist dies der unpassende und unnötige Abschluss eines Artikels, der – auch wenn ich ihm in weiten Teilen nicht zustimmen kann – sehr lesenswert ist. Denn wer Tarantinos Zweite-Weltkrieg-Mär mit „Valkyrie“ vergleichen will, der versucht sich in der Tat an einem Vergleich von Äpfeln und Birnen. Mal abgesehen davon, dass du dich damit argumentativ auf das selbe Niveau jener Leute begibst, die du auf Grund ihrer Vorverurteilungen bei gleichzeitiger Unkenntnis von „Valkyrie“ zu Beginn des Artikel selbst (zu Recht) kritisierst hast.

Noch ausführlicher wird Christian Hellwig in seiner Filmkritik auf „Kino, TV & Co.“.

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