Prof. Pu empfiehlt : „Über kurz oder lang“ von Catherine Fried
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Wäre es nicht eine Umfrage wert, wie viele Menschen, vor allem die der Babyboomer-Generation, das Gedicht „ Was es ist“ kennen? Es bei Liebe oder Liebeskummer abgeschrieben, verschickt oder zitiert haben? Doch wer weiß noch etwas über den Autor Erich Fried und erst recht etwas über seine Frau(en) und seine Kinder? Er hat die Patchwork-Familie gelebt, lange bevor dieser Begriff entstanden ist. Seine dritte Ehefrau, Catherine Fried, verbrachte mit ihm die letzten zweiundzwanzig Jahre seines Lebens, bis zu seinem Tod 1988 in einem Baden-Badener Krankenhaus, im Alter von 67 Jahren.
Als ich mich einmal mit einer Wiener Freundin Erichs unterhielt und erwähnte, dass ich gerade dabei sei, einige Geschichten über ihn aufzuschreiben, sagte sie „toll“! – und erzählte selber eine. Anscheinend hat jeder, der ihn kannte, eine Lieblingsanekdote über ihn. Weiser und Narr in einem war er: unterhaltsam, erhellend oder peinlich und häufig auch alles zugleich oder in rascher Folge. Doch als jene Freundin vorschlug, ich solle doch Erichs Freunde und Kollegen zusammentrommeln und eine Sammlung mit allen ihren Geschichten zusammentragen, wusste ich, dass ich so etwas nicht wollte. Das Buch sollte mein eigener Bericht über Erich und über das Familienleben mit ihm als Mann und Vater werden, nicht Die Gesammelten Anekdoten über Erich Fried, die sie sich vorstellte.
Sie sind ihr gelungen, die sympathischen und humorvollen Beschreibungen eines chaotischen Familienlebens, britisch-ironisch-distanziert betrachtet. Schon das Porträt des ungleichen Paares auf dem Umschlag spricht Bände. Erich Fried, Wiener Schriftsteller und Journalist, 15 Jahre älter als sie, kleinwüchsig, gehbehindert, arbeitswütig, großherzig – und ein Womanizer, allen Schönheitsidealen zum Trotz:
Ich fand ihn ziemlich klein, ziemlich dick und ziemlich hässlich. Doch die Freundschaft mit Georg (Eisler) hatte mich gelehrt, dass auch ein ziemlich kleiner, ziemlich dicker und ziemlich hässlicher Mann attraktiv sein konnte, besonders, wenn er klug und charismatisch und noch dazu freundlich und warmherzig war.
Er wirbt heftig um sie, besticht sie mit aus Schubladen herbeigezauberten Wurstbroten und schenkt ihr ein Auto – damit sie ihn zur BBC fahren kann, wo er für die deutsche Sektion des World Service arbeitete. Und sie erliegt, nach einigem Widerstand, dem hartnäckigen Werben. In seinem Haus in London, wo er seit der Emigration im Jahre 1938 lebte, gingen vor allem in den Sechziger und Siebziger Jahren die Bewegten ein und aus. Rudi Dutschke hütete die Kleinkinder, Fritz Teufel buk meterlangen Apfelstrudel. Ein chaotischer Haushalt mit Matratzenlagern überall, den Catherine Fried mit sehr viel Langmut versuchte, einigermaßen im Griff zu halten. Sehr zum Mißfallen der Siebziger-Jahre-Selbsterfahrungs-Frauengruppen, deren Treffen bei den Dutschkes stattfanden:
Ich hatte gar nichts gegen die Prinzipien, die sie da diskutierten; es war eher so, dass ihre Schablone in keiner Weise auf die Dimensionen unseres Haushalts und meiner Ehe passte. (Ich war sicher, dass Erich in überhaupt keine Schablone passte, schon gar nicht in ihre.)
Sie behauptet sich gut, zwischen den Vorwürfen, die letzte übriggebliebene Hausfrau in ihren Kreisen zu sein und dem Anspruch, wenn man den ganzen Tag diskutiert, muss es jemanden geben, der für Essen und frische Bettwäsche sorgt …
Im Rückblick auf diese Zeit sehe ich vor meinem geistigen Auge eine Karte, wie man sie für Truppenbewegungen in einem Krieg verwendet, mit dicken schwarzen Pfeilen, die an der Basis breit sind und zur Spitze hin immer schmaler werden. Auf dieser Karte, die den Titel Europäische Studentenbewegung 1965 bis 1985 trägt, macht der Pfeil etwas, was in meiner Kindheit undenkbar war: Er krümmt sich durch Deutschland und überquert, angereichert von kleinen Nebenpfeilen aus Frankreich, der Schweiz und Dänemark, den Kanal und geht weiter, bis die dünne Pfeilspitze schließlich ihr kleines Londoner Ziel findet. Denn zu jener Zeit waren die Studenten Europas tatsächlich in Bewegung und marschierten, wie es mir schien, en masse ihrem Ziel entgegen: Erich Frieds Haus in der Dartmouth Road.
Ihre Erzählungen machen deutlich, warum man Frieds Anziehungskraft einfach erliegen mußte. Irgendwie konnte er alles, war sogar handwerklich begabt, bastelte unglaubliche Konstruktionen. Zum Beispiel einen Anti-Explosionsapparat, mit dem er ferngesteuert seine Post öffnete, nachdem man ihm nach der Veröffentlichung seines Buches „Höre, Israel“ vorgeworfen hatte, er sei ein „jüdischer Anti-Zionist“. Wenn er nicht auf Reisen war, las er mit grausigem Akzent seinen Kindern Tolkien im Original vor:
Zen Bilbo heard se soft elven voices sru se trees, Tra-la-la-lally, come back to se valley.
Ich habe die Erinnerungen mit sehr viel Genuß gelesen, mich dabei immer wieder köstlich amüsiert und mit ihr am Ende getrauert. Sie hat es geschafft, das Gesamtkunstwerk Erich Fried lebendig werden zu lassen. Er hat es verdient, wird er doch allzuoft nur noch auf seine – wenn auch wunderschönen – Liebesgedichte reduziert.
„Was es ist“ war übrigens für keine der drei Ehefrauen bestimmt. Es entstammt dem Band „Liebesgedichte“, der lyrischen Chronik einer Liebesaffäre. Als er es einmal auf der Wand einer Unterführung sah, Strophe für Strophe säuberlich kopiert, sagte er: „Manchmal wünsche ich mir, ich hätte das Ding nie geschrieben“.
Catherine Fried
Über kurz oder lang
Wagenbach Salto 2008
978-3-8031-1257-6
15,90 €