„Sucker Punch“: Des Kaisers neue Kleider

Die Üblichen Verdächtigen kommen aus „Sucker Punch“ und zumindest Tom und Tom konnten absolut gar nichts damit anfangen. Im Podcast wird über Matrix und Mangas geredet, über Leerräume und Langeweile, unglaubliche Bilderwelten, pathetischen Dünnsch… und supergutgebaute geisteskranke Mädchen:

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Achtung – im folgenden Text wird heftig geSPOILERt.

(c) Warner Bros. 2011Jede Meinung zu jeder Form einer künstlerischer Äußerung ist vor allem subjektiv, das gilt besonders für einen Film wie „Sucker Punch“ – ganz subjektiv habe ich mich nach dem Film schlecht gefühlt und nachdem wir über den Film geredet hatten sogar richtiggehend elend. Warum? Dazu ein genauerer Blick auf den Film: „Sucker Punch“ findet auf zwei Ebenen statt.

Erste Ebene:

Eine junge Frau namens Baby Doll und ihre jüngere Schwester sind nach dem Tod ihrer Mutter dem bösen Stiefvater schutzlos ausgeliefert. Er will die Mädchen töten, um an die Erbschaft heranzukommen. Baby Doll gelingt es auf ihn zu schießen, aber zu spät: Die Schwester ist bereits tot. Der Stiefvater bezeugt, dass Baby Doll wahnsinnig geworden sei und ihre Schwester getötet habe. Er bringt sie ihn das Lennox-Heim für geisteskranke Frauen. Dort bezahlt er den Wächter Blue dafür, dass Baby Doll in wenigen Tagen schon lobotomisiert werden soll. (Wer noch nicht alle ekelhaften Details über Lobotomie kennt, kann hier nachlesen.) Das Heim allerdings ist eher ein Nachtclub, alle Insassen sind – wie Baby Doll – nichts anderes als feuchte Träume männlicher Zuschauer, jung, langbeinig, kurzberockt … zusammengestellt in den verschiedenen Haut- und Haarfarben des jeweiligen Geschmacks. Eine Tanzlehrerin sorgt dafür, dass die Mädchen in einer Art Variete für zahlende männliche Gäste tanzen. Auch Baby Doll tanzt und sie hat dabei eine hypnotische Wirkung auf die Zuschauer. Von diesem Tanz sehen wir allerdings nichts, denn Baby Doll fantasiert während ihres Tanzes – diese Fantasien bilden die

Zweite Ebene:

In einer Traumwelt erhält sie von einem weisen Meister Anweisungen, wie sie frei werden kann: Sie braucht eine Karte, Feuer, ein Messer, einen Schlüssel und ein Rätsel. Dazu erhält sie Waffen, die sie dann auch gleich gegen Samurai-Golem-Riesen einsetzen kann. Zurück in der ersten Ebene bereitet sie mit ihren Mitgefangenen die Flucht vor – dabei setzt sie immer wieder ihren Tanz ein, um alle Männer abzulenken – und wir betreten als Zuschauer jedes Mal die zweite Ebene. Am Ende misslingt fast alles – nur einem Mädchen gelingt die Flucht, die anderen werden ermordet, Baby Doll wird lobotomisiert.

Das Positive zuerst: Auf der zweiten Ebene präsentiert Snyder rauschhafte Kampfszenen, ein Zirkus Maximus der kineastischen Fantasy-Action-Möglichkeiten. Alice in wonderland with machine guns – die Mädchen kämpfen sich durch überstilisierte Versionen von Erste-Weltkriegs-Schützengräben ebenso wie durch Herr-der-Ringe-auf-Speed-Szenarien. Da ist Snyder ein genialer, selbstvergessener Filmemacher – wenn er nicht mehr will, als das nackte, überdimensionale Spektakel zu bieten, die perfekte Illusion. So weit, so toll.

(c) Warner Bros. 2011

Aber leider will Snyder mehr. Er hat eine Agenda: Es geht um Kampf, um das Nicht-Aufgeben. Daran lässt eine Off-Stimme keinen Zweifel, die mit küchenphilosophischen Phrasen den Pathos des Überlebenskampfes vorträgt. Und vor dem Hintergrund dieser Botschaft inszeniert Snyder die Handlung auf der ersten Ebene. Daran hat mich schon im Kinosaal und noch mehr danach so allerhand gestört: Snyder achtet sehr genau darauf, dass keine der auftretenden Figuren einen realen Charakter darstellt – die Personen sind nur Masken, sie sind nicht selbst, sie repräsentieren vielmehr etwas: Attraktivität, Furchtsamkeit, Tapferkeit, Gewalt, Dummheit oder Mordlust. In der Kombination mit der einhundertprozentigen Abwesenheit von jeglichem Funken Humor oder Ironie (wie zum Beispiel bei Tarantino) schwillt so der Pathos immer mehr an, ebenso sinnlos und letztlich aussagelos wie in „300“ oder „Sin City“ – das sind des Kaisers neue Kleider: hinter all dem dramatisch-klingenden Budenzauber steckt – nichts. Und man muss auch kein Feminist sein, um die Darstellung der Frauen (als begehrenswerte, versklavte, sexy, blutjunge Mädchen, die sich in ihren knappen Bekleidungen erfolglos auflehnen) und der Männer (fast ausnahmslos als geile, gierige, dumme, schwanzgesteuerte und/oder mordlüsternde Typen, die nichts anderes im Kopf haben als Frauen zu dominieren) abstoßend zu finden.

Das alles sorgte dafür, dass für mich alle Szenen auf der ersten Ebene schwer erträglich und vor allem unglaublich langweilig waren. Das wurde durch die ästhetische Überstilisierung auch dieser Handlungsebene nicht besser – und wenn am Ende durch den Satz eines Busfahrers die Traum-Ebene und die „Wirklichkeit“ zusammengebracht werden, bevor die Off-Stimme wieder in küchenphilosophischen Pathos ausbrechen darf, spätestens dann ist alles zu spät.

So unerfreulich war der Kinoabend aber nicht für alle, es gab im mäßig besetzten Kino sogar ein bisschen Applaus. Jetzt kann man einwenden, dass ich den Film einfach nicht verstanden habe. Und das mag sein. Vielleicht liegt es auch daran, dass etwas, dass mir in einem Comic als Leser angemessen erscheint, von mir in einem Film als Zuschauer nicht geduldet wird? Aber vielleicht bin ich tatsächlich einfach nur zu alt, um es zu verstehen – andererseits vielleicht aber einfach nicht bereit, im pathetischen Bildergeschwätz eines Frank Miller oder Zack Snyder mehr zu sehen als eben – Geschwätz.

Und an dieser Stelle der Hinweis: Wir freuen uns über Eure Meinung – die Kommentare sind wie immer für alle offen.

Sucker Punch
USA 2011, 112 Min., Regie und Drehbuch: Zack Snyder

Andere Meinungen

Rüdiger Suchslands vielzitierter Text, der das „Überwältigungskino“ lobt:

„Ein Mädchen-Internatsfilm mit Martial-Arts-Elementen, ein stylischer Neo-Noir und eine Science-Fiction-Fantasy, Trash-Kino, das den schlechten Geschmack feiert und ein opulentes Historienspektakel voller Bild-Referenzen. Gewollt naiv und zugleich ganz und gar selbstbewusst. „Sucker Punch“ ist opernhaft, gnadenlos übertrieben, pathosgeladen, Überwältigungskino, dass sich sub- und supraatomar dem Rausch ergeben hat.“

David Kleingers kraftvolle Abrechnung:

„Dieser Film gibt seine Peinlichkeiten als Provokation aus, reduziert in letzter Konsequenz alle weiblichen Figuren auf fremdbestimmte Fetischobjekte, und verkauft diese sexistische Altherren-Weltsicht dann auch noch als postfeministische Ironie. Somit ließe sich die Arbeit Snyders, der pikanterweise erstmals ein eigenes Drehbuch verfilmte, im Fall von „Sucker Punch“ auch eher so zusammenfassen: Dieser Regisseur hat alles gesehen, aber nichts verstanden. Und wer das für einen genialischen Wurf hält, lässt sich auch eine Kloschüssel als Füllhorn andrehen.“

Leander bei NEGATIV sieht den Film als missglückten „Dirty Dancing“ für Jungs:

„Tanz wird zur Masturbation, die Gefährtinnen zu den heimlichen Objekten der Begierde, der Orgasmus führt zum Levelaufstieg. All dies wird natürlich niemals gezeigt, wenn es überhaupt angedeutet wird. Sucker Punch feiert sich selbst in seiner spießigen Ultra-Biederkeit und versucht damit kassenwirksam an einen Neo-Konservatismus anzuknüpfen (…) Ein Schelm, wer dem modernen Konservatismus gewisse Versuche unterstellt, die Emanzipation teilrückgängig zu machen, ein Blinder, wer die Frauenfeindlichkeit in diesem Film ignoriert.“

Florian (Symparanekronemoi) sieht Meta-Ebenen, Absichten und Scheitern:

„Worin sich Snyders Film, und darin folgt er mehr Scorseses Beitrag denn Nolans, auszeichnet, ist sein Vorhaben, einen Metafilm zu erschaffen. Einen Unterhaltungsfilm über Unterhaltungsmedien – und ihre Mechanismen. Das Resultat, Sucker Punch, ist wie von Andrew O’Hehir treffend beschrieben “a ridiculously ambitious and perhaps fatally flawed mashup of ideas”. Snyder versucht viel, was ihn einerseits ehrt, andererseits jedoch in seinem Unterfangen oftmals ein Bein stellt. Denn Sucker Punch kritisiert, was er zugleich ist, beziehungsweise er ist, was er kritisiert. Sicherlich gewollt, nur fällt es dem Film schwer, Kritiker und Kritikobjekt zugleich zu sein.“

Der Kineast zieht ein Fazit und blickt in die Zukunft:

„Sucker Punch“ ist großartige Unterhaltung für den kleinen Geist. Ein Rezept, dass wunderbar funktioniert und sofort Lust auf mehr Snyder macht. Bald dürfen wir uns ja auch auf seinen „Superman“ freuen. Das dürfte dann das nächste Fest für die verkümmerten Sinne werden.

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