„Die Prinzeninseln“: Sehnsuchtsorte

Prof. Pu empfiehlt: Die Prinzeninseln von Joachim Sartorius

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„Neapel hat Capri und Ischia; Konstantinopel hat die Prinzeninseln.“
Gustave Schlumberger, Les ?les des Princes, 1884

Die acht kleinen Inseln, auf Türkisch K?z?l Adalar, liegen im Marmarameer vor Istanbul – der Stadt, die nach einem Besuch von nur wenigen Tagen bei mir einen so nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat wie keine andere Stadt zuvor. Die Prinzeninseln habe ich nicht besucht, sie leider nur von Weitem gesehen, doch spätestens nach der Lektüre dieses schmalen Bändchens sind sie mir ein Sehnsuchtsort geworden.
Eine Zufallsbegegnung bringt Sartorius dazu, sich näher mit den Inseln zu beschäftigen:

Selçuk war ein Penner. Ich lernte ihn auf der Galata-Brücke kennen, in einer Teestube im unteren Brückengeschoss. Er verbrachte dort die Sommer und schnorrte Touristen an. Im Winter war er Wächter einer Villa auf Büyük Ada, der größten der Prinzeninseln im Marmarameer, acht Seemeilen vor Istanbul gelegen.

Sartorius nimmt die Einladung Selçuks, ihn zu besuchen, kurzentschlossen an. Er mietet sich im Art-Déco-Hotel auf Büyük Ada ein, als einer der letzten Gäste der Saison:

Ich sitze immer noch auf meiner Terrasse des Splendid. Ich weiß nichts, mir gehört nichts, und doch bin ich schon der Besitzer von einem Haufen Sterne, von dieser Brise, die vom Meer her kommt (…)
Es ist schöner als im Film.

Ganz leichtfüßig und anregend erzählt Sartorius die wechselhafte und spannende Geschichte des Osmanischen Reiches und, damit verbunden, die der Inseln. Sie waren Zufluchtsort der griechischen und armenischen Familien, Luxusorte für die Sommerresidenzen der reichen Istanbuler. Auch Orhan Pamuks Großmutter hatte ein Haus auf einer der Inseln, viele Sommer hat er dort verbracht:

In einem kurzen, schönen Essay beschreibt er, wie die Abfahrt der Familie nach Heybeli mit dem Beginn des Sommers zusammenfiel. Die Vorbereitungen waren zeitraubend. Da es zu dieser Zeit noch keinen Kühlschrank in dem Sommerhaus gab – in jenen Tagen war ein Kühlschrank noch ein sehr teurer westlicher Luxusgegenstand -, wurde das weiße Ungetüm in dem Haus in Ni?anta??, dem Istanbuler Viertel, in dem die Familie Pamuk lebte, enteist, dann kamen Umzugsleute, verpackten es, hievten es mit Stricken und breiten Riemen auf die Schultern, und schließlich ging es zur Fähre, zusammen mit einem Dutzend Koffer.

Sartorius schwelgt in Landschaftsbeschreibungen und porträtiert frühere Inselbewohner –  Trotzki war auch dort im Exil – und die Heutigen, ihre Freude am Leben, dort, ein wenig außerhalb der Welt. So ganz en passant erfährt man Interessantes über die türkische Kultur. Wie zum Beispiel einen Trinkspruch, der an einem schönen Abend ausgesprochen wird:

Dass unsere schlechtesten Tage so sein mögen wie dieser!

Gelernt habe ich auch, dass drei Geräusche zum Wohlbefinden eines türkischen Mannes beitragen:

Das Geräusch von Wasser, das Geräusch einer Frau und das Geräusch von Geld.

Welches Geräusch einer Frau sie wohl meinen – aber das nur nebenbei …

Diese sehr gelungene Mischung aus Reisebeschreibung, gelebter Geschichte und Porträt ist eine einzige literarische Reiseaufforderung: Nehmt das Buch, den eigenen Prinzen – oder die Prinzessin –  und los, auf die nächste Fähre in Richtung K?z?l Adalar!

Joachim Sartorius
Die Prinzeninseln
Mare-Verlag €18.-
978-3-86648-116-9

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